F1-Nachwuchs: Auf der Suche nach dem nächsten Antonelli und Bearman
In der Formel-1-Saison 2025 mangelt es nicht an Rookies - Hinter den Kulissen wird in der Kartszene aber schon nach dem nächsten großen Talent gesucht
(Motorsport-Total.com) - Die Formel-1-Saison 2025 wird als eine der besten seit Jahren gefeiert, wenn es um Neuzugänge geht. Fünf vollwertige Rookies treten ihren Dienst an - mit besonderem Augenmerk auf Hamilton-Nachfolger Andrea Kimi Antonelli bei Mercedes.

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Antonelli und Bearman haben den Sprung in die Formel 1 geschafft Zoom
Gleichzeitig debütiert Ferrari-Protege Oliver Bearman für Haas, während Jack Doohan bei Alpine startet. Isack Hadjar, das nächste Red-Bull-Talent, tritt bei Racing Bulls an, und Formel-2-Champion Gabriel Bortoleto erhält eine Chance bei Sauber.
Neben großem Talent haben alle fünf dank eines Juniorprogramms oder einer Nachwuchsakademie den Weg in den Sport gefunden. Diese Programme spielen nicht nur für angehende Formel-1-Fahrer, sondern auch für die Teams eine immer größere Rolle.
Motorsport ist eine extrem teure Sportart mit hohen Einstiegshürden, was ein großes Hindernis für Kinder darstellt, die nicht aus wohlhabenden Verhältnissen stammen oder keine Sponsoren haben, die sie schon früh fördern. Doch auf dem Radar eines Formel-1-Teams zu erscheinen, kann über eine Karriere in jungen Jahren entscheiden.
Für die Teams selbst haben Juniorprogramme enorme Vorteile gezeigt. Namen wie Lando Norris, George Russell und Charles Leclerc sind Beispiele dafür, wie talentierte Fahrer durch solche Programme auf die große Bühne vorbereitet wurden.
Formel-1-Teams ändern ihre Ansätze
Jedes Team verfolgt eine eigene Philosophie, wobei in den letzten Jahren ein Trend zu beobachten ist: Die Unterstützung jüngerer Talente weiter unten auf der Karriereleiter. Dies steht im Gegensatz zu früheren Ansätzen, bei denen sich viele Fahrer in der Formel 3 und Formel 2 drängten - ein Problem, das Red Bull früher oft hatte.
Dies hat zu einer Art Wettrüsten in den unteren Ligen des Kartings geführt. In den letzten Monaten hat McLaren den 14-jährigen belgischen Kart-Weltmeister Dries van Langendonck verpflichtet, während Williams jüngere Talente wie den 11-jährigen Will Green und den 10-jährigen Lucas Palacio aufgenommen hat.
Die Suche nach dem nächsten großen Ding führt dazu, dass Teams, die weiter unten in der Rangliste stehen, sich interessante Talente schnappen, bevor die Konkurrenz es tut. Doch in der Fülle an Talenten die vielversprechendsten herauszufiltern und zu erkennen, welcher Youngster das Zeug hat, ist eine Herausforderung.
"Man muss jedes Jahr tief in die Kart- und Juniorformeln eintauchen", erklärt Jock Clear, der unter anderem für die Driver Academy von Ferrari verantwortlich ist. "Man spricht mit Kart-Teams und Insidern der Szene, denn es gibt viele talentierte Kinder, und es ist extrem schwer zu wissen, wer wirklich das größte Potenzial hat."
"Der Schnellste muss nicht unbedingt der Talentierteste sein. Die Verzerrung gibt es immer noch im Kartsport, wo sich einige der Kids eine viel bessere Ausrüstung leisten können, zu besseren Teams gehen und jedes Wochenende testen können. Einige von ihnen versuchen nur, am seidenen Faden zu hängen", weiß Clear.
"Also muss man sich die Rosinen herauspicken. Wir werden in diesem Alter nie wissen, ob sie der nächste Lewis Hamilton sind, selbst wenn sie sich dramatisch von den anderen abheben, aber zumindest suchen wir nach einigen Schlüsselqualitäten."
Gwen Lagrue, Berater für Fahrerentwicklung bei Mercedes, dass es keine Garantie gibt, dass jeder Rohdiamant für die Formel 1 geschliffen werden kann, betont aber, dass er über die reine Geschwindigkeit hinaus auch auf Persönlichkeitsmerkmale achtet.
"Natürlich suchen wir nach Geschwindigkeit", sagt Lagrue, der als Mentor für Esteban Ocon, Russell und Antonelli im Mercedes-Programm gilt. "Aber ich achte auf Konstanz, die Art und Weise, wie sie sich verteidigen, Überholmanöver vorbereiten und Ähnliches. Außerdem legen wir großen Wert auf ihre Einstellung, den familiären Hintergrund, ihre Erziehung und versuchen zu verstehen, woher sie kommen."
"Ich denke, dass wir uns von anderen Programmen unterscheiden, denn jeder Fahrer ist ein spezifisches Projekt und benötigt eine maßgeschneiderte Unterstützung."
"Das versuchen wir zu verstehen, wenn sie im Go-Kart unterwegs sind, und dann setzen wir die richtigen Leute um sie herum ein, um alles richtig zu machen, wenn sie ihre Go-Kart-Karriere beenden und bevor wir in einen Einsitzer wechseln."
"Wir arbeiten mit Menschen, sie sind keine Roboter. Daher hat man nie die Garantie, dass sie Erfolg haben oder eine Leistung erbringen werden", weiß Lagrue, auch wenn man über die Jahre ein gewisses Gespür für künftige Talente entwickelt.
"Wenn man es gewohnt ist, Champions in diesem Alter zu treffen, kann man an der Art, wie sie bestimmte Fragen beantworten, erkennen, ob sie anders oder reifer sind", erklärt er. "Aber in den ersten Tagen hat man nie eine wirkliche Antwort."
Förderung setzt in jungen Jahren an
Ferrari lädt jährlich zu einem Scouting-Camp in Maranello ein, wo die im vergangenen Jahr gesichteten Talente umfassend bewertet werden. "Das bedeutet, vier oder fünf Tage mit ihnen zusammen zu sein: mentale Beurteilung, physische Beurteilung, Gespräche mit ihnen, Mittagessen mit ihnen", erklärt Clear.
"Es ist wie ein ausführliches Vorstellungsgespräch über mehrere Tage. Dabei bewerten wir ständig etwas. Es geht nicht nur darum, ob sie in Fiorano am schnellsten sind. Denn selbst wenn sie nicht die Schnellsten sind, wissen wir, ob sie das Talent haben, nachdem wir drei oder vier Tage intensiv mit ihnen gearbeitet haben."
Wenn die Fahrer, die unter Vertrag genommen werden, im Grunde noch junge Kinder sind, müssen Akademien eine feine Balance finden, um ihnen Raum zur Entfaltung zu geben und gleichzeitig den Druck auf verantwortungsvolle Weise zu erhöhen.
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"Ich war wahrscheinlich einer der Ersten, die in den Kartsport und zu sehr jungen Fahrern gegangen sind, wie wir es zum Beispiel mit Kimi getan haben. Wir haben ihn mit elf Jahren unter Vertrag genommen", sagt Lagrue. "Ich schaue mir gerne die internationale Mini-Kategorie an, bevor sie in die Junior-Kategorie wechseln."
"Wenn sie zwölf Jahre alt sind, lassen wir sie auch genießen, was sie tun, denn das ist sehr wichtig. Wir versuchen, ihnen den Raum zu geben, wirklich zu zeigen, wer sie sind. Wir lassen sie ihre eigenen Fehler machen und ihr Ding durchziehen, und dann bauen wir langsam die richtige Organisation um sie herum auf."
"Es geht nicht nur um den Rennsport, denn wenn man einen Zwölfjährigen unter Vertrag nimmt, wächst er mit uns auf und steht den Herausforderungen des Lebens gegenüber. Das macht es sehr interessant und herausfordernd. Wie helfen wir ihnen, all das zu meistern und trotzdem starke Ergebnisse zu liefern? Man wird auch zu einer Art Vertrauensperson, könnte man sagen", gibt Clear zu bedenken.
Dabei räumt er ein: "Der Übergang von Kindern zu reifen jungen Erwachsenen ist nicht unsere Expertise. Wir sind nicht ihre Familie, wir sind nicht ihre Schule."
"Und das ist ein weiterer wichtiger Faktor. Wir achten darauf, dass sie ein starkes Unterstützungsnetzwerk zu Hause haben und die Eltern die richtige Einstellung mitbringen. Man kann den Leuten nur etwas beibringen, wenn sie die nötige Reife mitbringen, und das ist Teil des Lernprozesses", erklärt Clear.
Warum Junioren nicht verhätschelt werden
Obwohl sie von einer Elite--Organisation mit der besten Ausrüstung und einem Top-Coaching unterstützt werden, bedeutet das nicht, dass Juniorfahrer verhätschelt werden.
Stattdessen wird von ihnen erwartet, die Initiative zu ergreifen, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und ihre Karriere voranzutreiben, indem sie sich proaktiv engagieren, denn nur so kann sich ein guter Rennfahrer in einen großartigen verwandeln.
"Absolut", nickt Clear. "Man braucht junge Männer und Frauen, die sofort zeigen, dass sie ihre Karriere selbst managen können, die proaktiv und objektiv sind, realistisch in ihren Erwartungen. Es gibt ein starkes Verlangen zu sagen: 'Ich werde alles gewinnen. Das ist alles, was ich tue. Ich bin einfach ein Gewinner.'"
"Und wenn Leute das zu mir sagen, denke ich schon: 'Okay, du wirst ein hartes Leben haben und es nicht schaffen, denn du wirst nicht alles gewinnen.' In all ihren Karting-Klassen haben sie alles gewonnen, und dann kommen sie in die Formel 3 und treffen auf viele Leute, die genauso schnell sind wie sie."
"Sie werden nicht immer der schnellste Fahrer sein, wie sie denken. Wie schnell kommen sie mit der Tatsache zurecht, dass es nicht nur um die reine Geschwindigkeit geht? Das kann für sie mental eine ziemliche Herausforderung sein", warnt Clear.
Guillaume Roquelin, der lange als leitender Formel-1-Ingenieur - unter anderem als Renningenieur von Sebastian Vettel - tätig war und sich jetzt um die jungen Fahrer von Red Bull kümmert, schließt sich den Gedanken seines Ferrari-Kollegen an.
"Der Wunsch, sich ständig als Fahrer zu verbessern, ist eine Qualität, die wir fördern möchten, daher ist es wirklich wichtig, dass dies vom Fahrer ausgeht", sagt Roquelin im Podcast Talking Bulls. "Wir sind da, um sie auszubilden, ihnen Möglichkeiten und Lösungen zu präsentieren, aber wir sind nicht da, um sie zu verhätscheln."
"Es gibt Dinge, die man nicht weiß, es sei denn, jemand sagt es einem. Wir sind da, um das zu vermitteln, aber das war's auch schon", hält Roquelin fest und ergänzt: "Ein gutes Beispiel dafür ist, dass wir zu Beginn des Jahres eine körperliche Beurteilung eines Fahrers vornehmen und sagen: 'Das ist nicht gut genug. Das ist das Ziel, das du in sechs Monaten erreichen musst.' Fertig. Das war's, mach es."
"Wenn der Fahrer keinen Physiotherapeuten hat, geben wir ihm natürlich ein paar Empfehlungen, vielleicht ein Trainingsprogramm. Aber letztendlich sind wir nicht dazu da, ihnen zu sagen, dass sie zehn Liegestütze machen sollen, verstehen Sie?"
"Ob Ernährung oder technische Unterstützung - das sind die Bereiche, die wir abdecken können. Wir geben Empfehlungen. Die Entscheidungen treffen sie selbst. Letztlich wird beurteilt, ob sie die Ziele erreichen oder nicht. Bei Red Bull wollen wir Individuen. Wir wollen nicht übermäßig beschützen, wir bieten einen Rahmen."
Letztlich ist ein Nachwuchsprogramm nur so glaubwürdig wie seine Ergebnisse, und wenn man das unveränderte Fahreraufgebot ohne Rookies für den Start der Saison 2024 isoliert betrachtet, könnte man meinen, dass es ein Problem gibt, neues Blut in die Serie zu bekommen. 2025 stellt eine Art Kurskorrektur dar.
Fahrer wie Antonelli und Bearman, wie zuvor Russell und Leclerc, zeigen jungen Formel-1-Hoffnungen auf der ganzen Welt, dass es einen glaubwürdigen Weg zu einem Platz gibt, nicht nur innerhalb von Red Bull, sondern im gesamten Starterfeld.
Mehr Chancengleichheit schaffen
Da immer mehr Teams ein vollwertiges Akademieprogramm entwickeln, hat der Wettbewerb um die Entdeckung und Verpflichtung der nächsten Generationstalente den Charakter eines Wettrüstens angenommen. Clear räumt ein, dass Ferrari im Auge behält, was die Konkurrenz tut, und entsprechend seine Herangehensweise überdenkt.
"Es ist ein bisschen wie ein Wettrüsten", gibt er zu. "Was passiert, ist, dass man von jungen Kartfahrern hört, und dann hört man, dass McLaren diesen Jungen bereits verpflichtet hat, und man denkt: 'Oh, vielleicht haben wir da etwas verpasst.'"
"Wir werden sehen, ob die Jungs, die sie in diesem Alter aufnehmen, sich als gut herausstellen. Es ist etwas problematischer, weil sie so viel jünger sind. Es bleibt viel Zeit, in der sie scheitern könnten, und man muss mehr Geld ausgeben, wenn man bereits ab zwölf Jahren in sie investiert. Der Beweis liegt im Ergebnis."
"Wir schauen uns an, was McLaren gemacht hat, oder was Mercedes gemacht hat, und passen uns gegebenenfalls an. Grundsätzlich konzentrieren wir uns aber darauf, Talente zu finden, die sich von anderen abheben, anstatt irgendwelche Jungs aufzunehmen, die ein paar Rennen gewonnen haben. Sonst überfordert man sich."
"Es geht darum, wie gut wir wirklich talentierte Fahrer auf diesem Niveau identifizieren können. Und wenn wir glauben, dass wir das nicht können, machen wir es nicht."
Lagrue ist der Meinung, dass es gut ist, wenn sich mehr Teams im Kartsport engagieren, aber er ist nicht einverstanden mit der Vorstellung eines Wettrüstens. "Wir denken nicht darüber nach, was andere tun", entgegnet er und betont: "Es ist kein Wettbewerb, diesen Jungen oder jenes Mädchen zu verpflichten."
"Erstens können wir nicht alle aufnehmen, also ist es ganz gut, wenn auch andere ein paar Kinder auswählen. Und zweitens habe ich nicht das Gefühl, dass wir aufgrund unserer Strategie jemanden übersehen haben. Ich bevorzuge es, mich auf eine kleine Gruppe von Fahrern zu konzentrieren, um sie an die Spitze bringen - oder, wenn sie es nicht in die Formel 1 schaffen, sicherzustellen, dass sie Profis werden."
"Ich bin jetzt seit neun Jahren bei Mercedes und wir haben Esteban, George und jetzt Kimi durchgebracht. Wir können genauso über Pascal Wehrlein oder Alex Albon sprechen, denn die waren auch bei uns", zählt Lagrue einige Namen auf.
"Natürlich gab es auch Jungs wie Lando Norris oder Oscar Piastri, aber wir waren sowieso nicht bereit, ihnen etwas anzubieten, als sie verfügbar waren", erklärt er.
Mit ihren Budgets und Förderwegen haben Formel-1-Teams die Möglichkeit, die Chancengleichheit zu verbessern - sei es, indem sie Kindern aus bescheidenen Verhältnissen Chancen bieten oder weibliche Fahrer fördern. Mittlerweile sind alle zehn Teams in der rein weiblichen F1-Academy engagiert.
"Dorian Pin und der Versuch, mehr Mädchen für den Motorsport zu begeistern, ist ein wichtiges Projekt für uns", betont Lagrue. "Wir arbeiten intensiv daran, den Zugang zum Sport für möglichst viele junge Fahrer zu öffnen, egal ob Junge oder Mädchen."
"Ein aktuelles Beispiel ist, dass wir Kenzo Craigie, der die Kart-Weltmeisterschaft gewonnen hat, und James Anagnostiadis, der aus Australien ohne Geld kam und letztes Jahr das Finale der Champions of the Future (ein Programm, das den Kartsport zugänglicher machen soll; Anm. d. R.) gewann, Chancen gegeben haben."
"Wir haben James unter Vertrag genommen, und er wurde Zweiter in der Weltmeisterschaft, knapp hinter Kenzo. Das zeigt, dass man auch mit begrenzten finanziellen Mitteln in ein Formel-1-Programm einsteigen kann", hält Lagrue fest.


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