Dupasquier: "Keine Zeit, darüber nachzudenken"

Michelin-Sportchef Pierre Dupasquier im 'F1Total.com'-Interview über seinen nahenden Rücktritt, Sternstunden, Niederlagen und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Sieg von Fernando Alonso in Magny-Cours, der für Michelin beim Heimrennen in Frankreich und nach der Schlappe von Indianapolis psychologisch genau zum richtigen Zeitpunkt kam, nahm sich Sportchef Pierre Dupasquier Zeit, um mit 'F1Total.com' ausführlich über die derzeitige Situation seines Unternehmens in der Königsklasse des Motorsports zu sprechen. Ein Teil des Interviews kann hier nachgelesen werden, ein anderer erscheint in der nächsten Ausgabe der 'FORMEL aktuell', die ab 15. Juli überall am Kiosk erhältlich ist.

Titel-Bild zur News: Pierre Dupasquier

Dupasquier wird mit Ende der Saison 2005 seine Formel-1-Karriere beenden

Dupasquier, inzwischen immerhin schon 67 Jahre alt, sprach mit uns unter anderem über seinen nahenden Rücktritt am Jahresende, die größte Sternstunde und die größte Niederlage sowie über den Vorteil, wesentlich mehr Teams als Bridgestone auszurüsten. Darüber hinaus unterhielten wir uns mit dem Franzosen über die Situation im Bereich der Regenreifen, in denen Michelin in der Vergangenheit oft im Nachteil war. Dies habe sich seither geändert - und im Trockenen sprechen neun Siege in zehn Rennen ohnehin Bände.#w1#

"Das Technische Reglement ist sehr eng gestrickt"

Frage: "Pierre, Bridgestone kann nur mit drei Teams weiterentwickeln, ihr mit sieben, was sicher ein Vorteil für euch ist. Dieser Vorteil ist umso größer, je eher eure Teams in dieselbe Entwicklungsrichtung gehen. Tun sie das?"
Pierre Dupasquier: "Ja und nein. Das Technische Reglement der Formel 1 ist sehr eng gestrickt und die Autos sind dadurch einander sehr ähnlich. Zum Beispiel sind die für die Reifen relevanten Parameter wie das Gewicht auf jedem Reifen, das Gesamtgewicht, die Gewichtsverteilung, die Breite und die Länge des Autos, das Fahrverhalten über die Randsteine, der aerodynamische Anpressdruck und natürlich die Geschwindigkeit bei allen Autos sehr ähnlich."

"Der Trick für die Ingenieure in der Formel 1 ist, die Regeln hundertprozentig zu verstehen, damit man sie besser ausschöpfen und sich von anderen Ingenieuren abheben kann. Dadurch stößt man auf unterschiedliche Lösungen, die ein paar Zehntelsekunden pro Runde ausmachen, was im Rennsport sehr wichtig ist. Wenn man diese paar Zehntelsekunden in technische Daten und Parameter umrechnet, ist das nichts. Wenn alle genau wüssten, wo sie die Zeit finden können, dann hätten alle dasselbe Auto. Die Unterschiede sind also sehr gering."

"Bevor wir zu einer Rennstrecke kommen, analysieren wir alle vorhin angesprochenen Parameter - und die Lösungen, auf die wir für die einzelnen Teams in Sachen Reifentypen stoßen, liegen meistens sehr eng beieinander. Natürlich gibt es marginale Unterschiede, zum Beispiel im Verhalten der Traktionskontrolle oder in der Balance auf Long-Runs. Das kann schon ein bisschen was ausmachen."

"Arbeiten am meisten mit der schnellsten Kombination"

"Wir arbeiten natürlich am meisten mit der schnellsten Kombination zusammen, denn dort haben sie das beste Team, das beste Auto, die besten Fahrer. Mit ihnen arbeiten wir schon enger zusammen als mit den restlichen Teams, aber die restlichen Teams sind damit einverstanden, denn sie orientieren sich ja selbst auch am schnellsten Auto im Feld. In einem Satz gesagt: Es gibt Unterschiede zwischen den Teams, aber keine allzu gravierenden."

Frage: "Verwenden eure beiden Top-Teams, Renault und McLaren-Mercedes, meistens dieselbe Reifenmischung?"
Dupasquier: "Meistens verwenden sie sehr ähnliche oder sogar identische Mischungen. Die Reifenmischung wird in erster Linie vom Streckenzustand und von den Rennbedingungen insgesamt beeinflusst. Die Autos fahren ja klarerweise zur gleichen Zeit auf der gleichen Strecke, daher sind die Gummimischungen in der Regel identisch."

Frage: "Ihr dürft für jedes Team pro Rennwochenende zwei verschiedene Reifentypen anbieten. Wie viele Reifentypen sind das insgesamt pro Veranstaltung?"
Dupasquier: "In Magny-Cours waren es zum Beispiel nur zwei Reifentypen. Prime- und Option-Reifen waren für alle gleich. Allerdings haben sich von diesen beiden Reifen dann nicht alle für denselben entschieden."

Dupasquier hat keine Angst vor dem nächsten Regenrennen

Frage: "In der Vergangenheit hattet ihr im Regen meistens einen Leistungsnachteil gegenüber Bridgestone. Mit welchen Gefühlen blickst du dem nächsten Regenrennen entgegen?"
Dupasquier: "Es stimmt, zu Beginn waren wir im Regen katastrophal unterwegs. Wir waren einfach nicht konkurrenzfähig. Schade, dass wir dieses Jahr noch kein Regenrennen hatten, denn ich denke, wir sind gut gerüstet. Am Samstagmorgen in Magny-Cours hatten wir nasse Bedingungen, aber da sind unsere Freunde (Bridgestone; Anm. d. Red.) leider nicht auf die Strecke gegangen. Ich verweise in diesem Zusammenhang aber auf das letzte Rennen im letzten Jahr in Brasilien: Räikkönen hat damals Barrichello mit Intermediates überholt, obwohl es nass war. Wir sind sehr optimistisch, uns in diesem Bereich verbessert zu haben, und wir gehen davon aus, dass wir konkurrenzfähig sein werden."

Frage: "Am besten habt ihr bisher immer bei feuchten Bedingungen ausgesehen..."
Dupasquier: "Ja, das stimmt."

Frage: "Vor einigen Wochen hat der Reifenhersteller Kumho angekündigt, 2007 in die Formel 1 einsteigen zu wollen. Glaubst du, dass sie diesen Schritt wirklich machen werden?"
Dupasquier: "Warum nicht? Für Bridgestone hat es ja auch funktioniert: Außerhalb Asiens waren sie vor der Formel 1 praktisch nicht bekannt, nur durch Firestone in den USA, also war es marketingtechnisch ein sehr geschickter Schachzug. Heute kennt jeder Bridgestone, aber vor zehn Jahren war Bridgestone niemandem ein Begriff. Warum also nicht?"

Von drei oder mehr Reifenherstellern hält Dupasquier wenig

Frage: "Kannst du dir eine Formel 1 mit drei oder sogar vier Reifenherstellern prinzipiell vorstellen?"
Dupasquier: "Prinzipiell ja, aber in der Praxis würde das nicht funktionieren. Wenn als Reifenhersteller dein Auto um zwei Sekunden langsamer ist als die Konkurrenz, verschwendest du nur Ressourcen. Das hätte keinen Sinn."

Frage: "Pascal Vasselon, bis vor kurzem sozusagen deine rechte Hand bei Michelin, hat euer Unternehmen verlassen und ist zu Toyota gewechselt. Wie kann Toyota davon profitieren und wie verstehst du dich heute mit ihm?"
Dupasquier: "Wir verstehen uns sehr gut. In Magny-Cours saßen wir auch einmal zusammen, um ein bisschen zu plaudern. Pascal ist ein Ingenieur, der sich sehr gut mit Fahrwerken auskennt. Er hat seine Karriere bei Renault begonnen, aber er kennt sich auch mit Reifen sehr gut aus. Natürlich kann er mit seinem Wissen jedem Team helfen. Wir selbst schätzen diese Situation auch, denn so haben wir einen bestmöglichen Ansprechpartner im Team, mit dem wir über unsere Probleme reden können."

Frage: "Ist es deiner Meinung nach von Vorteil für Toyota, einen Reifenexperten im Team zu haben?"
Dupasquier: "Die Zukunft wird es zeigen. Aber auf dem Papier ist es ein Vorteil, ja."

Rücktritt für den 67-Jährigen noch kein präsentes Thema

Frage: "Du wirst dich Ende dieses Jahres zurückziehen. Wie fühlst du dich jetzt, wo du weißt, dass du nicht mehr allzu viel Zeit im Motorsport übrig hast?"
Dupasquier: "Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken. Wir arbeiten sehr hart, 18 Stunden am Tag. Ich werde später herausfinden, wie ich mich fühle..."

Frage: "Ich kann mir gut vorstellen, wie du mit einem Glas Rotwein in einem Schaukelstuhl vor deinem Haus sitzt. Wie siehst du dich selbst? Wirst du komplett vom Motorsport wegkommen?"
Dupasquier: "Man ist entweder drinnen oder draußen - irgendetwas dazwischen macht im Motorsport für mich keinen Sinn. Ich werde mich daher wahrscheinlich aus dem Motorsport verabschieden, zumindest von den Autorennen."

Einführung der Radialreifen als größte persönliche Sternstunde

Frage: "Welcher positive Moment bleibt dir als besonders denkwürdig in Erinnerung?"
Dupasquier: "Als wir bei Michelin bewiesen haben, dass die Radialkonstruktion Grands Prix gewinnen kann, war das ein sehr schöner Moment. Das war in Brasilien 1978. Als dann auch Goodyear auf Radialreifen umgestiegen ist, war das unsere technische Errungenschaft und unser Sieg."

Frage: "Und negativ? Gehört Indianapolis 2005 dazu?"
Dupasquier: "Der Start des Rennens war aus unserer Sicht natürlich eine Katastrophe, die man nur sehr, sehr schwer verkraften kann. Aber da ging es vor allem um die Emotionen des Publikums, um die Fans."

Frage: "Wer wird deiner Meinung nach Weltmeister? Im Moment riecht es sehr nach Fernando Alonso, aber es sind noch neun Rennen zu fahren..."
Dupasquier: "Die beiden Teams (Renault und McLaren-Mercedes; Anm. d. Red.) sind sehr eng beisammen. Die beiden Fahrer, die um den Titel kämpfen (Alonso und Kimi Räikkönen; Anm. d. Red.), sind auch sehr talentiert - sie können sich ein Rennen gut einteilen, sind sehr stark. Beide haben alle Qualitäten eines Weltmeisters. Sie haben Erfahrung, wissen, wie man Rennen gewinnen kann, sind konstant. Ihre Teams sind von der Kultur her aber grundverschieden. Dennoch können auch ihnen mal Fehler unterlaufen. Und es ist schließlich nicht wie bei Ferrari, dass sie nur Doppelsiege feiern und immer um eine Sekunde schneller sind als die Konkurrenz. Es ist schwieriger. Gewinnen wird der, der konstanter in die Spitzenplätze fahren kann."