Formel-1-Countdown 2010: Red Bull

Eine Analyse: Verleiht Red Bull 2010 erstmals WM-Flügel? Für unseren Experten Marc Surer ist Sebastian Vettel jedenfalls Titelfavorit...

(Motorsport-Total.com) - Am 14. März beginnt in Manama (Bahrain) die neue Formel-1-Saison - und die Königsklasse birgt dieses Jahr so viel Spannung wie schon lange nicht mehr: Mindestens vier Weltmeister, sensationelle Comebacks und klingende Namen lassen jedes Racingherz höher schlagen. 'Motorsport-Total.com' nimmt vor dem Auftaktrennen wie jedes Jahr alle Teams genau unter die Lupe. Heute: Red Bull.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Für unseren Experten Marc Surer ist Sebastian Vettel der große WM-Favorit

Groß war die Spannung vor der Präsentation des neuen RB6. Adrian Newey hatte sich mit seinen Helfern in Milton Keynes um eine Woche länger Zeit gelassen als die übrigen Topteams, ließ dafür sogar die erste Testwoche in Valencia ausfallen. Das hatte zwei Gründe: Erstens ist Valencia keine sonderlich repräsentative Strecke, zweitens "ist es die Philosophie von Newey, die Entwicklung fortzusetzen und dafür die ersten drei Testtage zu opfern, solange auf dem Computer und im Windkanal die Daten nach oben zeigen und das Auto weiterhin schneller wird", wie Red-Bull-Konsulent Helmut Marko erklärt.#w1#

Evolution statt Revolution

Angesichts dieser Verzögerung rechneten viele Branchenkenner mit einem revolutionären Design, nachdem schon Ferrari, McLaren und Mercedes überraschende Fahrzeuge präsentiert hatten. Aber Newey überraschte, indem er eben nicht überraschte und ein sehr konventionelles Auto entwickelte. Der RB6 ist eine konsequente Evolution des RB5, der im Vorjahr zumindest in der zweiten Saisonhälfte als Maßstab galt. Man hat sich wohl gesagt: Never change a winning Team!

"Der RB6 ist eine gute Weiterentwicklung des RB5", bestätigt Teamchef Christian Horner in der 'Sport Bild'. Und Marc Surer urteilt: "Als ich das Auto gesehen habe, war mein erster Gedanke: Ihr habt alles richtig gemacht! Keine Experimente, sondern das Auto weiterentwickelt." Der 'Motorsport-Total.com'-Experte betrachtet Red Bull nun als konsolidiertes Topteam und wischt damit Befürchtungen vom Tisch, wonach die starke Performance von 2009 nur ein Glückstreffer, eine Eintagsfliege gewesen sein könnte.

Red-Bull-Renault RB6

Der Red-Bull-Renault RB6 erinnert optisch stark ans Vorgängermodell RB5 Zoom

Ganz im Gegenteil: "Sebastian Vettel ist für mich der WM-Kandidat Nummer eins", prognostiziert der ehemalige Formel-1-Pilot und begründet: "Er ist erfahrener geworden - letztes Jahr hat er Fehler gemacht, wie auch das Team. Somit kann es eigentlich nur besser werden. Natürlich ist die Konkurrenz größer, denn 2009 hatten sie das zweitbeste Auto, kann man sagen, aber jetzt sind vier oder fünf Autos gut. So gesehen wird es schwierig."

WM-Kampf ist nichts Neues mehr

"Trotzdem glaube ich, dass ihnen die Erfahrung helfen wird, schon einmal um den Titel gekämpft zu haben. Die strategischen Fehler des Teams und Sebastians Fahrfehler werden nicht mehr vorkommen, denke ich. Daraus haben beide gelernt. Daher ist er für mich der Topfavorit", so Surer. Eine Aussage, die Horner ohne zu zögern unterschreibt: "Sebastian macht keinen Fehler zweimal. So ist er 2009 ein kompletterer Rennfahrer geworden."

¿pbvin|512|2445||0|1pb¿"2009 hat er sich extrem entwickelt, das ganze Jahr lang. Das ist aber auch ganz normal, weil er noch so jung ist. In der zweiten Saisonhälfte war Sebastian schon unglaublich stark. Je mehr Erfahrung er sammelt, desto besser wird er. Er lernt, mit gewissen Situationen umzugehen, und versteht das Auto immer besser. Sein technisches Feedback hat sich enorm verbessert. Er kann Rennen immer besser lesen, weiß, wann er Druck machen und wann er sich zurücknehmen muss", sagt der Teamchef über seinen Schützling und macht augenzwinkernd "seine Frisur" als Vettels einzige Schwäche aus.

"Für Sebastian ist der WM-Titel der natürlich nächste Schritt. Alles andere hat er jetzt erreicht", setzt Horner den 22-jährigen Deutschen unbewusst unter Druck. Aber Vettel nimmt die Favoritenrolle ohnehin an, hält nichts von künstlicher Tiefstapelei: "Ich will dieses Jahr Weltmeister werden. Den Anspruch muss ich auch haben, denn es gibt nur eine Steigerung zu meinem Vize-WM-Titel 2009 - und das ist nun mal der Titelgewinn. Es wird aber nicht einfach, mein Ziel zu erreichen. Die Konkurrenz ist groß", schreibt er in einem Gastbeitrag für die 'Sport Bild'.

Vierkampf an der Spitze?

Als stärkste Gegner schätzt er Ferrari, McLaren und Mercedes mit seinem Kumpel Michael Schumacher ein: "Ich denke, dass diese drei Teams ähnlich stark sein werden wie wir. Das Regelwerk hat sich im Prinzip bis auf das Nachtankverbot nicht verändert. Ich vermute, dass dadurch die Autos von ihrer Leistungsfähigkeit enger zusammenrücken werden. Es würde mich überraschen, wenn ein fünftes Team über die ganze Saison auf unserem Niveau fahren kann."

"Wir bei Red Bull", gibt Vettel zu Protokoll, "können auf der Basis eines sehr guten Autos aufbauen, während McLaren und Ferrari ihre Autos völlig neu konzipieren mussten, denn sie waren im vergangenen Jahr nicht schnell genug. Das Risiko, dass bei völligen Neukonstruktionen etwas schief geht, ist größer als bei der Weiterentwicklung von Vertrautem."

Sebastian Vettels neuer Red-Bull-Helm

Neues Helmdesign: Sebastian Vettel sieht nun aus wie eine echte Red-Bull-Dose Zoom

Und es zeugt von seinem unbändigen Selbstbewusstsein und von seiner Motivation, wenn er sagt: "Ich kann es kaum erwarten, dass die Saison losgeht. Geistig spiele ich jetzt schon alle erdenklichen Situationen durch. Zum Beispiel, dass man eine Weltmeisterschaft nicht nach der ersten Kurve im ersten Rennen gewinnt! Man braucht einen langen Atem. Ich habe ihn." Das ist eine Lektion, die er zu Beginn der vergangenen Saison gelernt haben dürfte.

Oberstes Gebot: Aus Fehlern lernen!

Wir erinnern uns: Beim Grand Prix von Australien fuhr Vettel einem sicheren dritten, möglicherweise sogar einem zweiten Platz entgegen, als er von Robert Kubica auf BMW unter Druck gesetzt wurde. Aber möglicherweise noch nicht mit dem Bewusstsein, ein ernsthafter WM-Kandidat zu sein, riskierte der junge Heppenheimer eine Kollision und schied aus. "Sorry, guys", funkte er an seine Crew. Die sechs bis acht Punkte fehlten in Kombination mit einigen anderen Fahrfehlern am Saisonende.

"Kontinuität spielt eine wichtige Rolle", weiß Teamchef Horner. "Wir spüren, dass wir diese Saison besser vorbereitet sind als jemals in der Vergangenheit. Es wird schwierig, an die Leistungen von 2009 anzuknüpfen, aber wir sind das einzige Team, das immer noch die gleichen Fahrer hat. Im vergangenen Jahr haben wir Siege geholt, Pole-Positions, schnellste Runden. Was uns jetzt noch fehlt, sind die beiden WM-Titel. Dafür werden wir alles geben, dafür strengen wir uns an. Ich glaube, wir haben es dieses Jahr selbst in der Hand, das zu schaffen."

Sebastian Vettel

Der Doppeldiffusor ist im Gegensatz zu 2009 voll ins Konzept integriert Zoom

"Der Schlüssel wird die Konstanz sein. Wir haben im Vorjahr gesehen, dass verschiedene Teams in verschiedenen Phasen der Saison verschieden stark waren. Es gibt natürlich manche Rennen, die man einfach nicht gewinnen kann, aber da muss man dann zumindest Punkte holen", sagt der 36-Jährige. Der Blick in die Statistik gibt ihm Recht: Die beiden Red-Bull-Piloten schrieben 2009 zwölf Nullnummern, das Brawn-Duo nur drei. Das war letztendlich wohl entscheidend.

Webber lässt sich nicht unterkriegen

Interessant ist: Offiziell gibt es bei Red Bull keine Nummer eins, aber ganz kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass der im eigenen Fahrerkader "gezüchtete" Vettel doch etwas mehr Sympathien genießt als Mark Webber. Der hatte im letzten Saisondrittel 2009 eine Pechsträhne und spielte deshalb im WM-Finish keine Rolle mehr. Aber: "Wir haben nie einen Fahrer bevorzugt. Das werden wir auch 2010 nicht tun", stellt Horner klar.

"Was mir gefällt: Mark hat nie aufgegeben", lobt der Red-Bull-Teamchef den einstigen Superqualifyer aus Australien, der 2009 im Stallduell in dieser Höhe völlig überraschend mit 2:15 und 69,5:84 Punkten entzaubert wurde. "Es wäre leicht gewesen für ihn, sich angesichts des enormen Talents von Sebastian mit der Rolle als Nummer zwei zufriedenzugeben, aber er hat es nicht getan. Besonders haben wir das beim deutschen Grand Prix gesehen - da hat er Sebastian das Leben schön schwer gemacht."

Mark Webber

Fühlt sich in der Rolle des Mitfavoriten wohl: Routinier Mark Webber Zoom

Auch Webber selbst bleibt cool, fühlt sich in der Rolle des WM-Mitfavoriten sichtlich wohl und lässt sich von diversen Umfragen, in denen er meist nur Red Bulls Nummer zwei ist, nicht verunsichern: "Jetzt liegt die Latte noch ein bisschen höher als 2009. Es wird eine harte Saison, aber wir freuen uns auf diese Herausforderung. Das ist die Formel 1, da ist es nie einfach", lautet seine Einschätzung vor seinem neunten Jahr in der Königsklasse des Motorsports.

Webber geht fit in die Saison

Rein vom Können her hat es der 33-Jährige sicher drauf, Vettel Paroli zu bieten, zumal er diesmal ohne körperliches Handicap in die Saison startet. 2009 war er bei den ersten Rennen mit einer Beinverletzung und einem gebrochenen Schlüsselbein unterwegs, doch der Hobbysportler hing das nicht an die große Glocke, sondern biss die Zähne zusammen und machte das Beste daraus. Erst viel später stellte sich das ganze Ausmaß seines Mountainbikeunfalls heraus. "Das war schon eine schwierige Zeit", erinnert er sich.

Theoretisch müsste Webber im Vergleich zu Vettel also bessere Chancen haben, oder? "Er war schon Ende 2009 fit, trotzdem war Sebastian meistens um ein Quäntchen schneller. Ich wüsste nicht, warum sich das ändern sollte", entgegnet Experte Surer, ohne den Routinier aber komplett abzuschreiben, denn: "Es wird für Sebastian sicher nicht so einfach sein wie im Vorjahr, als Webber in der ersten Saisonhälfte wirklich gelitten hat."

Mark Webber, Sebastian Vettel

Bisher kamen Sebastian Vettel und Mark Webber gut miteinander aus Zoom

Der Schweizer sieht die Kontinuität auf Fahrerseite ebenso als Vorteil wie die eingangs erwähnte Newey-Strategie, Testzeit auf der Strecke für mehr Stunden im Windkanal zu opfern. Für den Formel-1-Kenner ist es unverständlich, dass einige Teams vier Wochen lang mit halbfertigen Autos testen, nur um dann beim Saisonauftakt in Bahrain wieder ein komplett neues Aerodynamikpaket einzuführen, das dann vor Ort binnen kürzester Zeit erprobt werden muss.

Surer versteht Neweys Entscheidung

"Wenn du noch nicht fertig bist und feststellst, dass du noch mehr anders machen kannst, im Windkanal weiterhin Verbesserungen findest, dann macht es nicht viel Sinn, mit dem Auto rumzufahren und dann zum ersten Rennen zu gehen, denn was bringt dir das, wenn du mit den falschen Teilen das falsche Setup ausgetüftelt hast? Daher finde ich es richtig, erst ein fertiges Auto auf die Teststrecke zu bringen", unterstützt er die Red-Bull-Entscheidung.

"Für die Zuverlässigkeit ist es sicher gut, früh und viel zu fahren, aber wenn du die Aerodynamik veränderst, veränderst du vielleicht auch die Balance des Autos. Daher muss das Auto meiner Meinung nach in der letzten Woche der Wintertests fertig sein. Du kannst nicht neue Teile nach Bahrain bringen und am Freitag auf einer sandigen Strecke ausprobieren", übt Surer indirekt Kritik an Mercedes und Co.

Adrian Newey

Er ist der große Hoffnungsträger von Red Bull: Stardesigner Adrian Newey Zoom

Red Bull erzielte im Februar genau wie Ferrari und McLaren drei Tagesbestzeiten, zwei davon entfielen auf Webber. Der Australier war übrigens auch am halbwegs repräsentativen Schlusstag in Barcelona um einen Hauch schneller als Vettel. Aber auffällig war die Defektanfälligkeit des RB6, der zwar phasenweise absolut perfekt lief, an manchen Tagen aber doch deutlich mehr in der Garage stand als die Konkurrenz.

Wie sehr wird Willis fehlen?

Möglicherweise hätte man dafür Neweys rechte Hand Geoff Willis vergangenen Sommer nicht ziehen lassen sollen: "Für mich ist das ein Genie - ein verkanntes Genie offensichtlich, weil er immer wieder aneckt", findet Surer. "Er war sozusagen zuständig für die Zuverlässigkeit der Autos, die ein bisschen gelitten hat, nachdem er weg war, auch wenn sie das wieder in den Griff bekommen haben. Ich weiß nicht, ob der Verlust wirklich spürbar ist, aber für mich ist er ein fähiger Mann. So einen zu verlieren, kann eigentlich nicht gut sein."

Dafür blieb die Technikabteilung sonst weitgehend unverändert, ebenso wie die Aufstellung der Renningenieure: Vettel arbeitet weiterhin mit Guillaume "Rocky" Rocquelin zusammen, Webber mit Ciaron Pilbeam. Insgesamt arbeiten laut Teamangaben 550 Angestellte für Red Bull. Das sind deutlich weniger als etwa bei Ferrari (900) oder McLaren (850), aber angesichts des Sparkurses in der Formel 1 sollte diese Belegschaft ebenso ausreichend sein wie das geschätzte Jahresbudget von 150 Millionen Euro.

Geoff Willis

Arbeitet nicht mehr für Red Bull, sondern als Dallara-Berater: Geoff Willis Zoom

Die meisten Experten zählen Red Bull neben Ferrari, McLaren und Mercedes zum Kreis der vier heißesten WM-Anwärter. Ferrari und Red Bull werden in diesem Zusammenhang am häufigsten genannt. Selbst Mercedes-Sportchef Norbert Haug räumt ein: "Ich schätze Red Bull sehr stark ein." Ob Red Bull 2010 wirklich Flügel verleiht, werden er und der Rest der Welt schon bald erfahren...


Fotos: Red Bull, Testfahrten in Barcelona


Saisonstatistik 2009:

Team:

Konstrukteurswertung: 2. (153,5 Punkte)
Siege: 6
Pole-Positions: 5
Schnellste Rennrunden: 6
Podestplätze: 16
Ausfallsrate: 14,7 Prozent (4.)
Durchschnittlicher Startplatz: 5,6 (2.)
Testkilometer 2010: 4.944 (8.)
Testbestzeiten 2010: 3 (1.)

Qualifyingduelle:

Vettel vs. Webber: 15:2

Sebastian Vettel (Startnummer 5):

Fahrerwertung: 2. (84 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 4
Podestplätze: 8
Pole-Positions: 4
Schnellste Rennrunden: 3
Durchschnittlicher Startplatz: 4,4 (1.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 17,6 Prozent (12.)
Testkilometer 2010: 2.599 (12.)
Testbestzeiten 2010: 1 (5.)

Mark Webber (Startnummer 6):

Fahrerwertung: 4. (69,5 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 2
Podestplätze: 8
Pole-Positions: 1
Schnellste Rennrunden: 3
Durchschnittlicher Startplatz: 6,7 (4.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 11,8 Prozent (8.)
Testkilometer 2010: 2.346 (15.)
Testbestzeiten 2010: 2 (1.)