• 07.09.2007 20:28

  • von Fabian Hust

Ein Dilemma: Ingenieure schauen nur auf die Rundenzeit

Technische Direktoren erklären, wie es dazu gekommen ist, dass man in der heutigen Formel 1 kaum noch überholen kann und wagen einen Blick in die Zukunft

(Motorsport-Total.com) - Noch vor einigen Jahren war es gang und gäbe, dass in der Formel 1 rund 30 Prozent der Teilnehmer die Zielflagge nicht sahen, aber Jahr für Jahr scheinen die Autos zuverlässiger zu werden, was nicht zuletzt wohl der Tatsache zu verdanken ist, dass der Motor und demnächst auch das Getriebe per Reglement auf Langlebigkeit ausgelegt ist und allgemein technische Fortschritte erzielt werden. Beim Großen Preis der Türkei sahen zuletzt bis auf Mark Webber alle Fahrer das Ziel.

Titel-Bild zur News: Nick Heidfeld vor Fernando Alonso

Selbst bei unterschiedlichen Autos ist an ein Überholen häufig nicht zu denken

Gleichzeitig bedeutet dies jedoch, dass man kaum eine Chance auf WM-Punkte hat, wenn man im Rennen nicht dementsprechend weit vorn starten kann, da es in der modernen Formel 1 nicht nur kaum Ausfälle sondern auch kaum Überholmanöver gibt. "Zwischen der sportlichen Herausforderung und der Herausforderung des Ingenieurwesens gibt es sehr häufig eine interessante Verbindung", meint Renault-Chefingenieur Pat Symonds.#w1#

"Die Herausforderung des Ingenieurs kann darauf vereinfacht werden, ein Auto zu produzieren, das Rennen gewinnen kann. Das lässt sich sehr einfach sagen, aber wenn man sich dies ein wenig genauer anschaut, dann ist es vielleicht nicht so augenscheinlich, wie es dies zu sein scheint."

"Wenn man sich zum Beispiel im Moment die Aerodynamik anschaut, so verbringen wir einen großen Teil unserer Zeit in unseren Windkanälen und mit unseren Simulationen am Computer, um ein Auto herzustellen, das über die bestmögliche aerodynamische Effizienz verfügt, denn wir wissen, dass uns dies die beste Rundenzeit beschert. Und im Moment dreht sich alles darum, die beste Rundenzeit aus dem Auto zu quetschen, um Rennen zu gewinnen."

"Wenn man sich nun eine Situation vorstellt, in der man ein sportliches Reglements hat, so wie es das in der GP2 gibt, dann würde die Tatsache, dass man für das zweite Rennen in der Startaufstellung weiter hinten stehen würde, wenn man das erste Rennen mit einem Auto gewinnt, das schnell war, dazu führen, dass man das Ingenieurwesen ein wenig anders betrachtet."

"Mit anderen Worten: Man würde nicht die ganze Zeit im Windkanal verbringen und sich darauf konzentrieren, die bestmögliche Effizienz zu erzielen und das Auto darauf zu trimmen, die minimale Rundenzeit zu erreichen. Man würde tatsächlich etwas Zeit damit erbringen, sich das Überholen anzuschauen, denn man würde wissen, dass man an einem Punkt des Wochenendes Überholmanöver vollführen müsste, egal wie erfolgreich man darin wäre, das eigene Auto schnell zu machen."

"Aus diesem Grund müsste man dieses Thema besser studieren, man müsste herausfinden, wie man dies schaffen kann. Das sportliche Reglement wird also wohl entscheiden, wie die Ingenieure ihr Problem angehen, und vielleicht ist das die Art und Weise, wie man über dieses Problem nachdenken sollte", so der Brite über das seit Jahren existierende Problem, dass in der "Königsklasse des Motorsports" kaum überholt werden kann.

Kollege Geoffrey Willis von Red Bull Racing stellt sich die Frage, ob eine hohe Zuverlässigkeit zu schlechten Rennen führt: "Ich denke, dass die einfache Antwort Nein ist, das ist nicht der Fall. Meiner Meinung nach ist es für die Leute enttäuschend, wenn sie ein Rennen anschauen, in dem die Hälfte der Autos das Rennen nicht beendet. Die MotoGP ist zum Beispiel mit einem hohen Niveau an Zuverlässigkeit sehr erfolgreich."

"Ich denke, dass das Problem die Tatsache ist, dass die Autos zu einfach zu fahren sind, so dass die Fahrer dazu in der Lage sind, fast 95 bis 99 Prozent des Rundenzeiten-Potenzials abzurufen, und sie tun dies während zwei oder drei Abschnitten des Rennens. Es werden also sehr wenige Fehler gemacht, und dies ist einer der Gründe, warum wir zu viele Prozessions-Rennen sehen."

"Wenn wir die Autos schwieriger zu fahren machen könnten, so dass man sich häufig in einer Position befindet, in der man neben die Ideallinie kommt, von der Strecke rutschte, zurückkommen muss, die Person vor dir überholen muss, dann könnten wir wieder darüber nachdenken, unsere Autos so zu entwerfen, dass wir mehr tun müssen, als nur gegen die Uhr zu fahren."

Der Brite vertritt also ebenfalls die Meinung, dass es eine Aufgabe des Reglements ist, dementsprechend einzugreifen: "Ich denke, dass Fehler häufiger passieren, wenn wir die Autos entscheidend schwieriger zu fahren machen, denn die Fahrer können einfach nicht 100-prozentig fahren, da es für sie zu riskant ist. Dann sehen wir ein größeres Durcheinander und womöglich bessere Rennen."

Mario Almondo, Chefdesigner bei Ferrari, kann sich der Meinung seiner Kollegen anschließen: "Die sportlichen Regeln geben dir die Schranken deiner technischen Probleme vor. Wenn die Regeln erst einmal klar genug sind, dann muss man entwickeln und sein Ingenieurwesen so handhaben, dass man das schnellste Auto haben kann. Das ist die erste Sache."

"Der zweite Schritt ist, dass man in Bezug auf die technische Anstrengung die bestmögliche Arbeit leistet, sein Geld in jene Richtung investiert, die durch die sportlichen Regeln definiert wird. Vielleicht ist es besser zu sagen, dass nicht alles von der Zuverlässigkeit abhängt, wenn man erst einmal eine klare Richtung hat, denn zuverlässige Autos geben einem in der Realität nur die Möglichkeit, ein Rennen zu sehen, in dem alle Autos zuverlässig sind und das Rennen beenden."

"Der Punkt ist der, dass auch in diesem Fall die sportlichen Regeln womöglich schwieriger sein müssen, um allen die Möglichkeit zu geben, zuverlässig zu sein. Wenn man zum Beispiel eine Regel verabschiedet, dass das ganze Wochenende über ein Auto oder Teile des Autos gewechselt werden dürfen, dann bin ich mir sicher, dass die Zuverlässigkeit schwieriger zu erreichen sein wird. Sie würde dadurch auf einem anderen Niveau liegen, ich würde also sagen, dass dies immer ein zweischneidiges Schwert ist."

Auch Willy Rampf, Technischer Direktor des BMW Sauber F1 Teams, gesteht, dass die meisten Überholmanöver in diesem Jahr grundsätzlich durch die Boxenstopps zustande kommen und die Zuverlässigkeit der Autos sehr hoch ist: "Aber ich denke nicht, dass es korrekt ist, nur deshalb eine Änderung am Reglement vorzunehmen, um ein schnelles Auto zu bestrafen und zu einer künstlichen Strafe zurückzukehren, nur um das Feld durcheinander zu wirbeln."

"Wenn wir auf das kommende Jahr schauen, dann wird es keine Traktionskontrolle geben, mit Sicherheit ist es also schwieriger, die Autos zu fahren. Im Jahr danach werden die Konzepte der Autos ziemlich unterschiedlich sein, und ich denke, dass die Rennen dann ziemlich anders sein werden, da es ein komplett anderes Auto-Konzept mit viel weniger Abtrieb geben wird. Die Teams werden unterschiedliche Herangehensweise an die Entwicklung des Autos haben, und ich denke, dass es aufgrund der Änderungen am Reglement automatisch mehr Überholmanöver geben wird."