• 16.10.2008 12:36

  • von Roman Wittemeier

Feature: Von Gummi geben und nehmen

Trotz Einheitsreifen macht die Wahl der Gummis in der Formel 1 einen großen Unterschied aus - Vier Aufgaben für vier Walzen

(Motorsport-Total.com) - Der Reifen kam schon bald nach der Erfindung des Rades. Um es in motorsportlichen Worten zu sagen: Die Menschheit ist schon seit langer Zeit auf der Suche nach Grip! In vielen Rennsport-Serien machen Reifen einen großen Unterschied aus. Es geht um Lenkverhalten, Traktion, Bremswirkung, Haltbarkeit, im Serienbau um Fahrkomfort und Verbrauch sowie im Regenfall auch um Wasserverdrängung. Den unscheinbaren schwarzen Gummirollen kommt überall eine wichtige Bedeutung zu. Die Entwicklung wird immer weiter vorangetrieben.

Titel-Bild zur News: Reifen Tyres

Bridgestone ist seit Anfang 2007 Alleinausrüster der Formel 1

Im Kartsport treibt die Gripsuche die wildesten Blüten. Teils liegt auf den Strecken eine zentimeterhohe Gummischicht. Es hat schon mehrere Fälle gegeben, wo Kartpiloten im hinteren Starterfeld zu langsam wurden und noch vor der Startfreigabe regelrecht festklebten und nicht mehr vom Fleck kamen - Grip sei Dank das Rennen beendet, bevor es begonnen hat. Ganz so extrem ist die Gummi-Szenerie in der Formel 1 nicht, aber dennoch sind die Reifen ein fragiles Hightech-Produkt.#w1#

Bei Größe und Form kein Spielraum

"Der Aufbau eines Reifens ist für die Leistung grundlegend wichtig", erklärt Bridgestone-Entwicklungschef Hirohide Hamashima. "Das ist ein Bereich, der einfacher klingt als er in Wirklichkeit ist. Die Regeln geben uns einen gewissen Rahmen vor, in dessen Grenzen natürlich noch große Unterschiede herrschen können." In der Formel 1 ist das Format der Reifen fixiert: Vorne werden 270/55 R13 gefahren, hinten haben die Rollen die Größe 325/45 R13.

Zur Erklärung: Die erste Zahl (270) gibt die Breite in Millimeter an, der zweite Wert (55) gibt Aufschluss über das Verhältnis von Höhe zu Breite und die dritte Zahl (13) gibt den Durchmesser der Felgen in Inch wieder. Im Motorsport erfüllt der Reifen gleich vier wichtige Aufgaben. Er muss Beschleunigung ermöglichen, Verzögerungen aushalten, das Gewicht eines Autos tragen und Richtungswechsel mitmachen.


Fotos: Großer Preis von China, Pre-Events


"Sowohl der Vorder- als auch der Hinterreifen haben bei Richtungswechseln einen wichtigen Job, wobei der vordere Reifen auch noch auf die Impulse des Fahrers reagiert, wenn der am Lenkrad dreht", erklärt Hamashima. Und weiter: "Der Hinterreifen bekommt ebenfalls seine Befehle vom Piloten, denn wenn der auf das Gaspedal tritt, muss es Vortrieb geben.

"In fast allen Formelserien ist der Vorderreifen schmaler als der Hinterreifen", erklärt der japanische Fachmann. "Wenn es um die Traktion eines Formel-1-Autos geht, dann wären breitere Reifen sicherlich wünschenswert. Wir haben in der Vergangenenheit ja auch schon deutlich breitere Reifen gesehen, weil sie besser in den Bereichen Traktion und Lenkverhalten sind."

Breiter ist nur bedingt auch schneller

Doch man kann in der Breite auch zu weit gehen, sagt Hamashima: "Selbst wenn wir keine Grenzen durch die Regeln hätten, würden wir nicht deutlich breitere Reifen bauen, weil die modernen Formel-1-Autos einfach gar nicht dafür ausgelegt sind. Ein breiterer Reifen würde zwar mehr Auflagefläche bieten, aber auch aerodynamisch mehr im Wind stehen und einen größeren Rollwiderstand erzeugen. Das könnte die Autos auf der Geraden langsamer machen, auch wenn etwas breitere Reifen mehr Tempo in den Kurven zulassen würden."

Das die Verwendung eines modernen Formel-1-Reifens eine besondere Aufgabe ist, hört man in den vergangenen Jahren immer häufiger. Wie oft hat man den Satz "Ich habe die Reifen nicht auf Temperatur gebracht" in den vergangenen Monaten gehört. Ein schmales Temperaturfenster ermöglicht ein optimales Arbeiten des Gummis. Sturz, Reifendruck, Mischung und Fahrstil sind nur vier Faktoren, die auf die Temperatur des Pneus Einfluss haben.

Das kommende Formel-1-Jahr stellt die Bridgestone-Techniker vor eine neue Herausforderung. Die Slicks kehren zurück. "Wir werden dann eine vergrößerte Auflagefläche bei gleichbleibenden Ausmaßen des Reifens haben", so Hamashima. "Weil dann keine Rillen mehr da sind, können wir in den Mischungen etwas weicher werden. Wir müssen dann keine Rücksicht mehr darauf nehmen, dass wir die Rillenstruktur schützen."

Slicks

Im kommenden Jahr kommen endlich wieder Slicks zum Einsatz Zoom

"Wir werden mehr Grip haben", sagt der japanische Techniker. Aber er schränkt ein: "Gleichzeitig gibt es durch die neuen Regeln für 2009 weniger Abtrieb. Die Last auf den Reifen wird also geringer und das kann sich durchaus auf den Bau solcher Slicks auswirken. Man muss immer im Auge behalten, wie viel Downforce solch ein Auto erzeugt."

"Wenn ein Formel-1-Auto steht, dann übt nur das reine Gewicht den Druck aus und drückt den Reifen zusammen. Wenn aber ein Auto in Bewegung ist und vielleicht sogar auf viel Abtrieb getrimmt ist, dann nimmt dieser Druck enorm zu, allein wegen der Aeodynamik." Entsprechend müssen dann härtere Strukturen und Mischungen verwendet werden, weil die Anforderungen ungleich höher sind.

Regenreifen als Meister der Verdrängung

Noch ausgeklügelter werden die Reifen, wenn es um Wasserverdängung geht. Die Form ist dieselbe, aber die Anforderungen sind ganz andere als bei trockener Fahrt. "Ein Trockenreifen ist in etwa wie eine Rolle Klebeband auf der Bahn", beschreibt Hamashima. "Beim Regenreifen ist das ganz anders. Der ist eher wie Mehl: Wenn du Wasser hinzufügst, dann fängt er an zu kleben. Die Art, wie solch ein Regenreifen arbeitet bedeutet, dass er bei wirklich nassen Verhältnissen deutlich länger hält, als ein Trockenreifen bei trockener Strecke."

Allerdings gilt dieser Satz ohne Einschränkung nur dann, wenn der Regen die Strecke konstant und gleichmäßig nass hält. Bei normalen Formel-1-Rennen mit einer Dauer von 90 bis 120 Minuten ist dies allerdings nur ganz selten der Fall. "Bei Regenrennen haben wir meistens wechselnde Gripverhältnisse. Das macht es für die Zuschauer so spannend. Kein Fahrer weiß genau, in welcher Kurve er wie viel Grip hat."

"Kein Fahrer weiß genau, in welcher Kurve er wie viel Grip hat." Hirohide Hamashima

Für unterschiedliche Verhältnisse bekommen die Teams unterschiedliche Reifen an die Hand. Jeder Pilot hat pro Rennwochenende vier Sätze Intermediates (laut FIA "wet") und drei Sätze Regenreifen (FIA-Jargon "extreme wet") zur Verfügung. "Am schwierigsten ist die Entscheidung, welchen Reifen ich bei wechselnden Bedingungen wähle", sagt Hamashima. "Der passende Reifen entscheidet über Sieg oder Niederlage. Wir haben das in diesem jahr in Silverstone erlebt, als sich die Bedingungen rasend schnell änderten."

Die beiden verschiedenen Reifensorten für nasse Bedingungen unterscheiden sich grundlegend in Profilform und -tiefe. "Wir nutzen bei unseren Entwicklungen richtige Regensimulationen", erklärt der Bridgestone-Chefentwickler. "Die ganzen neuen Erkenntnisse lassen sich zum Großteil auch auf die Serie übertragen. Ein Regenreifen muss unter verschiedensten Bedingungen arbeiten. Das ist auf der Straße auch gefragt."