Domenicali: "Fernando ist eben ein Racer"
Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali über den Großen Preis von China, den Frühstart von Fernando Alonso und das teaminterne Duell in der Boxengasse
(Motorsport-Total.com) - Für das italienische Ferrari-Team verlief der Große Preis von China alles andere als nach Wunsch: In der Qualifikation erwies sich Red Bull einmal mehr als starker Gegner und im Rennen hatten die Roten prompt mit ihren ganz eigenen Problemen zu kämpfen. Fernando Alonso musste nach seinem Frühstart einmal zusätzlich durch die Boxengasse fahren, kaufte seinem Teamkollegen Felipe Massa aber dennoch den Schneid ab. Teamchef Stefano Domenicali sieht das allerdings eher gelassen.

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Teamchef Stefano Domenicali hatte in China viel Freude an seinem Piloten-Duo
Frage: "Stefano, Ferrari hat in China die Führung in beiden WM-Wertungen verloren. Wie lautet dein Fazit zum Rennen in Schanghai und wie beurteilst du die vier Auftaktrennen?"
Stefano Domenicali: "Bei einem so verrückten Rennen müssen wir einfach die Punkte nach Hause fahren. In diesem Grand Prix gab es wirklich ein paar besondere Situationen. Bei dem ganzen Wasser auf der Strecke hätten wir vielleicht auch ein anderes Ergebnis erzielen können. Aber so ist es nun einmal."#w1#
"Wir haben uns eben die Punkte gesichert, die in diesem Rennen für uns drin waren. Zusammenfassend muss ich im Hinblick auf die vier ersten Grands Prix allerdings festhalten, dass wir etwas enttäuscht sind. Wir hätten mehr Punkte holen können - alleine schon aufgrund des Leistungsniveaus unseres Autos. Das ist ein Fakt."
"Andererseits müssen wir auch anerkennen, dass der Wettbewerb seit dem Saisonauftakt ungeheuer eng und hart ist. Wir werfen die Flinte deswegen aber noch lange nicht ins Korn und wollen vielmehr möglichst viel Druck machen, um sicherzustellen, dass wir ab sofort in jedem Rennen genug WM-Zähler einstreichen."
"In diesem Rennen ist uns ein Fortschritt gelungen, doch die Konkurrenz ist ebenfalls vorangekommen. So sieht der Rennsport in diesem Jahr aber aus und dementsprechend gestaltet sich auch unsere Situation."
Kein Teamzwist bei Ferrari
Frage: "Was sagst du zum Manöver von Fernando Alonso gegen Felipe Massa bei der Einfahrt in die Boxengasse? Haben die diversen Doppelstopps eures Teams möglicherweise ein besseres Resultat verhindert?"
Domenicali: "Nein. Ganz im Gegenteil: Ich muss unserer gesamten Mannschaft gratulieren. Gleich dreimal haben wir einen Doppelstopp absolviert."
"Uns ist sehr wohl klar: Ein kleiner Fehler oder ein kleines Problem können die Situation komplett verändern. Beim Boxenstopp kannst du Positionen verlieren oder gewinnen. Wir dürfen heute sehr zufrieden sein mit der Arbeit, die unsere Boxencrew verrichtet hat. Die Bedingungen waren alles andere als einfach."
Frage: "Wie siehst du das Duell zwischen deinen beiden Piloten eingangs der Boxengasse? War das nicht ein überaus riskantes Manöver?"
Domenicali: "Wenn man Rennen fährt, dann sieht man eben auch solche Manöver - gar keine Frage. Fernando ist eben ein Racer."
"Felipe hat sich in dieser Situation jedenfalls sehr gut verhalten. Ich kann seine Gefühle nachvollziehen, das ist sicherlich nicht einfach für ihn. Wichtig für das Team ist jedenfalls: Diese Episode hat unsere Philosophie nicht verändert. Das ist in meinen Augen das Wichtigste."
Trotz Frühstart: Alonso begeistert die Scuderia
Frage: "Wie lautet dein Kommentar zur Aufholjagd von Fernando im Rennen? Zweite Frage: Siehst du eine Möglichkeit, wie sich Ferrari in den kommenden Rennen in Bezug auf die Qualifikation steigern kann?"
Domenicali: "Nach seinem Frühstart hat Fernando schlichtweg ein unglaublich tolles Rennen gezeigt. Er hat attackiert und ständig Druck gemacht."
"Mehr zu erreichen, war in meinen Augen nicht möglich. Im Prinzip hat er ja einen Boxenstopp mehr als die anderen absolviert - und war trotzdem vorne mit dabei. Er hat also eine großartige Leistung gezeigt. Der Frühstart an sich war natürlich sehr frustrierend für ihn, keine Frage. So ist es nun eben."
"Wenn es so eng zugeht, dann sind halt auch die kleinen Augenblicke ungeheuer wichtig. Der Rennstart ist ein solcher Moment, auf den wir uns allesamt überaus konzentrieren. Andererseits arbeiten wir sehr hart daran, um in Spanien einige neue Entwicklungen einzuführen. Wir haben an diesem Wochenende gesehen, dass die anderen ebenfalls aufgerüstet haben."
"Der Abstand zwischen den Teams ist so gering, dass man schnell im Mittelfeld verschwindet, wenn man einen kleinen Fehler macht oder im Entwicklungsrennen nicht Schritt hält. So ist die Lage in dieser Meisterschaft, doch das war uns ja bewusst. Auf diese Weise gehen wir die vor uns liegenden Rennen an."
Ferrari: Die Qualifikation als Schwachpunkt
Frage: "Wie hast du den Frühstart von Fernando gesehen?"
Domenicali: "Ganz ehrlich: Als ich den Start auf dem Fernseh-Bildschirm verfolgte, dachte ich nur: 'Mamma Mia - was für ein Start! Das ist einfach fantastisch!' Nach einer Weile wurde uns dann klar, dass es ein Frühstart war."
Frage: "Du sagtest vorhin, ihr hättet nicht alles aus euren Möglichkeiten gemacht. Was könnte ihr tun, um künftig besser abzuschneiden und um sich bietende Chancen beim Schopfe zu packen?"
Domenicali: "Ich denke, man kann nach den ersten Rennen festhalten, dass wir unterm Strich nicht die Punkte eingefahren haben, die wir eigentlich hätten holen sollen. Das ist alles."
"Vielleicht müssen wir unsere Arbeitsweise etwas umstellen - speziell im Hinblick auf die Qualifikation. Das Zeittraining ist ungeheuer wichtig und unsere direkten Konkurrenten sind in Bezug auf die Rundenzeit in dieser Phase des Wochenendes etwas besser aufgestellt als wir."
"Wir müssen uns also in der Qualifikation steigern. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dem Wagen etwas mehr Leistung zu verleihen. Immerhin können wir uns nun nicht mehr darüber beklagen, dass die Rennen langweilig wären. Der Regen hat sicherlich eine große Rolle gespielt. Unter anderen Bedingungen hätten wir womöglich mehr Punkte eingefahren."
"Wir müssen das Ergebnis aber so hinnehmen, wie es ist. Die Abstände in der Gesamtwertung sind aktuell zu vernachlässigen. Das liegt am neuen Punktesystem. Wichtig ist, weiter konkurrenzfähig zu sein und möglichst bald wieder auf dem Podium vorstellig zu werden."
Welche Reifen kommen 2011 zum Einsatz?
Frage: "Als Michael Schumacher noch für euer Team unterwegs war, kam er in regnerischen Bedingungen immer hervorragend zurecht und hat viele Erfolge eingefahren. Wie lautet dein Kommentar zu seiner aktuellen Leistung?"
Domenicali: "Mir ist klar, dass die Bedingungen heute überaus schwierig waren. Die Situation bei den Reifen war ebenfalls nicht gerade einfach. Aber ganz ehrlich: Ich habe mich heute vielmehr auf unsere beiden Fahrer konzentriert. Ich habe mich nicht wirklich mit der Situation von Michael auseinander gesetzt."
Frage: "Kannst du uns einen Einblick in die Reifenpolitik der Formel 1 geben? Es gab in den vergangenen Tagen einige Meetings in Bezug auf die künftigen Rennreifen ab 2011..."
Domenicali: "Dieses Thema ist natürlich sehr wichtig für die Zukunft der Formel 1. Bislang kann ich dazu sagen, dass Michelin einen Vorschlag eingereicht hat. Dieser Ansatz wird aktuell ausgewertet."
"Wir wollen sicherstellen, dass wir aus technischer und kommerzieller Sicht die beste Variante wählen. Das ist eine Sache. Andererseits steht im Raum, dass man einen weiteren Reifenhersteller in die Serie holt, der 2011 einsteigen könnte. In Barcelona sollten wir diesbezüglich aber klarer sehen. Bis dorthin sollte die künftige Reifensituation soweit feststehen."
Die Formel 1 in der Warteschleife
Frage: "Wie ist es um die Rückreise-Möglichkeit des Teams bestellt, wo der Flugverkehr in Europa doch lahmgelegt ist?"
Domenicali: "Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Im Prinzip hängen wir alle derzeit in der Warteschleife und müssen abwarten, was da vor sich geht. Wir haben diesbezüglich genau zwei Möglichkeiten: Entweder unsere gesamte Mannschaft macht sich auf die Reise oder wir bleiben alle gemeinsam hier."
"Wir könnten hier noch einmal ein Rennen fahren oder kollektiv nach Europa zurückreisen (lacht; Anm. d. Red.). Die Leute warten natürlich auf Neuigkeiten zur Situation. Im Augenblick sind unsere Flüge, auf die wir eigentlich gebucht waren, jedenfalls gestrichen."
"Vielleicht müssen wir also eine weitere Woche oder noch einmal zehn Tage hier bleiben. Auf welchem Weg wir zurückkehren können, weiß ich derzeit nicht. Wir schauen uns gegenwärtig auch andere Möglichkeiten an und ob wir zum Beispiel einen Charterflug erwischen könnten."
"Diese Lage betrifft aber nicht nur die Formel 1, sondern die gesamte Welt. Das dürfen wir nicht vergessen. Carmelo Ezpeleta hat mir gesagt, dass sie das MotoGP-Rennen in Japan aufgrund der Vulkan-Situation vom kommenden Sonntag auf Oktober verschieben. Von dieser Sache sind also alle betroffen."

