• 11.06.2007 04:26

Das große Siegerinterview mit Lewis Hamilton

Lewis Hamilton im Presseinterview über seinen Premierensieg in Kanada, seinen Griff nach WM-Sternen und Vater Anthony, dem er extrem dankbar ist

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Lewis, was für ein Rennen: vier Safety-Car-Phasen, der schwere Unfall von Robert Kubica, dem nichts passiert ist, und dein erster Sieg. Was für ein Tag für dich!"
Lewis Hamilton: "Es war ein fantastischer Tag! Das ist Geschichte! Hierher zu kommen, nach Kanada, zum ersten Mal - dabei war es bis jetzt schon eine fantastische Saison. Wir haben sechs Podestplätze und ich war für diesen Sieg schon überfällig. Es war nur noch die Frage wann und wo."

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton führt nach sechs Rennen die WM mit acht Punkten Vorsprung an

"Das Team gab mir das beste Auto. Ich hatte im Rennen überhaupt keine Probleme. Durch die Safety-Car-Phasen wurde es manchmal fast schon langweilig, aber als das Rennen wieder lief, war es aufregend. Das von Robert habe ich schon gehört. Er ist ein guter Freund von mir. Ich hoffe, es geht ihm gut, schicke die besten Wünsche an seine Familie. Diesen Sieg widme ich meinem Dad, denn ohne ihn wäre all das nicht möglich gewesen."#w1#

Heidfeld wurde nie wirklich gefährlich

Frage: "Was ging dir in der Schlussphase durch den Kopf, auch als du dann die Ziellinie überquert hast?"
Hamilton: "Wie gesagt fuhr ich lange hinter dem Pace-Car. Da ließ die Spannung ein wenig nach, aber dann baute sich alles wieder auf, floss wieder Adrenalin. Das Team hat einen tollen Job gemacht und mich vor dem ersten Pace-Car an die Box geholt, daher konnte ich frei fahren und hatte Glück. Ich hatte eine gute Pace. Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) war nicht sehr nahe an mir dran, also konnte ich den Vorsprung kontrollieren."

"Die letzten Runden zählte ich einzeln runter..." Lewis Hamilton

"Die letzten Runden zählte ich einzeln runter, ich konnte das ja auf meiner Boxentafel verfolgen. Normalerweise bin ich der Typ, der bis zum Schluss alles gibt, aber hier ist es eine schwierige Strecke. Wenn man auf die Gummikugeln von den Reifen neben der Ideallinie kommt, landet man in der Mauer, also schaltete ich einen Gang zurück und genoss es einfach. Ein toller Moment!"

Frage: "Dein Start war auch gut. Fernando Alonso war zu weit außen, du hattest Nick Heidfeld hinter dir..."
Hamilton: "Ja, aber ich kam ehrlich gesagt schlecht weg. Keine Ahnung, was da los war. Ich muss normalerweise eine bestimmte Drehzahl haben, aber da war ich drüber. Das wollte ich korrigieren, aber dadurch kam ich schlecht weg und Nick kam mir schon nahe. Ich schlug die Tür zu und sah dann Fernando an mir vorbeischießen. Das war natürlich nicht ideal für mich, aber er kam wohl auf den Dreck und fuhr geradeaus, während ich normal durch die Kurve fuhr. Das war ziemlich aufregend, aber das Wichtigste war, dass ich vorne bleiben konnte."

Frage: "Es war für uns Berichterstatter ein kompliziertes Rennen, aber für dich muss es ganz einfach gewesen sein. Hattest du irgendwelche Probleme?"
Hamilton: "Nein, es war ein einfaches Rennen - abgesehen von den Restarts, denn da musste ich immer sicherstellen, einen Vorsprung auf Nick herauszufahren. Es war großartig. Mein Start war in Ordnung, nicht toll wie gesagt. Nick war da hinter mir und ich sah Fernando vorbeischießen und dachte schon: Nein, jetzt verliere ich das Ding! Aber er fuhr geradeaus und ich blieb auf meiner Linie. Dann erwischte ich einen fantastischen Ausgang aus der ersten Kurve und Fernando kam quer vorbeigeflogen, also musste ich ihm ausweichen. Dann sah ich meine Chance, einen Vorsprung aufzubauen, und das war es eigentlich."

Vorgezogener erster Stopp war Gold wert

Frage: "Aber das Feld wurde viermal wieder zusammengeholt..."
Hamilton: "Das war eine gute Herausforderung, um ehrlich zu sein, denn ich hatte nach dem Start schon elf Sekunden Vorsprung, als das erste Pace-Car kam. Zum Glück holte mich das Team schon davor zum ersten Stopp, eine Runde früher als geplant. Einige andere Leute hatten da Pech mit dem Pace-Car, aber ich kam direkt hinter Felipe (Massa; Anm. d. Red.) wieder auf die Strecke. Anschließend musste ich wieder nur den Vorsprung auf die Fahrer hinter mir kontrollieren. Das gelang mir jedes Mal so. Nick wurde mit jedem Restart besser, am Ende wurde es knapper, aber ich konnte ihn trotzdem hinter mir halten."

"Das war die eigentliche Herausforderung: die Reifen aufzuwärmen und keine Fehler zu machen." Lewis Hamilton

Frage: "Du hast dir sicher gedacht, dass jemand will, dass du nicht gewinnst, weil immer wieder das Safety-Car kam und deinen Vorsprung zunichte machte, oder?"
Hamilton: "Ja, so ungefähr. Jedes Mal werden nämlich dann die Reifen kalt, die Bremsen - und da ist es leicht, in der Mauer zu landen. Das war die eigentliche Herausforderung: die Reifen aufzuwärmen und keine Fehler zu machen."

Frage: "Wann hast du es so richtig realisiert?"
Hamilton: "In den letzten fünf Runden. Ich konnte sehen: noch vier Runden, drei, zwei, eine. Da wurde ich mit jeder Runde langsamer und achtete darauf, nur nicht auf die Randsteine zu kommen. Ich hatte ein kleines Problem: Nach dem letzten Pace-Car fiel mir auf, dass das Auto in die fünfte Kurve wirklich gut einlenkte, weil meine Lenkung ein bisschen nach links verzogen war. Das war mir lange nicht bewusst, also dachte ich, da sei etwas falsch. Also probierte ich, nicht auf die Randsteine zu fahren. Aber ansonsten war das Auto überragend."

Hamilton so oft wie möglich in der Fabrik

Frage: "Wenn du dir die Qualifyingzeiten anschaust und das Podium heute, dann musst du wirklich begeistert sein über die Fortschritte deines Teams im Vergleich zu Ferrari. Ist das so?"
Hamilton: "Absolut. Ohne Zweifel hat das Team gute Arbeit geleistet, wie jedes Jahr, glaube ich. Auch Mercedes-Benz hat einen Superjob mit dem Motor gemacht, der ein großer Fortschritt ist. Wir hatten auch Glück, das Auto ist zuverlässig und ich war so oft wie möglich in der Fabrik, um mit den Leuten dort zu reden und ein Gefühl für das Auto zu bekommen und dafür, was sie verbessern wollen. Sie wollen genauso sehr gewinnen wie ich und Fernando - das haben wir gemeinsam."

Lewis Hamilton

Lewis Hamiltons Vater Anthony mischte sich natürlich unter die ersten Gratulanten Zoom

"Wir waren ein bisschen überrascht, dass Ferrari hier nicht so stark war, aber ich bin sicher, sie werden zurückkommen. Wir müssen sicherstellen, dass wir uns weiterentwickeln, aber ich bin sicher, das wird uns gelingen."

Frage: "Wie emotionell war die letzte Runde?"
Hamilton: "Ich musste mich im Zaum halten, um ehrlich zu sein. Eigentlich wollte ich am liebsten stehen bleiben und aus dem Cockpit springen und Donuts drehen oder so! Ich musste aber weiterfahren. Die Fans waren fantastisch, denn ich war zum ersten Mal in Kanada, wurde aber klasse unterstützt. Dankeschön dafür! Es war meine erste Pole, mein erster Sieg - und vielleicht die schnellste Runde. Keine Ahnung, wer die gefahren ist, aber das wäre auch noch super..."

Frage: "Dein Teamkollege hatte heute nicht den besten Tag. Macht dir das etwas aus?"
Hamilton: "Natürlich! Das ist eine dumme Frage. Er ist mein Teamkollege, ich respektiere ihn sehr und wir sind gute Freunde. Unterm Strich sind wir ein Team, wir wollen beide vorne ins Ziel kommen. Ich weiß nicht, was bei ihm los war, aber wir werden uns das ansehen. Das ist natürlich nicht gut für ihn."

Frage: "Du sagst, dass ihr in erster Linie Teamkollegen seid, aber so kollegial wirkt das nicht immer. Was wird jetzt aus eurem Verhältnis?"
Hamilton: "Wann wirkt es denn nicht so?"

Gutes Verhältnis zu Alonso

Frage: "Das ist nur meine Sicht der Dinge..."
Hamilton: "Also, ich und Fernando: Er ist extrem professionell und ich bin neu in diesem Team und habe großen Respekt vor ihm. Ich denke, er ist erwachsen genug, auch mit mir gut auszukommen. Unterm Strich ist er Doppelweltmeister. Er wird ohne Zweifel zurückschlagen und ich bin sicher, dass er im nächsten Rennen extrem schnell sein wird."

"Ich fühle mich wirklich wie auf einem anderen Planeten." Lewis Hamilton

Frage: "Gestern warst du schon aus dem Häuschen, aber wie fühlst du dich jetzt? Wie auf einem anderen Planeten?"
Hamilton: "Ich fühle mich wirklich wie auf einem anderen Planeten. Es ist schwierig, das alles zu verarbeiten. Es wird immer besser. Zuerst die Formel 1, die ersten Tests, dann Rennfahrer, sechs Podiums, gestern die Pole. Ich stand auf Pole, dabei dachte ich wirklich nicht, dass dieses Wochenende meins werden würde. Ich hatte Fernando hier extrem schnell eingeschätzt, hatte damit gerechnet, dass er es machen würde. Das war aber nicht der Fall - und ich war ziemlich konstant."

"Ich fuhr gut, hielt mich von den Mauern fern und war mir vor dem Rennen dessen bewusst, dass ich konzentriert bleiben und einen kühlen Kopf bewahren muss. Das habe ich geschafft. Durch die Pace-Cars wurde das sogar etwas einfacher. Ich freue mich auf das nächste Rennen, das ist klar."

Frage: "Felipe Massa hat übrigens gesagt, dass nur du heute den Sieg verdient hast. Was fällt dir dazu ein?"
Hamilton: "Sehr nett von ihm, das zu sagen. Felipe ist ein toller Kerl. Mit ihm komme ich von all den Leuten ihn der Formel 1 mit am besten aus. Ich weiß nicht, ob es an unserem jungen Alter liegt, aber er ist einfach ein bodenständiger Kerl. Es freut mich sehr, so etwas von ihm zu hören, denn er ist ein großer Sportsmann - ob er nun gewinnt oder nicht. Eine tolle Persönlichkeit!"

Freude mit Heidfeld und Wurz

Frage: "Und was sagst du zum zweiten Platz von Nick Heidfeld?"
Hamilton: "Großartig für ihn, auch für Alex (Wurz; Anm. d. Red.). Beide sind extrem gut gefahren. Nick hat einen fantastischen Job gemacht. BMW ist auch ein tolles Team. Ich weiß, wie hart sie arbeiten, daher gönne ich ihnen diesen Erfolg."

"Der nächste Traum ist natürlich die Weltmeisterschaft, aber man muss realistisch bleiben." Lewis Hamilton

Frage: "Du hast davon geträumt, Formel-1-Fahrer zu werden, jetzt bist du einer. Du hast von der Pole Position geträumt, jetzt hast du eine. Du hast von einem Sieg geträumt, auch das ist dir gelungen. Wovon träumst du nun?"
Hamilton: "Der nächste Traum ist natürlich die Weltmeisterschaft, aber man muss realistisch bleiben. Man muss sich immer vor Augen halten, dass ich noch ein Rookie bin, meine erste Saison fahre. Es werden auch schwierige Zeiten kommen. Natürlich hoffe ich das nicht, aber es wird unweigerlich so kommen. So ist das eben in diesem Business - es gibt gute und schlechte Tage. Im Moment verläuft aber alles sehr konstant, dank des Teams und dank der Leute um mich herum. Ich komme aus einer bodenständigen Familie. Das funktioniert perfekt."

Frage: "Ron Dennis hat gesagt, er sei tief beeindruckt von dir und deiner Familie. Welchen Anteil hat er an deinem Erfolg?"
Hamilton: "Ich habe mich bei Ron am Funk bedankt, denn ohne ihn hätte ich diese Gelegenheit nicht bekommen. Ich bin ihm sehr dankbar, auch dem Team. Mein Vater ist hier. Er müsste nicht mit mir zu jedem Rennen reisen, aber er tut es. Er unterstützt mich in jeder nur erdenklichen Situation. Ich bin sehr froh, dass ich für diese Leute einen guten Job gemacht habe, und ich hoffe, dass sie stolz sind."

Frage: "Gestern hast du gesagt, die Pole Position sei besser als Sex gewesen. Was sagst du heute?"
Hamilton: "Das war eher als Scherz gemeint. Man kann das Gefühl nicht vergleichen. Das heute übertrifft das Gefühl von gestern aber bei weitem, das ist klar."

Großes Dankeschön an Vater Anthony

Frage: "Was hat dein Vater gleich nach dem Rennen zu dir gesagt?"
Hamilton: "Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber ich sah ihn natürlich während der Siegerehrung in der Menschenmenge und es sah so aus, als hätte er ein paar Tränchen im Auge gehabt. Er ist natürlich sehr stolz. Ihr würdet nicht glauben, wie viel Arbeit er in meine Karriere investiert hat. Er hatte nichts, als er jung war. Er verlor seine Mutter im jungen Alter. Umso mehr freut es ihn, dass seine Familie jetzt so erfolgreich ist. Ich widme ihm diesen Sieg."

Lewis Hamilton

Mit dieser Zieldurchfahrt schrieb Lewis Hamilton heute Formel-1-Geschichte Zoom

Frage: "Du führst in der Weltmeisterschaft und nächste Woche geht es in Indianapolis weiter, aber jetzt wird bestimmt einmal gefeiert, nicht wahr?"
Hamilton: "Bestimmt, das werde ich genießen! Ich möchte meine Familie zu Hause grüßen. Ich weiß, dass sie alle vor dem Fernseher saßen und mich anfeuerten. Gruß an all die Fans, sie waren großartig, und Dank ans Team. Was die geleistet haben - in Woking, in Brixworth, in Stuttgart -, um das Auto vorzubereiten und schneller zu machen als alle anderen, ist klasse. Großer Dank an alle! Nach Indy gehe ich jetzt natürlich mit viel Selbstvertrauen. Wir müssen versuchen, mit dieser Performance weiterzumachen, konstant Punkte zu sammeln. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir das schaffen werden."

Frage: "Das Setup ist hier ähnlich wie in Indianapolis. Du bist noch nie dort gefahren, aber du kennst die Strecke sicher aus dem Simulator und von den Ingenieuren, oder?"
Hamilton: "Ich war ehrlich gesagt noch nicht im Simulator, aber ich kenne die Strecke von Computerspielen. Keine Ahnung, was mich dort erwarten wird. Bei den bisherigen Rennen habe ich mir Onboardaufnahmen angeschaut und Daten studiert. Nach Indianapolis komme ich mit einem freien Kopf. Ich werde versuchen, es genau wie hier zu machen."

Schock beim Unfall von Freund Kubica

"Ich fühle mich im Auto sehr wohl, mache mir überhaupt keine Sorgen." Lewis Hamilton

Frage: "Robert Kubica hat heute einen wirklich furchterregenden Unfall überlebt. Das spricht Bände über die Sicherheit der Autos. Wie wohl fühlst du dich und ist dir eigentlich bewusst, dass so etwas bei hohen Geschwindigkeiten jederzeit ins Auge gehen kann?"
Hamilton: "Ich fühle mich im Auto sehr sicher, mache mir überhaupt keine Sorgen. Ich weiß, dass Sicherheit in der Formel 1 oberste Priorität hat. Ich habe den Crash nicht gesehen, aber es lagen viele Trümmer herum. Als ich zu der Stelle kam, schaute ich nicht auf das Auto, sondern ich musste darauf achten, keine Teile zu überfahren."

"Schön, dass es Robert gut geht. Ich kenne ihn aus meiner Kartzeit sehr gut und ich wünsche ihm und seiner Familie alles Gute. Ich denke, die Formel 1 ist sicher genug, aber trotzdem müssen wir die Sicherheit immer weiter verbessern."

Frage: "Es wird für dich Zeit, an die Weltmeisterschaft zu denken..."
Hamilton: "Nein, dafür ist es noch viel zu früh."

Frage: "Aber du bist doch sicher interessiert daran, oder?"
Hamilton: "Klar, aber das war erst das sechste Rennen. Da sind noch elf zu fahren. Es ist noch ein langer Weg. Natürlich ist es mein Ziel, logisch, aber ob es dieses Jahr oder nächstes Jahr passiert, müssen wir abwarten."