Ferrari sucht den Vettel von morgen

Als letztes Topteam gründet nun auch Ferrari eine eigene Nachwuchsakademie - Luca Baldisserri stellte das Projekt in Maranello vor

(Motorsport-Total.com) - Im Schatten der Präsentation des neuen Ferrari F10 stellte der italienische Traditionsrennstall heute in Maranello auch die neue Fahrerakademie vor, deren Ziel es ist, den Michael Schumacher oder Sebastian Vettel von morgen zu finden. Hauptverantwortlicher für die Ferrari-Akademie ist Luca Baldisserri, ein hochrangiger Ingenieur des Formel-1-Teams.

Titel-Bild zur News: Marco Zipoli, Daniel Zampieri und Pablo Sánchez López

Ferrari will künftig noch viel stärker in die Nachwuchsförderung eingreifen

"Das Hauptziel ist, Fahrer zu finden, die Ferrari in Zukunft in der Formel 1 repräsentieren und dort Rennen gewinnen können", erklärt der Italiener. Der Nachwuchskader soll aus fünf bis sechs Fahrern bestehen, die "bis Mitte Februar" vorgestellt werden. Derzeit steht nur der amtierende Meister der Formel-3-Euroserie, Jules Bianchi, als Ferrari-Junior fest. Der Franzose durfte im vergangenen Dezember sogar schon den Grand-Prix-Boliden testen.#w1#

Ferrari hat die Akademie gemeinsam mit dem italienischen Verband CSAI ins Leben gerufen. Die nicht zuletzt deswegen gegründete Formel Abarth soll den Einstieg bilden: "In den 80ern sind neue Fahrer vielleicht mit 25 Jahren in die Formel 1 gekommen. Jetzt werden sie immer jünger - so im Bereich von 21, 22 Jahren. Daher setzen wir auf eine Pyramidenstruktur, die auf sechs bis sieben Jahre ausgelegt ist, bis die Formel 1 erreicht wird", erläutert Baldisserri.

Pyramide vom Kart bis in die Formel 1

"Diese Pyramide beginnt schon im Kart. Dann kommen die ersten Formelserien, zum Beispiel die Formel Abarth, die dank der CSAI eingeführt werden konnte. Von da geht es weiter in die Formel 3 und die Formel 2 oder die GP3 und die GP2 oder die Renault-World-Series. GP2 und World-Series sind schon sehr nahe an der Spitze der Pyramide, die natürlich von der Formel 1 gebildet wird", gibt er weiter zu Protokoll.

Das erste Sichtungsverfahren besteht aus psychologischen und medizinischen Tests sowie einer Probefahrt in einem Formel Abarth. Sollten die Nachwuchstalente dann als solche eingestuft und in die Akademie aufgenommen werden, bekommen sie mit den Formel-1-Testfahrern Andrea Bertolini und Marc Gené routinierte Tutoren zur Seite gestellt. Außerdem stehen die Firma Med-Ex und Fernando Alonsos Physiobetreuer Fabrizio Borra als Trainer und Mentalcoaches zur Verfügung.

Trainiert wird vor allem in den beiden Simulatoren des Formel-1-Teams, wobei Ferrari über eine statische und eine dynamische Variante verfügt, in der Fliehkräfte realistischer transportiert werden können, und natürlich auf den Teststrecken in Fiorano, Mugello und Vallelunga. "Uns ist wichtig, dass wir die Fahrer auf die körperlichen und mentalen Belastungen vorbereiten, die sie in einer Qualifying- oder Rennsituation erleben werden", sagt Baldisserri.

"Wir sind die Letzten, die so ein Förderprogramm starten, denn unsere Konkurrenten machen das schon seit vielen Jahren", verweist er auf vergleichbare Projekte von Red Bull, Renault oder McLaren. "Umso wichtiger war es uns, die Sache richtig und vor allem eigenständig anzugehen. Das sieht man schon am Namen: Wir wollen eine Akademie schaffen, in der unsere Fahrer technisch und menschlich reifen können."

Fest steht, dass "nicht nur Italiener" aufgenommen werden, aber wer entdeckt die Formel-1-Stars von morgen eigentlich für Ferrari? "Wir müssen uns organisieren, denn es gibt jedes Jahr mehr Rennserien, die nicht immer den höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Also brauchen wir ein Netzwerk an Scouts, die junge Fahrer für uns sichten werden", sagt Baldisserri. Bertolini wird diese Funktion ebenso wahrnehmen wie Giancarlo Minardi. Mit einem US-Scout wird noch verhandelt.


Fotos: Präsentation des Ferrari F10


Hohe Kosten, noch kein Sponsor

Weil die Akademie ein "riesiges Investment" darstellt, beinhaltet sie klarerweise auch eine Ausbildung abseits der Rennstrecke, "damit die Jungs mit den Journalisten reden können, wenn sie nach einem Rennen befragt werden - und nicht nur von Journalisten, sondern auch von Sponsoren und Investoren. Englisch ist Pflicht und Fahrer aus anderen Ländern sollten Italienisch können, wenn sie zu uns kommen. Den Unterricht bieten wir als Service an", so Baldisserri.

Und weiter: "Wir sind Techniker und keine Manager. Das ist der Unterschied zu anderen Nachwuchsprogrammen", unterstreicht er. "Wir wollen unsere Fahrer so ausbilden, wie es ein Ingenieur gerne haben würde. Telemetrie gibt es schon im Kartsport, also sollten die Jungs lernen, die Daten zu lesen. Und wenn es einmal nicht läuft, sollen sie auch nicht aufgeben, sondern nach Lösungen suchen, bis es wieder besser wird. Das ist die Mentalität, die wir vermitteln wollen."

Auf Italiener beschränken will man sich bewusst nicht, denn "die Motivation eines jungen Mannes, der zum Beispiel aus Kolumbien kommt und dort alles stehen und liegen gelassen hat, ist wahrscheinlich höher als die eines Italieners, der nach der Arbeit nach Hause fahren kann. Wir sind aber davon überzeugt, dass wir in Einzeltrainings das Maximum aus allen jungen Männern herausholen können", erläutert Baldisserri.

Der Druck, der auf den Junioren lastet, ist hoch: "Wir werden die Fahrer jeweils am Jahresende bewerten. Natürlich erwarten wir im Idealfall den Meistertitel in der jeweiligen Serie", sagt er und verweist auf die Konkurrenz: "Vettel war erst Red-Bull-Fahrer, dann ging er zu BMW und erst dann holte ihn Red Bull zurück. Da hat Red Bull einen schlechten Job gemacht. Es liegt an uns, ein solches Talent nicht ziehen zu lassen, wenn wir auf eines stoßen."

Natürlich besteht auch immer die Gefahr, dass einem ein Talent weggeschnappt wird, aber dagegen will sich Ferrari so gut wie möglich absichern: "Wir formulieren die Verträge so, dass wir selbst entscheiden können, ob der Fahrer für Ferrari oder für ein anderes Team fahren soll, wenn er reif für die Formel 1 ist. Sollte ein anderes Team unseren Fahrer wollen, muss mit uns ein Preis verhandelt werden", stellt Baldisserri klar.

Talent alleine reicht nicht

"Vielleicht wird es nie passieren, dass wir einen Fahrer in unser Formel-1-Team bringen. Mit Talent wird man geboren, aber dann muss man hart arbeiten, um es nicht verkümmern zu lassen", zeigt sich der Italiener realistisch. "Da wollen wir ansetzen, denn heute braucht ein Fahrer alles, um in die Formel 1 zu kommen: Talent, die richtige Einstellung und Geld. Es hat schon viele Riesentalente gegeben, die nicht hart genug gearbeitet und es deshalb zu nichts gebracht haben."

Jules Bianchi

Jules Bianchi steht als erster und einziger Fahrer der Akademie bereits fest Zoom

Denkbar wäre auch, dass man einen Fahrer durch die Nachwuchsserien bringt, er aber der Herausforderung Formel 1 nicht gewachsen ist. Was dann? "Sobald ein Fahrer die Spitze der Pyramide erreicht hat, müssen wir entscheiden, ob er für die Formel 1 reif und talentiert genug ist. Ist das nicht der Fall, dann wäre es durchaus vorstellbar, ihn in einer anderen Rennserie zu platzieren", meint Baldisserri und verweist beispielsweise auf das FIA-GT-Programm.

"Die drei Kandidaten, die sich in den Formelklassen am besten schlagen, dürfen unser Formel-1-Auto testen", stellt er in Aussicht. Allerdings klarerweise kein aktuelles Auto, denn Testkilometer damit sind heutzutage rar, aber ein Modell aus dem Sortiment der F1 Clienti. Baldisserri: "Die zwei, drei Jahre alten Ferraris sind sowieso viel leichter zu fahren!" Zuletzt wurde diese einmalige Chance im Dezember drei Junioren eröffnet, darunter auch Bianchi.

Ferraris größtes Problem ist, dass man im Gegensatz zu Red Bull kein eigenes Juniorteam in der Formel 1 hat. Stattdessen muss man die Fahrer aus der Nachwuchsakademie zunächst anderswo platzieren, sollten sie für Ferrari noch nicht reif genug sein. Davon könnten Teams wie Sauber oder Toro Rosso profitieren, "weil wir ihre Arbeitsmethoden im Interesse unseres Fahrers verändern werden, falls nötig", findet Baldisserri.

Einer der heißesten Kandidaten auf einen Platz in der Ferrari-Akademie war lange Zeit Mirko Bortolotti, aber: "Bortolotti hat Verträge mit Red Bull unterschrieben. Er war Bestandteil ihres Juniorteams und hat im vergangenen Jahr auch für sie getestet. Er muss erst seine Verbindung zu Red Bull kappen, bevor er für uns in Frage kommt", hält Baldisserri fest. Immerhin: Aus dem Red-Bull-Juniorteam wurde Bortolotti schon entfernt...