• 27.03.2009 18:07

  • von Fabian Hust & Roman Wittemeier

Das steckt hinter der "Generation 2009"

Pat Symonds erklärt, wie das Reglement von der "Arbeitsgruppe Überholen" gestaltet wurde und welche Überraschungen es mit sich brachte

(Motorsport-Total.com) - Gespannt haben Millionen Fans rund um die Welt darauf gewartet, dass die Formel-1-Boliden der Generation 2009 im Rahmen des ersten Tages zum Großen Preis von Australien in Melbourne auf die Strecke gehen.

Titel-Bild zur News: Giancarlo Fisichella

Und, haben Sie sich schon an den Look der neuen Autos gewöhnt?

Die Rillenreifen sind nach über zehn Jahren wieder den Slicks gewichen, die zahlreichen Zusatzflügel auf den Chassis wurden verboten, der Frontflügel verbreitert und abgesenkt, der Heckflügel dafür schmaler und höher. Die Frontflügel dürfen beim Fahren verstellt werden und Dank Energie-Rückgewinnung gibt es pro Runde ein paar Sekunden zusätzliche Leistung - wenn das betreffende Team KERS einsetzt.#w1#

Alle - aber nur mit wenigen Köpfen - zogen an einem Strang

Vorausgegangen waren intensive Planungen einer Arbeitsgruppe, die das Ziel hatte, das Überholen in der Königsklasse des Motorsports einfacher zu gestalten und die Rennen damit für die Zuschauer noch interessanter zu machen.

"Die Arbeitsgruppe Überholen ist ein interessantes Konzept, denn normalerweise müssen sich in solchen Fragen alle Teams einig sein, damit etwas vorwärts geht", erinnert Renault-Chefingenieur Pat Symonds im Podcast des Teams an das Concorde-Agreement, das solch kurzfristige, nicht sicherheitsrelevante Reglement-Veränderungen nur bei Einstimmigkeit ermöglicht. "Diese Komitees haben natürlich immer ewig gebraucht, um zu einem Entschluss zu kommen, also wurde entschieden, eine kleine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen."

Pat Symonds (Chefingenieur)

Pat Symonds arbeitete mit seinen Kollegen am neuen Reglement Zoom

"Wir hatten ein bisschen Geld und ein bisschen Zeit im Windkanal", so der Brite weiter. "Um das ins richtige Verhältnis zu rücken: Das entsprach der normalen Windkanalarbeit eines Teams von gerade einmal ein paar Wochen. Aber wir haben zum Beispiel zwei Autos hintereinander in den Windkanal gestellt, um die Auswirkungen der Luftverwirbelungen zu evaluieren."

Zwei Mythen wurden begraben

Und dabei konnte man einen "alten Mythos des Fahrerlagers begraben", wie der 55-Jährige verrät: "Es hieß ja immer, dass die Ground-Effect-Autos (bei diesen mittlerweile nicht mehr zugelassenen Autos war der Unterboden an den beiden Seiten zum Asphalt hin abgedichtet, wodurch ein Unterdruck entstand, der die Haftung des Autos verbesserte; Anm. d. Red.) zum Überholen besser waren als die Flügelautos."

Hector Rebaque 1978 im Lotus 79 in Brands Hatch

Der Lotus 79 von 1978: Gut zu erkennen (in Silber) die Abdichtung zum Boden Zoom

"Aber wir fanden heraus, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Wenn man versteht, wie es passiert, dann ist es gut, wenn ein Auto seinen Anpressdruck über den Heckflügel generiert. Es ging darum, den Luftstrom, der vom Heckflügel nach hinten weg geht, genau zu verfolgen und in letzter Konsequenz mit einem breiteren Frontflügel aufzufangen."

"Ein weiterer Mythos ist, dass mehr mechanischer Grip besser ist als mehr aerodynamischer Grip. Unsinn!", verweist Symonds auf die angestellten Untersuchungen. "Jedem der das behauptet, sage ich: Schau dir das nächste Regenrennen an - da wird garantiert mehr überholt!"

Zu langsam sollte die Formel 1 2009 nicht werden

"Warum also haben wir uns für Slicks entschieden? Nun, wir wussten, dass wir so und so viel Anpressdruck verlieren, aber von den Rundenzeiten her war das Ziel das Niveau von 2006. Dafür brauchten wir Slicks. Ehrlich gesagt hat das ganz gut funktioniert, denn die Rundenzeiten sind tatsächlich in etwa so schnell wie 2006."

Bridgestone-Slicks

Jetzt wird endlich wieder mit Slicks gefahren! Zoom

Dass die zahlreichen Zusatzflügel auf dem Chassis dem Rotstift zum Opfer fielen, hatte aber nicht nur den Sinn, den Abtrieb der Autos zu reduzieren: "Die Teamchefs waren wegen der vielen Zusatzbleche langsam ein bisschen besorgt. Die waren für das Aussehen der Autos und für die Sichtbarkeit der Sponsoren nicht gerade förderlich."

Neues Reglement heißt neue Überraschungen

Und obwohl sich die Arbeitsgruppe rund um Ross Brawn intensiv mit dem Thema beschäftigte, gab es bei der Vorstellung der neuen Autos einige Überraschungen, wie Symonds bestätigt: "Wir konzentrierten uns auf die Überholaspekte unseres Modells und nicht auf die Weiterentwicklung, die die Teams betreiben würden. Dass da einige unerwartete Ideen auftauchen würden, wenn die Teams 24 Stunden am Tag im Windkanal stehen, war uns klar. Tatsächlich sind bei den Wintertests einige Teile aufgetaucht, mit denen ich in 100 Jahren nicht gerechnet hätte."

Bewegliche Aerodynamik-Teile - früher ein absolutes No-Go

Viel diskutiert - vor allem im Hinblick auf die Sicherheit - wurde die Einführung verstellbarer Frontflügel: "Im Windkanal hat sich herausgestellt, dass ein steilerer Frontflügel am meisten auf den Anpressdruck auswirkt, also haben wir das einfach in die Regeln aufgenommen. Wir wollen aber nicht, dass die Flügel verstellt werden wie bei Kampfjets, also haben wir die Verstellmöglichkeiten pro Runde aus taktischen Gründen auf einen Vorgang limitiert." Derzeit hat niemand Bedenken, dass ein Fahrer geradeaus in einer Kurve in die Reifenstapel krachen könnte, weil es zu einer Fehlfunktion des Frontflügels kommt...

Die Frontflügel dürfen nun während des Fahrens verstellt werden Zoom

Bloß nicht zu viel des Guten!

Ob die durch das Reglement aufgezwungenen Änderungen tatsächlich zu spannenderen Rennen führen werden, wird erst der Verlauf der Saison zeigen. Glaubt man den bisher getätigten Aussagen der Fahrern, dann ist das Überholen tatsächlich einfacher möglich, aber kein Kinderspiel, so dass es nach wie vor spannend bleiben wird, ob ein Fahrer an seinem Vordermann vorbeikommen wird oder nicht. "Zu viele" Überholmanöver wird es also vermutlich nicht geben.

¿pbvin|512|1393|Melbourne|0pb¿Obwohl das Reglement so umfangreich geändert wurde, wurden die Testfahrten massiv beschnitten, es darf während der Saison bis auf Aerodynamik-Tests nicht getestet werden: "Wir können natürlich nicht alles an den Freitagen testen, was wir testen möchten und bisher getestet haben. Zum Beispiel müssen die Autos an einem Rennwochenende zu jedem Zeitpunkt legal sein."

Das Testverbot und seine Folgen

"Das klingt trivial, hat aber große Folgen: Jeder hat bei den Tests schon einmal zusätzliche Messinstrumente an den Autos gesehen, etwa an der Airbox", erinnert Symonds." Streng genommen dürfen wir das künftig nicht mehr machen, weil das die Maximalhöhe des Bodyworks übersteigen würde."

Bei Renault geht man mit dem Testverbot und dem Testbedarf am Freitag übrigens gelassen um: "Ein Vorteil für uns ist, dass wir die Situation schon aus dem Jahr 2003 kennen. Damals haben wir uns für die Teilnahme an einer zusätzlichen Session am Freitag entschieden, dafür durften wir während der Saison deutlich weniger testen."