• 28.04.2006 12:33

  • von Inga Stracke

Geoff Willis im großen 'F1Total.com'-Interview (2)

Hondas Technischer Direktor über den Entwicklungsplan für den RA106, die Inbetriebnahme des neuen Windkanals, Ideen für das Reglement und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Im Wettrüsten gegen den japanischen Erzrivalen Toyota erhöhte in den vergangenen Jahren auch Honda das Investment für die Formel 1 massiv. Das Team aus Brackley hat mit dem RA106 eines der schnellsten Autos der Gegenwart, doch Jenson Button und Rubens Barrichello können diese Pace bisweilen nicht über eine komplette Renndistanz umsetzen.

Titel-Bild zur News: Geoff Willis

Geoff Willis' erklärtes Saisonziel für 2006 ist der erste Sieg in der Teamgeschichte

In Imola nahm sich Hondas Technischer Direktor Geoff Willis Zeit, um im ausführlichen Interview mit 'F1Total.com' zu erklären, wie er sein Team auf die Siegerstraße führen will. Der neue Windkanal soll dabei eine entscheidende Rolle spielen. Darüber hinaus sprach der 46-jährige Brite über seine Sichtweise der Regeldiskussion hinter den Kulissen, Möglichkeiten zur Kostensenkung und den noch nicht ganz fix beschlossenen Ausstieg von Reifenpartner Michelin.#w1#

Honda plant kein B-Auto für die zweite Saisonhälfte

Frage: "Geoff, wie sieht euer Entwicklungsplan für die nächsten Wochen aus? Wird es vielleicht auch eine richtige B-Version des RA106 geben?"
Geoff Willis: "Wir haben natürlich einen genau geregelten Entwicklungsplan, der mehrheitlich die Aerodynamik betrifft. Am zweitwichtigsten sind mechanische Weiterentwicklungen und solche der Kontrollsysteme. Die dritte Baustelle ist der Motor. Es gibt geplante Motorenausbaustufen, die bei bestimmten Rennen debütieren werden. Das gilt auch für die Aerodynamikschritte. Auf auftretende Probleme kann man natürlich nur reagieren - dafür kann man keinen Plan erstellen. Aber: Angenommen, wir planen eine Verbesserung der Aerodynamik für Silverstone, merken aber, dass wir damit schneller unterwegs sind als angenommen, dann führen wir so etwas natürlich ein Rennen früher ein als ursprünglich geplant. Man muss immer versuchen, die Verbesserungen so schnell wie möglich einzuführen."

"Ich glaube nicht, dass wir ein B-Auto bauen werden." Geoff Willis

"Was wir jetzt nicht mehr unbedingt machen, sind Entwicklungsschritte für jedes einzelne Rennen, sondern wir werten lieber erst mal aus, was die letzte Veränderung bewirkt hat. Wir testen auch und prüfen dabei, ob ein Teil auch genau das macht, was es machen sollte. Wenn man ein einzelnes Neuteil auf das Auto schraubt und damit um zwei Zehntelsekunden schneller ist, dann hat man an nur einem Vormittag bewiesen, dass es eine Verbesserung ist. Um auf den zweiten Teil der Frage einzugehen: Ich glaube nicht, dass wir ein B-Auto bauen werden. Am Jahresende wird das Auto zwar viel schneller und leistungsstärker sein und es wird kaum noch ein Teil vom Saisonanfang an sich haben, aber trotzdem nennen wir es nicht B-Auto..."

Frage: "Wie geht es eigentlich mit dem Bau eures neuen Windkanals voran?"
Willis: "Wir liegen weit vor dem eigentlichen Zeitplan. Wir werden dazu in der Lage sein, ihn Anfang Mai erstmals in Betrieb zu nehmen, worüber wir wahnsinnig aufgeregt sind, und Ende Juli sollte alles kommissioniert, kalibriert und bestätigt sein. Das ist ein Rieseninvestment des Honda-Mutterkonzerns, der uns da massiv unterstützt hat. Wir haben wirklich hart gearbeitet und die Leute, die damit beauftragt sind, angetrieben. Die beauftragten Partner haben gesagt, dass sie dafür 24 Monate brauchen, aber wir haben ihnen nur 15 gegeben. Trotzdem liegen wir noch drei Monate vor dem extremsten Zeitplan, den wir hatten. Zum Glück spielte das Wetter mit. Bisher läuft das Projekt wirklich sehr gut."

Windkanal sollte sich noch dieses Jahr auswirken

Frage: "Könnt ihr davon noch mit dem diesjährigen Auto profitieren?"
Willis: "Ich hoffe schon, dass wir vom ersten Tag an Performance auf das Auto packen können. Ende August oder Anfang September können wir vielleicht schon die ersten Früchte des neuen Windkanals auf der Rennstrecke ernten."

"Am wichtigsten für die Performance sind momentan die Reifen, dann kommt der Motor und an dritter Stelle die Aerodynamik." Geoff Willis

Frage: "Gibt es eine direkte Querverbindung zwischen der Anzahl der Windkanaltests und der Leistung auf der Strecke?"
Willis: "Ja. Am wichtigsten für die Performance sind momentan die Reifen, dann kommt der Motor und an dritter Stelle die Aerodynamik. Wenn man analysiert, wie man als Team von Woche zu Woche die größten Fortschritte machen kann, dann ist die Aerodynamik sicher der wichtigste Bereich. Das ist ein Schlüsselelement. Wir holen mit dem neuen Windkanal gerade auf und werden bald vor allen anderen liegen - ganz einfach deshalb, weil wir derzeit das letzte Team sind, das einen Windkanal der neuen Generation bauen lässt. Wir sehen das schon voller Enthusiasmus."

Frage: "Bringt der neue Windkanal auch einen Vorteil hinsichtlich der beschränkten Testfahrten?"
Willis: "Ganz genau. Jede Testbeschränkung erhöht die Bedeutung eines Windkanals für Modelle in Originalgröße. Unsere Jungs haben schon bisher mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen großartige Arbeit geleistet, aber jetzt werden wir sie mit besseren Ressourcen belohnen. Dafür erwarten wir dann aber auch noch mehr Performance."

Frage: "Es gibt einige Vorschläge der FIA für 2008, zum Beispiel den CDG-Heckflügel, eingefrorene Motorenentwicklung, standardisierte Elektronik und andere standardisierte Elemente. Mit welcher dieser Ideen könnt ihr euch bei Honda am allerwenigsten anfreunden?"
Willis: "Darüber könnte man stundenlang reden, aber ich muss klarstellen, dass ich Ingenieur eines Formel-1-Teams bin, aber Honda als Automobilhersteller könnte da den 'GPMA'-Standpunkt viel besser verdeutlichen."

Willis ist gegen zu drastische Regeleinschnitte

Anthony Davidson

Wie viel Technologie kann man der Formel 1 ohne Imageschaden nehmen? Zoom

Frage: "Wie siehst du es als Ingenieur?"
Willis: "In einer Sache sind wir uns einig: Wir wollen, dass die Formel 1 die Königsklasse des Motorsports bleibt. Die Technologie muss nicht in anderen Sphären schweben, aber es muss schon ersichtlich bleiben, warum die Formel 1 über jede andere Rennkategorie gestellt wird. Das erfordert zwangsweise das Beibehalten einiger interessanter und herausfordernder Technologien. Uns ist bewusst, dass die Kosten in der Formel 1 stabilisiert werden müssen. Man kann darüber streiten, ob eine Senkung notwendig ist, aber eine Eskalation wollen wir jedenfalls nicht. Es liegt nicht an mir, das zu entscheiden."

"Ich könnte mir schon vorstellen, dass man angemessene Bereiche stärker reguliert, in denen man ohnehin nicht viel herausholen kann - Bereiche, in denen alle auf einem ähnlichen Niveau und die für die Öffentlichkeit nicht relevant sind. Wollen wir zum Beispiel weiterhin viel Geld dafür ausgeben, dass jedes Team seine eigenen Bremsen entwickelt? Die Bremsenhersteller werden das natürlich anders sehen, aber aus der Sicht eines Teams würde es keinen Unterschied machen, da einheitliche Teile zu haben."

Frage: "'Brembo' rüstet ja sowieso schon die große Mehrheit aus..."
Willis: "Ich sage nicht, dass wir einen einheitlichen Hersteller brauchen, aber man könnte die Bremsen auf eine bestimmte Form und für eine bestimmte Zeit homologieren lassen. Das würde den Wettbewerb zwischen den Bremsenherstellern aufrechterhalten, gleichzeitig aber die Kosten reduzieren."

"Ich finde, dass freie Technologie nur dann etwas bringt, wenn die Teams damit unterschiedlich gute Arbeit leisten können, aber wenn alle Teams so und so viele Millionen ausgeben, nur damit sie am Ende wieder gleich gut sind, dann kann man das hinterfragen. Man muss also das Gleichgewicht finden, einerseits Entwicklung zuzulassen und die Technologie beizubehalten, andererseits aber überflüssige Investitionen zu kappen, die keine Verschiebungen bringen."

Wohin führt die Entwicklung in den nächsten zehn Jahren?

"Wenn wir damals die Entwicklung eingefroren hätten, gäbe es heute keine Monocoques aus Kohlefaser." Geoff Willis

"Man erinnere sich nur an die 80er Jahre: Damals hatten wir Aluminium/Honigwaben-Monocoques, aber wenn wir damals die Entwicklung eingefroren hätten, gäbe es heute keine Monocoques aus Kohlefaser, die aber viel sicherer sind. Dass wir jetzt noch nicht wissen, auf welche Technologien wir in zehn Jahren stoßen werden, ist klar, aber gerade deswegen müssen wir ein gewisses Maß an Freiheit beibehalten. Gleichzeitig muss man aber sagen, dass es durchaus sinnvolle Maßnahmen zur Kostensenkung gibt."

Frage: "Gibt es einen Vorschlag, den bisher noch niemand zur Sprache gebracht hat, den du aber sinnvoll finden würdest?"
Willis: "Stabilität des Reglements ist wahrscheinlich der einfachste Weg, um die Kosten zu kontrollieren. Damit meine ich keine Einfrierung der Entwicklung, sondern Stabilität der Regeln über mehrere Jahre hinweg. Wir sollten keine Einheitshersteller einführen, aber in manchen Bereichen vielleicht eine einheitliche Spezifikation, wie ich vorhin schon angedeutet habe. Es gibt Dinge, für die wir viel Geld ausgeben, die aber im Endeffekt bei allen Teams gleich sind: Felgen, Bremsen, Bremszangen und so weiter. Deine Frage ist aber knifflig, denn wir sind schon oft an einem Tisch gesessen und haben über diese Dinge diskutiert, aber das Problem ist, dass die Teams das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, immer ausgeben werden. Wenn sie das in einem Bereich nicht mehr tun können, werden sie es eben in einem anderen Bereich investieren."

Frage: "Zum Beispiel in neue Motorhomes..."
Willis: "Genau, das meine ich. Also können wir nur die Notwendigkeit von unnötigen Kosten eliminieren. Sollte uns das gelingen, wäre das schon ein riesiger Fortschritt."

Frage: "Ihr seid zumindest offiziell in eurem letzten Jahr mit Michelin..."
Willis: "Vielleicht, ja."

Frage: "Das ist genau der Punkt, denn es gibt Gerüchte, dass sie auch um den Reifendeal für 2008 mitbieten könnten. Hast du darüber etwas gehört?"
Willis: "Ich weiß so direkt nichts, aber ich glaube, dass die FIA das Reifenmonopol ausschreiben wird. Es wird da sicher mehrere Bewerber geben - und jeder Reifenhersteller, der schon einmal in der Formel 1 war, muss als ernsthafter Interessent betrachtet werden. Eine Bewerbung von Michelin würde mich nicht überraschen."

Honda bereitet sich auf Rückkehr zu Bridgestone vor

"Im Moment bin ich mir noch nicht hundertprozentig sicher, ob die Bridgestone-Reifen dieselben sein werden wie dieses Jahr." Geoff Willis

Frage: "Bekommt ihr von Bridgestone schon Informationen für die Entwicklung eures nächstjährigen Autos?"
Willis: "Sobald wir sicher wissen, dass wir mit Bridgestone zusammenarbeiten werden, möchte ich diese Informationen natürlich haben, aber im Moment bin ich mir noch nicht hundertprozentig sicher, ob die Bridgestone-Reifen dieselben sein werden wie dieses Jahr oder vielleicht billiger und weniger gut entwickelt."

Frage: "Das ist aber schon ein sehr wichtiger Punkt für die Entwicklung des Autos, nicht wahr?"
Willis: "Ja, auf jeden Fall. Wir müssen sobald wie möglich mit Bridgestone darüber sprechen, aber das ist nicht so einfach, denn im Moment sind wir ja noch ihre Gegner. Es ist schon eine verzwickte Situation, das stimmt, aber wir kennen Bridgestone ja aus der Vergangenheit und werden sicher eine sinnvolle Lösung finden."

Frage: "Letzte Frage: Was wäre am Ende dieser Saison ein realistisches Resultat, mit dem du zufrieden wärst?"
Willis: "Ich glaube nach wie vor, dass es realistisch für uns ist, einige Rennen zu gewinnen. Das möchte ich schon schaffen, schließlich war das auch die Zielsetzung des Teams. Wir als Team brauchen das und die Fahrer ebenso. Darum geht es schließlich in der Formel 1. Wir sind in einem harten Business, aber wenn man Rennen gewinnt, ist es nicht ganz so hart..."

Frage: "Siehst du noch eine Chance auf den WM-Titel?"
Willis: "Hm. Es gibt momentan einige starke Teams, zu denen auch wir gehören. Natürlich würden wir am liebsten an der Spitze dieser Vierergruppe stehen, aber auch die Top 3 wären schon ein gutes Resultat. Wenn möglich, wollen wir das übertreffen. Unser primäres Ziel ist aber ein Sieg, den wir uns aus eigener Kraft verdienen, und wenn uns das einmal gelingt, dann können wir vielleicht auch um die Weltmeisterschaft mitfahren. Dieser Gedanke beschäftigt mich aber weniger als das, was wir lernen müssen, wenn wir in Zukunft gewinnen wollen."