Der Aufstieg der Elektronik
Als die Elektronik den Motorsport eroberte, war sie nicht mehr als ein kleiner Baustein im Gesamtkonzept, heute ist sie unerlässlich
(Motorsport-Total.com) - Die größten Entwicklungen im Grand-Prix-Sport fanden in den vergangenen 20 Jahren verdeckt statt. Als Fan sieht man, wie sich die Autos im Laufe der Zeit veränderten - gerade die aerodynamische Entwicklung ist gut ersichtlich, doch was sich unter dem Kleid aus Kohlefaser abspielte, war die eigentliche Revolution. Die Elektronik eines Formel-1-Autos war anfangs noch simpel.

© Ferrari
Die heutigen Aufgaben der Elektronik in der Formel 1 sind mannigfaltig
Das Tyrrell-Team experimentierte bereits 1977 mit einfachen Lösungen. Sensoren zeichneten einige Werte auf, die an der Box ausgewertet werden konnten. Mit der Computer-Technik dieser Zeit war das jedoch nicht immer ein einfaches Unterfangen. Der leitende Kopf bei Tyrrell war Dr. Karl Kempf, der heute ein ranghoher Entwickler der Prozessorschmiede 'Intel' ist.#w1#
"Vor 20 Jahren wurde die Elektronik im Motorsport gerade erst zu einer 'heißen Sache'", erklärte Dieter Gundel, der Chef der Elektronikabteilung bei Ferrari. "Seither hat es sich aus etwas, das nützlich war und einen kleinen Vorteil brachte, entwickelt und ist nun absolut notwendig. Ohne Elektronik würde sich nichts bewegen, nichts würde aufleuchten - gar nichts würde mehr funktionieren."
Die Straßenautos brachten die Elektronik in den Motorsport
Aber erst mit der rasend schnellen Entwicklung der Computer gewann auch die Elektronik im Motorsport an Bedeutung. "Dabei müssen wir allerdings zugeben, dass die eigentlichen Ideen aus den Straßenwagen kommen. Der Motorsport war in der Entwicklung nicht federführend", fährt Gundel fort. "Der offensichtlichste Wandel war sicher der Schritt vom Vergaser zur Benzineinspritzung. So hatte man eine bessere Kontrolle und weit mehr Einstellungsmöglichkeiten."
Den Grundstein für die "elektronische Revolution" legte die Turbo-Ära der Formel 1. Die aufgeladenen Motoren konnten nur dann gut funktionieren, wenn alle Rahmenbedingungen für die Einstellung der Triebwerke berücksichtigt wurden. "Da hat sich die Elektronik in den Sport gedrängt", erklärte er. "Wir hatten so viel Elektronik, dieses Gebiet wurde herausgepickt als jenes, das die größten Vorteile versprach. Hatte ein Team etwas Neues, dann folgte die anderen nur kurze Zeit später. Die Technologie galoppierte voran, allein wenn man die Rechenleistungen von heute mit der vor 20 Jahren vergleicht. Auf den Computern von damals hätte man nicht einmal ein kleines Spiel für Kinder laufen lassen können."
Auch das "Bastelstubenimage" der ersten Tage ist verschwunden. "Im Laufe der Zeit sank der Anteil der verlegten Kabel im Auto", nannte Gundel ein Beispiel. "Wir nutzen nun Kupferkabel, die nicht dicker sind als ein menschliches Haar. Auch die Sensoren wurden intelligenter, Informationen werden nun digital übertragen - eine weitere Errungenschaft, die von den Straßenautos herüberschwappte."
Militärtechnik und Simulationsstrategien
"Auch bei der Hardware hat sich einiges getan, sie ist leichter und kleiner, und natürlich ist auch die Erfahrung heute größer", fuhr er fort. "In der Vergangenheit haben wir Steckverbindungen aus der Militärtechnik verwendet, die für einen Einsatz von bis zu fünf Jahren ausgelegt waren. Für die Formel 1 waren sie gut, nicht einmal wir konnten sie zerstören. Aber wenn ich heute eine solche Verbindung unserem Chefdesigner Rory Byrne zeigen würde, dann bekäme er einen Herzinfarkt."
Doch auch wenn sich die Elektronik in nahezu alle Bereiche des Autos vorgearbeitet hat, der Motor ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt. "Man muss das Benzin einspritzen und die Zündkerzen zünden", erklärte Gundel. "Aber über allem steht das Überwachen und auch die Sicherungssysteme und die Pumpen. Da die Motoren in diesem Jahr zwei Rennen halten müssen, wurde gerade die Überwachung immer wichtiger. Nur dafür haben wir 20 Sensoren im Auto, dabei sind die Sensoren für die Steuerung des Triebwerks nicht mitgezählt."
Zwischen dem Qualifying und dem Rennen darf an den Autos nicht mehr gearbeitet werden, doch die Elektronik ist davon ausgenommen und nimmt daher einen wichtigen Platz ein. "Dazu gehören dann auch die Gebiete Traktionskontrolle, Motorbremse und Differenzialsteuerung", so Gundel. "Wenn das Auto im Parc Fermé steht, haben wir ein Modell unserer Strategien im Computer. Dort können wir sie entwickeln und unserer Veränderungen vor dem Rennen in das Auto übertragen. Wir versuchen, alle Einstellungsmöglichkeiten für eine Verbesserung zu kombinieren. Doch dabei liegt nicht immer alles an der Technologie, man muss noch immer sein Hirn benutzen. Manchmal ist es unser bester Freund."
Für den Deutschen geht es nun an den Nürburgring, doch ein besonderes Rennen wird es für ihn nicht werden. "Als Kind habe ich mich für den Motorsport nicht interessiert. Und als ich ab 1985 für 'Bosch' arbeitete, blieb ich im Labor. Als die Datenaufzeichnung und die Telemetrie sich durchsetzte, reiste ich gelegentlich an die Strecken. Aber der Nürburgring wird kein spezielles Wochenende für mich werden. Ich empfinde es nur immer ein wenig störend, dass dort alle um mich herum auf einmal Deutsch reden."

