• 14.06.2010 03:27

  • von Dieter Rencken

Domenicali: "Die Performance war wirklich gut"

Fragerunde mit Stefano Domenicali: Wo Ferrari nach Montréal steht, warum Massa einen neuen Vertrag bekommen hat und was er von den Rennkommissaren hält

(Motorsport-Total.com) - Ferrari erlebte gestern in Montréal von der Performance her ein Revival, aber Felipe Massa ging dennoch komplett leer aus und Fernando Alonso wurde statt Erster nur Dritter. Der Spanier lag zwischendurch schon vor dem späteren Sieger Lewis Hamilton, wurde vom Briten aber ebenso überholt wie von dessen McLaren-Teamkollege Jenson Button. Teamchef Stefano Domenicali sprach im Anschluss an das Rennen über die wichtigen Ereignisse auf und abseits der Strecke.

Titel-Bild zur News: Stefano Domenicali

Stefano Domenicali ist mit der Performance von Montréal recht zufrieden

Frage: "Stefano, wie signifikant ist euer Update für Valencia? Kann es euch im WM-Kampf entscheidend helfen?"
Stefano Domenicali: "Wir hoffen es, aber ich möchte erst einen Punkt von heute analysieren: Heute hätten wir viel mehr rausholen können, denn die Performance war wirklich gut, ehrlich - obwohl das Auto genau gleich wie in der Türkei war. Dort haben uns neun Zehntel gefehlt. Wir müssen also behutsam damit umgehen, die Dinge nur schwarz oder weiß zu sehen."#w1#

Reifen wichtig wie nie

"Sicher sind die Reifen ein Schlüsselfaktor, keine Frage. Heute haben wir diesbezüglich die richtigen Entscheidungen getroffen. Leider wurde Felipe am Start zwischen zwei Autos eingeklemmt und Fernando wurde just in jenen Runden von Nachzüglern aufgehalten, die für das Rennen entscheidend waren. Das ist Part of the Game. Wir müssen aber sicherstellen, dass wir das Auto weiterentwickeln und dass die Verbesserungen mehr Anpressdruck auf der Strecke bringen, wo wir ihn brauchen."

"Der Schlüssel ist, jene Strecken zu knacken, auf denen man für bestimmte Reifen einen bestimmten Anpressdruck braucht. Um zurück zur Meisterschaft zu kommen: Die ist noch völlig offen. Ich habe gerade im Kopf überschlagen, dass wir mit Fernando in Führung liegen würden, wenn wir das Rennen heute gewonnen hätten. Das bedeutet, dass noch nichts entschieden ist. Das muss unsere Motivation sein, um jedes Rennen zu pushen, denn heute haben wir ein ganz anderes Bild gesehen als vor zwei Wochen."

Frage: "Nach Istanbul hieß es, dass Ferrari zu den ersten Rennen nicht allzu oft neue Spezifikationen gebracht hat. Ist das auch eure Strategie für die zweite Saisonhälfte oder plant ihr jetzt ein aggressives Entwicklungsprogramm?"
Domenicali: "Natürlich ist der Bedarf da, aggressiv weiterzuentwickeln, aber es ist klar, dass wir zu viel Aufwand dafür geopfert haben, diesen F-Schacht zu entwickeln. Dabei haben wir andere Bereiche vernachlässigt. Ab Valencia werden wir den Fokus wieder auf die anderen Bereiche verlagern, denn es ist ein sehr kompliziertes System, für das wir viele Ressourcen vom Gesamtprojekt abzweigen mussten."


Fotos: Ferrari, Großer Preis von Kanada, Sonntag


Frage: "Findest du, dass die Rennkommissare zu nachlässig geworden sind, seit Ex-Rennfahrer als Berater eingesetzt werden? Im Qualifying hier gab es den Zwischenfall mit Lewis Hamilton, heute die enge Szene zwischen Hamilton und Fernando Alonso. Wie siehst du das?"
Domenicali: "Vergiss bitte nicht, dass ich auch ein Mitglied des FIA-Weltrats bin, also muss ich aufpassen, was ich sage. Es ist Aufgabe der Kommissare, darauf zu achten, dass die Regeln befolgt werden. Daran habe ich keinen Zweifel."

"Natürlich ist es wichtig, keine Entscheidungen zu treffen, die falsch interpretiert werden können und die ein paar Stunden später kritisch hinterfragt werden müssen. Ich finde aber, dass die Regeln nicht zu streng interpretiert werden sollten, sonst bräuchte man eine Bibel! Manchmal ist eine pragmatische Herangehensweise erforderlich. Das macht es einfacher. Es kann nicht alles irgendwo niedergeschrieben sein - vergiss es! Als ich jung war, war ich auch Rennleiter, daher wage ich das so zu sagen."

Frage: "Bist du zufrieden mit der aktuellen Situation?"
Domenicali: "Ich glaube, wir alle zusammen müssen sicherstellen, dass einige Dinge, die dieses Jahr passiert sind, in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Zufrieden ist nicht das richtige Wort, aber ich bin auch nicht unzufrieden. Mein Rat ist, dass wir pragmatisch an die Sache herangehen sollten. Wie gesagt: Wenn man immer nach einer niedergeschriebenen Regel sucht, wo steht dann zum Beispiel die Benzinprobe? Die steht nicht im Reglement. Wenn man all diese Kleinigkeiten im Reglement haben will, dann wird das Reglement zu einer Bibel für alles."

Leichte Kritik an Hamilton-Manöver

Frage: "Findest du, dass McLaren Lewis Hamilton unsicher aus der Box hat fahren lassen und dafür bestraft werden müsste?"
Domenicali: "Es war am Limit, um ehrlich zu sein."

Frage: "Habt ihr um eine Strafe gebeten?"
Domenicali: "Nein, denn wir waren ja vorne. Soweit ich es mitbekommen habe, hat sich der Rennleiter die Situation angesehen und entschieden, dass es okay war. So etwas ist gut für die Show, keine Frage, aber es kann auch gefährlich sein. Okay, hier ist die Boxengasse ziemlich breit, aber unter anderen Umständen kann so etwas sehr gefährlich sein. Aber ich gratuliere ihnen zum Sieg."

Fernando Alonso

So schlimm sahen die Reifen von Fernando Alonso nach dem Rennen aus Zoom

Frage: "Wie steht Ferrari zum Limit von 400 Kilojoule bei KERS und wie siehst du die Ausgabenobergrenze für KERS?"
Domenicali: "Ein wichtiger Faktor, den die Teams erreicht haben, ist das höhere Minimalgewicht des Autos. Das hilft für den Einsatz von KERS. Natürlich wäre es uns lieber gewesen, eine höhere Energiekapazität zu haben, aber dafür gab es keinen Konsens. Deswegen haben wir uns für eine Sofortlösung entschieden. Jetzt müssen wir schauen, ob dieses System die erhoffte Leistung bringt."

Frage: "Habt ihr schon entschieden, ob Ferrari nächstes Jahr immer mit KERS fahren wird? Und stimmt es, dass die 400 Kilojoule nicht erhöht wurden, weil ein Hersteller seine Kapazität nicht erhöhen kann?"
Domenicali: "Ja, das scheint so. Wir mussten diese Entscheidung so akzeptieren, um einen Kompromiss zu finden. Wir werden mit KERS fahren, das steht fest."

Frage: "Bei jedem Rennen?"
Domenicali: "Theoretisch ja. Ich kann das jetzt noch nicht mit Sicherheit beantworten, aber wir haben es zumindest vor."

Frage: "Ihr habt Felipe Massa vor diesem Rennen für zwei weitere Jahre bestätigt. Normalerweise wartet ihr damit immer bis Monza. Warum diesmal so früh?"
Domenicali: "Das hätten wir auch tun können, aber Stabilität ist uns wichtig und wir glauben an Felipe. Außerdem wollten wir ihm gegenüber ein Zeichen setzen, nachdem er einen schwierigen Abschnitt seines Lebens überstanden hat. Daher hielten wir den Zeitpunkt für richtig."