• 07.08.2008 09:27

  • von Roman Wittemeier

Ferrari: Gutes Auto, gute Fahrer, schlechte Phase?

'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer über die Leistungsschwankungen bei Ferrari und die Motivationsprobleme von Kimi Räikkönen

(Motorsport-Total.com) - Beide Piloten haben noch intakte Titelchancen, in der Konstrukteursmeisterschaft führt man mit immerhin elf Zählern Vorsprung, das Auto ist schnell - Die Bedingungen bei Ferrari scheinen rundum gut zu sein, dennoch gibt es regelmäßig traurige Gesichter im Lager der Italiener. Man macht oftmals zu wenig aus den blendenden Möglichkeiten. Jüngstes Beispiel ist der Ausfall von Felipe Massa beim Grand Prix in Ungarn, als ihm wegen eines Motorschadens nur zehn Kilometer vor dem Ziel der sichere Sieg durch die Hände glitt.

Titel-Bild zur News: Stefano Domenicali

Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali hat zuletzt häufig Rückschläge erlitten

Nach Pleiten, Pech und Pannen gibt es in Maranello jeden Montag nach einem Rennen häufig die gleichen Szenen und Aussagen. Beim Meeting mit Luca di Montezemolo wird Bilanz gezogen und Klartext gesprochen. Oftmals musste der Ferrari-Boss in den vergangenen Wochen auf den Tisch hauen und seine Mannschaft zu konzentrierter Arbeit anhalten. "Ich habe schon zu Beginn der Saison gesagt, dass ich auf die Reaktion der italienischen Führung gespannt bin, wenn es mal schief geht", erklärte 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer.#w1#

Droht hausinterner Krach bei Ferrari?

"Bisher ging es viel besser als ich es erwartet habe. Die Tendenz ist aber da, dass irgendwann die englische Ruhe und vielleicht auch Polarisierung fehlt, die ein Ross Brawn damals hatte", schätzte Surer, der die Problembewältigung in Maranello mit Spannung verfolgt. Das Pulverfass Ferrari könnte irgendwann zur Explosion kommen. In den zurückliegenden Wochen hat sich die Stimmung beim Traditionsrennstall auch dadurch verändert, weil Felipe Massa immer häufiger vor dem amtierenden Weltmeister Kimi Räikkönen fährt.

Die Hackordnung droht zu kippen, auch dank der Leistungssteigerung des Brasilianers. "Er hat immer noch die fahrerischen Blackouts: der Dreher in Malaysia, die Rekordzahl an Drehern in Silverstone. Wenn er mal neben den Schuhen ist, dann richtig. Aber er ist sauschnell, das war er eigentlich schon immer. Er ist jetzt aber öfters sauschnell. Er kriegt das jetzt häufiger auf die Reihe, dass er das umsetzen kann, was in ihm steckt. Da hat er eindeutig eine Steigerung hingelegt", so Surer, der die Stärke von Massa auch auf eine Schwäche von Räikkönen zurückführt.

Felipe Massa

Drama in Ungarn: Felipe Massa fällt kurz vor Schluss in Führung liegend aus Zoom

"Offensichtlich hat Räikkönen ein ähnliches Problem wie Nick Heidfeld. Das Auto taugt ihm nicht so. Vor allem, was die Qualifikation angeht. Er scheint Probleme mit der Balance zu haben und kriegt es für eine Runde nicht auf die Reihe. Es ist nur ein Problem über die eine schnelle Runde. Das erkennt man daran, dass er im Rennen fast immer die schnellste Runde dreht. Der hat in diesem Jahr schon sieben Mal die schnellste Rundenzeit im Rennen gefahren. Das bedeutet: Der Ferrari ist gut, aber Kimi bekommt es nicht auf eine Runde hin."

Räikkönen mit Motivationsproblemen?

In der aktuellen Situation - mit einem starken Gegner im eigenen Stall - wurde dem Finnen zuletzt immer wieder Lustlosigkeit vorgeworfen. "Ich habe auch so den Eindruck. Wir wissen aus dem vergangenen Jahr, dass er schneller fahren kann als Massa, wenn er will. Er macht das dieses Jahr aber sehr selten. Ich habe auch das Gefühl, dass er nicht so motiviert ist wie im letzten Jahr, als er unbedingt Weltmeister werden wollte", erklärte der 'Premiere'-Co-Kommentator.

"Ein Fahrer lebt auch von seiner Motivation und beim Rennfahren spielt sich viel im Unterbewusstsein ab. Jetzt hat er den Weltmeistertitel gewonnen und natürlich wäre es schön, noch einen zweiten zu gewinnen. Er fährt gerne Auto und er macht das alles, aber der letzte Biss ist weg." Räikkönen steht offenbar am Scheideweg: Weiter Vollgas und Druck, oder lieber Freiheit und süßes Leben als Privatier? Nicht wenige Fachleute gehen davon aus, dass der amtierende Champion ernsthaft über ein Karriereende nachdenkt.

"Er fährt gerne Auto und er macht das alles, aber der letzte Biss ist weg." Marc Surer

"Ich habe sogar ein bisschen Verständnis dafür", sagte Surer in seiner ausführlichen Analyse. "Er hat so viel einstecken müssen. Man muss sich nur an die Jahre bei McLaren-Mercedes erinnern, als er immer ausgefallen ist und immer fast Weltmeister wurde, der schnellste Mann im Feld war und nicht gewinnen konnte. Jetzt hat er das Auto, mit dem er gewinnen kann und hat das dann auch geschafft. Er hat sein Ziel erreicht und sieht nun, dass es nur mit viel, viel Aufwand geht. Man hat starke Gegner, er sogar im eigenen Team und dann gibt es noch diesen Hamilton. Er weiß also, wie schwer es ist, noch einmal Weltmeister zu werden und daher lässt die Anspannung etwas nach. Ich verstehe das."