Das war 2009: Adrian Sutil

Wie Adrian Sutil im Force India für Highlights gesorgt hat und warum er weiterhin mit dem nicht immer gerechtfertigten Image des Crashpiloten kämpfen muss

(Motorsport-Total.com) - Zugegeben, die Formel-1-Saison 2009 bescherte der Fangemeinde kein so hochdramatisches Finale wie jenes von São Paulo 2008, doch in vielerlei Hinsicht war das Jahr dennoch eines der interessantesten der Grand-Prix-Geschichte. Denn selten zuvor waren die Kräfteverhältnisse vor den einzelnen Rennen so unvorhersehbar wie in der zurückliegenden Saison - und wahrscheinlich noch nie zuvor hat es einen Weltmeister gegeben, der so unerwartet kam.

Titel-Bild zur News: Adrian Sutil

Gutaussehend, intelligent, schnell: Adrian Sutil gilt als perfekter Werbeträger

Wie ausgeglichen das Feld war, beweist die Tatsache, dass alle Teams bis auf Toro Rosso (!) entweder einen Grand Prix angeführt oder den Sprung auf das Podium geschafft haben. Außerdem konnten sechs Fahrer aus vier Teams Rennen gewinnen und sogar acht Fahrer aus sechs Teams eine Pole-Position erobern. 'Motorsport-Total.com' rollt die zurückliegenden Ereignisse in Form einer Artikelserie noch einmal auf. Den Anfang machten die zehn Teams, nun folgen die fünf Deutschen und zum Abschluss am 26. November Weltmeister Jenson Button. Heute: Adrian Sutil.#w1#

Negative Bilanz gegen Fisichella

Vom 26-Jährigen Gräfelfinger wurden 2009 vor allem drei Dinge erwartet: Teamkollege Giancarlo Fisichella schlagen, endlich ein Topergebnis ins Ziel zu bringen und weniger Fehler machen. Das erste Ziel, Fisichella zu schlagen, gelang Sutil nüchtern nach Zahlen betrachtet nicht: Das Qualifyingduell ging 6:6 aus, nach Punkten verlor er gegen den italienischen Routinier sogar mit 5:8. Doch Statistiken sprechen nicht immer die ganze Wahrheit, denn der Gesamteindruck, den der Force-India-Pilot hinterlassen hat, war durchaus positiv.

"Natürlich wirst du am Teamkollegen gemessen. Da hat er nicht so gut abgeschnitten, wie das Anfang des Jahres ausgesehen hat. Am Saisonbeginn war er sehr gut drauf, aber irgendwann ist Fisichella dann wieder aufgewacht", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer, der findet, dass für Sutil "unbedingt" mehr drin gewesen wäre als ein einziges Punktergebnis: "Der Force India war ein schnelles Auto."

Giancarlo Fisichella, Adrian Sutil, Silverstone, Grand Prix Circuit Silverstone

Giancarlo Fisichella und Adrian Sutil fuhren auf einem sehr ähnlichen Niveau Zoom

Doch abgesehen von der großen Fisichella-Show in Spa-Francorchamps, wo Sutil am Einzug ins letzte Qualifiying scheiterte, während sein Teamkollege auf Pole-Position fuhr und im Rennen Zweiter wurde, war es meistens der junge Deutsche, der für die echten Highlights sorgte: Man denke an seine tolle Regenfahrt in Schanghai, die er mit extrem verschlissenen Reifen an sechster Stelle liegend neben der Strecke beendete, an die Galavorstellung auf dem Nürburgring, wo er sogar in Podiumsnähe fuhr, an den vierten Platz in Monza oder an die dritte Startposition in São Paulo.

Surer übt sanfte Kritik

Allerdings musste sich Sutil auch dieses Jahr wieder viel Kritik für seine vielen Rennzwischenfälle anhören: "Leider ist er oft dabei", findet Surer, an und für sich ein Fan des Force-India-Piloten. "Wenn er hinten startet, ist die Gefahr bei jedem Piloten größer, in etwas verwickelt zu werden. Er ist ein sehr schneller Mann, aber ob schuldig oder nicht: Er ist sehr oft dabei, wenn es kracht. Wenn man bei ihm einen Nachteil sucht, dann sicherlich das."

"Es gibt immer wieder Situationen, in denen es besser wäre, zurückzustecken. Jetzt kann man sagen, dass ein junger Fahrer nicht zurückstecken sollte, weil er sonst das Image des Nachgebens kriegt, aber auf der anderen Seite gibt es manchmal Situationen, wo du genau weißt, dass es kracht, wenn du drauf bleibst. Man muss ihm da schon ein bisschen einen Vorwurf machen", so der Schweizer. "Gegen Räikkönen am Nürburgring wäre es so einfach gewesen, zurückzustecken, dann hätte er sein bestes Resultat herausgefahren. Es war völlig unnötig, da irgendetwas beweisen zu wollen."


Fotos: Highlights 2009: Adrian Sutil


Beim Heimrennen nahm Sutil nach dem sensationellen siebten Platz im Qualifying Kurs auf Platz vier, als es wieder einmal zu einer Konfrontation mit Kimi Räikkönen kam: Der Force-India-Pilot wollte sich nach seinem perfekten Boxenstopp unbedingt vor dem Ferrari auf die Strecke drängen, doch in der engen Rechtskurve nach Start und Ziel wurde es eng. Sutil ließ sich ein wenig nach außen tragen, wodurch es zu einer Berührung kam. Das Rennen war für ihn damit gelaufen.

Wieder einmal Räikkönen...

Sutil hat zu dem Vorfall allerdings eine andere Meinung als unser Experte: "Es war noch Platz da für Kimi, er hätte ein bisschen weiter außen fahren können. Wenn man es außen probiert, muss man dem anderen Fahrer Luft lassen. So hätte die Sache vermieden werden können, aber letztendlich muss man das als Rennunfall abstempeln, an dem niemand alleine schuld war. Ich habe mich darüber auch mit Kimi unterhalten. Wir trafen uns, als wir vor den Stewards die Situation erklären mussten. Er sah es genau wie ich als Rennunfall."

Zu seinem Spezialfreund entwickelte sich in dieser Saison Jarno Trulli: Mit dem Toyota-Piloten krachte es zum ersten Mal gleich in Melbourne, dann noch einmal in Barcelona und schließlich auch noch in São Paulo. Auch dabei handelte es sich jeweils um Rennunfälle, auch wenn Trulli in São Paulo nicht von seinem Standpunkt abweichen wollte und die Donnerstags-Pressekonferenz in Abu Dhabi, zu der die Streithähne eingeladen waren, zur Farce verkommen ließ. Beste Freunde werden die beiden jedenfalls nicht mehr...

Adrian Sutil und Jarno Trulli

Werden keine guten Freunde mehr: Adrian Sutil und Jarno Trulli in Barcelona Zoom

"Ich verstehe nicht, was er will", wunderte sich Sutil über Trulli - und musste grinsen, als der ebenfalls anwesende Fernando Alonso die Streiterei mit einem Witz quittierte: "Kann ich schon gehen?" Grund, sauer zu sein, hatte dafür Nick Heidfeld in Singapur: Sutil hing im Rennen hinter Jaime Alguersuari fest und wagte einen etwas zu optimistischen Überholversuch, der in einem Dreher endete. Beim Losfahren übersah er dann den herannahenden Landsmann - eine optisch sehr unglückliche Kollision. "Vielleicht sollten wir ihm ein Gehirn kaufen", schimpfte Heidfeld später.

Zu Unrecht als Crashpilot abgestempelt

Doch Sutils Problem ist oftmals nicht er selbst, sondern seine Reputation: Als er auf einer seiner Lieblingsstrecken in Suzuka Seite an Seite mit Heikki Kovalainen in die Schikane einbog und es zur obligatorischen Berührung kam, schoben ihm die TV-Kommentatoren fast schon automatisch die Schuld in die Schuhe - bis die Wiederholung zeigte, dass die Kollision ganz klar auf die Kappe des McLaren-Mercedes-Piloten ging. Solche Zwischenfälle gab es mehrere.

Oberflächlich betrachtet hat Sutil sogar eine fast lupenreine Weste: Von den vier Ausfällen war er nur in Singapur selbst schuld, während er in Barcelona und São Paulo von Trulli abgeschossen wurde und in Budapest mit Überhitzungsproblemen aufgeben musste. Auch andere Crashes, die im ersten Moment dem Fahrer angelastet wurden, waren oft technisch bedingt, man denke nur an den gefährlichen Abflug im Qualifying in Silverstone.

Adrian Sutil und Heikki Kovalainen

An der Kollision mit Heikki Kovalainen in Suzuka war Adrian Sutil nicht schuld Zoom

Silverstone war übrigens so etwas wie ein Wendepunkt, denn zum Heimrennen führte Force India ein umfangreiches Update für den VJM02 ein, das in den Wochen danach voll anschlug. Besonders auf schnellen Strecken waren die britisch-indischen Topspeedraketen ein sicherer Punktekandidat. Dabei hatte die Saison eher bescheiden begonnen - wenn auch mit einem geringeren Zeitrückstand als noch im vergangenen Jahr.

Eher bescheidener Saisonauftakt

"Ich muss zugeben: Vor Melbourne war ich sehr guter Dinge, aber wenn man dann die ersten Rennen wieder immer in der vorletzten oder letzten Startreihe steht, verliert man schnell die Hoffnung", so Sutil gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass da noch etwas geht, aber dieses Jahr war total verrückt, sodass man von hinten nach ganz vorne extrem große Sprünge machen konnte - und dann auch wieder ganz schnell nach hinten, wenn die Strecke nicht gepasst hat."

"Ich bin überrascht, dass sich die Saison so gut für uns entwickelt hat, aber ab Spa machte es richtig Spaß, weil das Auto echt gut ging. Eigentlich hat dieser Aufwärtstrend schon in Silverstone begonnen, denn dort bekamen wir ein großes Update. Das brachte zwar nicht auf Anhieb das, was wir uns davon erhofft hatten, aber nach und nach konnten wir dieses Potenzial immer besser entfalten. Da habe ich dann gespürt: Jetzt geht was", so der Wahlschweizer.

Adrian Sutil

In Spa-Francorchamps stand Adrian Sutil klar im Schatten seines Teamkollegen Zoom

"Auch wenn es am Saisonbeginn noch nicht ganz nach Wunsch lief", fährt er fort, "so waren wir doch näher dran als 2008. Die Rennpace war ganz gut. Ich weiß, dass ich in einem kleinen Team bin und keine Wunder erwarten darf, aber wenn ich wenigstens kleine Veränderungen sehe, ist das schon okay. Da hat Force India die Erwartungen dann bei weitem übertroffen. Als wir in Silverstone das Update bekamen, sagten mir die Leute im Team: 'Wir hatten eigentlich einen größeren Sprung vor.' Der kam dann ja auch."

Spa-Francorchamps: In Fisichellas Schatten

"In Spa ging es richtig los. Unser Auto war dort besonders stark, wie mein Teamkollege gezeigt hat. Leider habe ich mich im Qualifying mit den Reifen falsch entschieden, dadurch reichte es knapp nicht für die Top 10. Das wäre der Schlüssel gewesen", ärgert sich Sutil immer noch. "Die Pace im Rennen war trotz der Einstoppstrategie extrem schnell. Spa hat mich also geärgert, aber andererseits habe ich gesehen, dass es geht. Und ich habe mir gesagt: 'Okay, jetzt musst du das nächste Rennen gut hinbekommen!'"

Gesagt, getan: "Monza war super. Das Wochenende hat verrückt angefangen. Am Freitagmorgen auf Platz drei - und ich hatte das Gefühl, dass da noch viel mehr drin liegt! Ich war gut aufgelegt. Dann P1 am Freitagnachmittag, P1 am Samstagmorgen. Das wurde schon fast unheimlich. Ich habe mir gesagt: 'Shit, jetzt kämpfst du um die Pole-Position!' Das ist dann auch wirklich passiert. Die klare Sicht zur ersten Kurve werde ich nie vergessen."

Adrian Sutil und Lewis Hamilton

Kleine Sensation: Erste Startreihe mit Kumpel Lewis Hamilton in Monza! Zoom

"Auch das Rennen lief wirklich gut: Ich hatte einen guten Start und dann hatte ich das ganze Rennen einen Riesenkampf mit Kimi - mal wieder er! Er ist wohl der größte Kontrahent, den ich in der Formel 1 habe, denn jedes Mal, wenn es bei uns mal läuft und ich vorne dabei bin, treffen wir uns irgendwo. Wir haben beide gepusht und letztendlich wurde es der tolle vierte Platz. Auch wenn ich im Nachhinein zugeben muss: Ich hätte aus Spa oder Monza gerne ein Podium mitgenommen", sagt Sutil.

Galavorstellung in Monza

Monza war von der ersten bis zur letzten Runde eine saubere Vorstellung - mit einer Ausnahme: Als Sutil und Räikkönen gleichzeitig an die Box kamen, hätte der Force-India-Pilot die Chance gehabt, seinen ewigen Rivalen zu überholen, doch stattdessen fuhr er seine Mechaniker über den Haufen und schlug sich einen Rückspiegel ab. Den durch den Unfall von Lewis Hamilton geerbten vierten Platz - immer noch sensationell - ließ er sich aber nicht mehr nehmen.

¿pbvin|512|795||0|1pb¿"Das war ein starkes Rennen, das leider ein bisschen im Schatten der guten Performance von Fisichella in Spa stand", lobt Surer die gute Vorstellung von Sutil auf der traditionsreichen Hochgeschwindigkeitsstrecke. "Wenn es Spa nicht gegeben hätte, wäre das eine Supergeschichte gewesen, aber so wusste man, dass das Auto sogar ein Rennen gewinnen kann. Aber er hat einen Superjob gemacht in Monza, keine Frage."

Sutil stellte im letzten Saisondrittel sein Talent noch mehrere Male unter Beweis, etwa mit dem achten Startplatz auf der Fahrerstrecke in Suzuka oder mit Rang drei im São-Paulo-Qualifying. Seinen neuen Teamkollegen Vitantonio Liuzzi, der ab Monza anstelle von Fisichella für Force India fuhr, hatte der Deutsche sicher im Griff. Dabei ist Liuzzi kein Schlechter: 2004 dominierte der Italiener mit sieben Siegen in zehn Rennen die GP2-Vorgängerserie Formel 3000.

2010: Jahr der Bewährung

Aber langsam wird es Zeit für den Durchbruch in der Formel 1, weiß Surer: "Sicherlich hängt viel davon ab, was im nächsten Jahr passieren wird. Er hat jetzt Erfahrungen gemacht, wie man es nicht machen soll. Er ist schnell, das muss man ihm wirklich lassen - sauschnell! Jetzt geht es nur noch darum, das umzusetzen. Er hat sicher ein paar Chancen vergeben, aber wenn er im nächsten Jahr noch einmal die Chance bekommt, dann gehe ich davon aus, dass er aus den Fehlern lernen wird, dass er auch mal zurückstecken wird, um die Punkte zu holen."

In der Königsklasse am Start sein wird der Deutsche 2010 auf jeden Fall, offen ist aber noch sein Team. Bei Force India gilt er als absoluter Wunschkandidat, doch zu einem Vertragsabschluss ist es bisher nicht gekommen. Das deutet darauf hin, dass Manager Manfred Zimmermann noch andere Optionen in der Hinterhand hat - Mercedes, Renault und Sauber/Qadbak hätten theoretisch noch interessante Cockpits frei.

Adrian Sutil

Ein Könner bei der Arbeit: Adrian Sutil in den Straßen von Monte Carlo Zoom

Denn während er von den Fans in die Schublade des ewigen Crashpiloten gesteckt wird, hat Sutil den Entscheidungsträgern im Fahrerlager, die alle Informationen kennen, schon mehrfach bewiesen, was er kann - und ein Sutil in Topform kann es wohl mit den meisten seiner Kollegen aufnehmen. 2010 wird für ihn in jedem Fall ein besonders wichtiges Jahr für den weiteren Karriereverlauf - aber das haben wir im vergangenen Winter auch schon prognostiziert...

Saisonstatistik:

Fahrerwertung: 17. (5 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 13,6 (17.)
Bester Startplatz: 2.
Bestes Rennergebnis: 4.
Ausfallsrate: 23,5 Prozent (18.)

Qualifyingduelle:

Sutil vs. Fisichella: 6:6
Sutil vs. Liuzzi: 4:1