• 26.09.2005 00:24

Das große Interview zum WM-Titel mit Fernando Alonso

Der jüngste Formel-1-Weltmeister aller Zeiten über den erlösenden dritten Platz, den Weg zum Titel und seine zwei größten Gegner

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Fernando, du bist der jüngste Formel-1-Weltmeister aller Zeiten, der erste aus Spanien, der erste für Renault seit dem Wiedereinstieg. Dir fehlen sicher die Worte..."
Fernando Alonso: "Ja. Es ist unmöglich, jetzt etwas zu sagen. Ich bin extrem glücklich, es ist ein sehr emotioneller Tag für mich. Ich habe ein gutes Rennen gezeigt. Anfangs dachte ich, dass ich es mit den McLarens aufnehmen könnte, aber beim ersten Boxenstopp wurde mir klar, dass das doch nicht gehen würde. Also habe ich mich darauf konzentriert, Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) den zweiten Stint hindurch zu kontrollieren. Wie man sich denken kann, war es ein sehr langes Rennen für mich."

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Nach dem Rennen brüllte Alonso die Freude regelrecht aus sich heraus

Frage: "Wie ist es dir mit der Konzentration gegangen? War es schwierig, vor dem Start nicht schon an das Rennende zu denken?"
Alonso: "Ich habe von der ersten Runde an an die Weltmeisterschaft gedacht, aber das Rennen hatte zwei oder drei unterschiedliche Teile. Im ersten Stint fightete ich gegen Juan-Pablo (Montoya; Anm. d. Red.) und Kimi (Räikkönen; Anm. d. Red.), daher waren die ersten 20 Runden ziemlich schnell vorbei. Dann konzentrierte ich mich auf Michael - und am Ende hat mir das Team gesagt, dass es sogar noch zu regnen beginnen könnte in den letzten drei oder vier Runden! Ich wollte dafür einen Vorsprung vor Michael haben, was mich im letzten Stint motiviert hat."#w1#

Alonso sieht sich als spanischen Einzelkämpfer

Frage: "Versuche, deine Gefühle in diesem Moment zu beschreiben!"
Alonso: "Ich komme aus einem Land, welches keine Formel-1-Tradition hat. Ich musste ganz alleine kämpfen, hatte in meiner ganzen Karriere nie irgendwelche Hilfestellungen. Ich bin nur dank der Erfolge in anderen Kategorien in die Formel 1 gekommen, natürlich auch dank meiner Sponsoren, aber dieser WM-Titel ist das Maximum, was ich im Leben erreichen kann. Das habe ich drei oder vier besonderen Menschen zu verdanken, aber sonst niemandem."

Frage: "Weltmeister Fernando Alonso. Wie hört sich das an?"
Alonso: "Das klingt großartig! Heute ist ein großartiger Tag, denn jetzt ist es mathematisch unmöglich, dass mich Kimi noch überholt. Ich bin wirklich erfreut über dieses Rennen. Es war nicht einfach. Zu Beginn hatten wir wegen des Wetters gewisse Zweifel, dann machte mir der Reifenverschleiß Sorgen. Ich hatte Michael immer im Auge, denn er war heute recht schnell unterwegs."

Frage: "Was war los, als dich Juan-Pablo Montoya nach der Safety-Car-Phase überholt hat?"
Alonso: "Das war nicht geplant! Ich wusste, dass Juan-Pablo im ersten Stint schneller als ich war - eigentlich ja das ganze Rennen hindurch. Beim ersten Überholversuch wusste ich gleich, dass ich keine Chance habe, denn ich konnte ja auch kein Risiko eingehen. In Suzuka wird das aber anders sein!"

Frage: "Ist es schwierig, ein so kontrolliertes Rennen zu fahren wie heute?"
Alonso: "Ja, denn es kann alles passieren. Ich war beim Überrunden der Minardis und Jordans extrem vorsichtig, nachdem wir mit Monteiro in der Türkei und mit Juan-Pablo und Pizzonia in Spa gesehen haben, was da alles schief gehen kann. Das waren riskante Momente. Ich habe versucht, das Rennen einfach sicher abzuspulen, aber es waren sehr lange 71 Runden."

Renault hatte das Wochenende über zu wenig Grip

Frage: "War das Auto perfekt?"
Alonso: "Nicht wirklich. Der Grip war dieses Wochenende ein Problem. Wenn wir vorne die Flügel steiler eingestellt haben, setzte Übersteuern ein, wenn wir hinten steilere Flügel nahmen, bekamen wir Untersteuern. Wir hatten nie eine perfekte Balance, aber es hat ja zu einem Podium gereicht."

Frage: "Wann im Rennen wurde dir klar, dass du Weltmeister bist? Und was hat es mit deinem merkwürdigen Jubel auf dem Podium auf sich?"
Alonso: "Ich habe es erst beim Überfahren der Ziellinie realisiert. In den letzten zwei oder drei Runden hört man alle möglichen Geräusche vom Auto, weil man sich Sorgen wegen eines Defekts macht. Da ist die Anspannung enorm. Aber als ich über die Ziellinie gefahren bin, war das eine große Erleichterung. Zu der Sache am Podium: Es gibt in meiner Heimat ein typisches Getränk, Sidra, und da muss man aus der Flasche von weit oben aus der Luft ins Glas einschenken. Das habe ich mit dem Pokal nachgemacht!"

Frage: "Was ist dir durch den Kopf gegangen, als du über die Ziellinie gefahren bist?"
Alonso: "Das kann ich nicht sagen! Ich habe mir Sorgen gemacht wegen des Autos, ob es hält, wegen der Reifen und so weiter. Als ich über die Linie gefahren bin, habe ich den Funk auf volle Lautstärke gedreht, um den Mechanikern zu danken. Wirklich gedacht habe ich aber eigentlich nichts."

Nur in den ersten Rennen war der Renault überlegen

Frage: "Es braucht einen sehr reifen Fahrer, um mit einem Auto, das nicht das schnellste ist, Weltmeister zu werden, nicht wahr?"
Alonso: "Schon, aber ich hatte ja auch ein sehr gutes Auto. Die ersten drei Rennen waren außergewöhnlich, denn ich konnte mit 70 Prozent des Potenzials Rennen gewinnen. Ab Barcelona und Monaco muss McLaren dann irgendetwas gefunden haben, denn plötzlich konnten wir auch mit 100 Prozent nicht mehr aus eigener Kraft gewinnen. Es war ein gutes Jahr, aber wie gesagt, ich habe die Weltmeisterschaft gewonnen, ohne das beste Auto gehabt zu haben. Darauf bin ich wirklich stolz. Aber nach 21 Jahren Rennsport habe ich die dafür nötige Reife."

Frage: "Musstest du deine Gefühle in den letzten Monaten zurückhalten?"
Alonso: "Ja."

Frage: "Dann muss das ja jetzt eine große Befreiung für dich sein..."
Alonso: "Noch nicht jetzt, dafür ist es noch zu früh, aber in den nächsten zwei oder drei Tagen werde ich wahrscheinlich realisieren, was da eigentlich passiert ist."

Frage: "Wann hast du im Verlauf dieser Saison erstmals darüber nachgedacht, dass es mit dem Titel klappen könnte?"
Alonso: "Nach Hockenheim und Ungarn. Vom vierten bis zum 14. Rennen war der Vorsprung immer ungefähr 20 Punkte groß. Daher wusste ich, dass es machbar sein könnte, den Vorsprung über die Runden zu retten."

Alonso widmet den Titel Familie und Freunden

Frage: "Möchtest du diesen WM-Titel jemandem widmen?"
Alonso: "Meiner Familie und meinen wirklich engen Freunden. Leider habe ich davon nur drei oder vier."

Frage: "Wie hast du in der Nacht von Samstag auf Sonntag eigentlich geschlafen?"
Alonso: "Die Nacht war okay, nicht ungewöhnlich. Heute Morgen war ich beim Frühstück, dann hatten wir das Meeting für die Rennstrategie. Dann habe ich vor dem Rennen noch einmal geschlafen. Ich war eigentlich nie besonders gestresst, was dieses Wochenende angeht. Ich wusste ja, dass noch drei Rennen zu fahren sind. Da hätten mir auch drei siebente Plätze gereicht, um Weltmeister zu werden. Von daher habe ich mich nicht unter Druck gesetzt. Aber natürlich bin ich jetzt sehr happy. In den letzten zwei Rennen muss ich nun nicht mehr so konservativ agieren!"

Frage: "Macht es für dich einen Unterschied, dass es schon hier in Brasilien passiert ist? Und wie ist es, sich einen solchen Kindheitstraum zu erfüllen?"
Alonso: "Jeder Ort, an dem man eine Weltmeisterschaft gewinnt, ist okay. Es kümmert mich nicht, ob ich hier oder in einem anderen Land gewinne. Klar, hier ist die Formel 1 sehr populär, die Fans sind auch sehr emotional, aber das macht keinen allzu großen Unterschied. Wie ich mich fühle? Natürlich geht ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung, denn jeder Rennfahrer will eines Tages Formel-1-Weltmeister werden. Ich bin ja erst 24 Jahre alt, aber diesen Erfolg kann man mit nichts mehr übertreffen. Ich bin der jüngste Weltmeister aller Zeiten. Jetzt muss ich mir neue Ziele suchen, denn dieses habe ich erreicht."

Minardi-Youngster, Testfahrer - und jetzt auch Weltmeister

Frage: "Wie schafft man es, innerhalb so weniger Jahre vom Minardi- zum Testfahrer und schließlich zum Weltmeister aufzusteigen?"
Alonso: "Zu Beginn meiner Karriere war es ziemlich deprimierend, denn ich habe in allen Nachwuchsserien immer gewonnen, aber dann kam ich zu Minardi und fuhr plötzlich der Konkurrenz nur noch hinterher. Nach dem Lehrjahr bei Renault wollte ich in ein konkurrenzfähiges Auto wechseln, aber leider war bei Renault damals noch kein Platz für mich frei. Also musste ich ein Jahr testen. Seit 2003 habe ich mich und meinen Fahrstil weiterentwickelt. Ich bin mit dem Team gewachsen. Jetzt stehen wir, wo wir heute sind."

Frage: "Was sind im Nachhinein die wichtigsten Momente deiner Karriere gewesen?"
Alonso: "Ich weiß es nicht. Alles! Bei meinem ersten Rennen war ich erst drei Jahre alt. In 21 Jahren Rennsport gab es einige sehr wichtige Rennen."

Frage: "War Kimi Räikkönen ein schwer zu besiegender Gegner? Und was bedeutet es dir, den Titel gegen ihn gewonnen zu haben?"
Alonso: "Es war für mich und für ihn ein fantastischer Kampf. Ich denke, durch Kimi ist dieser Titel viel mehr wert, denn Michael hatte mit seinem Ferrari einige Probleme und war nicht so stark wie sonst, aber McLaren zu knacken, das war eine harte Nuss. In den letzten Rennen hat man gesehen, dass es fast unmöglich ist, Kimi zu schlagen, wenn er mit seinem Auto ins Ziel kommt, daher ist dieser Erfolg über ihn vielleicht sogar mehr wert als in den letzten Jahren gegen Michael."

Frage: "Und was bedeutet es dir, Michael Schumacher geschlagen zu haben?"
Alonso: "Jeder will Michael schlagen, denn das ist so, wie wenn ein Radfahrer Lance Armstrong bei der Tour de France schlägt. Im ersten Jahr, in dem Michael nicht mehr fährt, hat die Weltmeisterschaft nicht mehr denselben Wert. Vielleicht denken die Leute, dass das mit Michael als Gegner anders ist. Es bereitet mir zusätzlich Freude, dass ich mich gegen ihn durchgesetzt habe."

Kein großer Empfang in Spanien geplant

Fernando Alonso

König Juan Carlos von Spanien war am Telefon einer der ersten Gratulanten Zoom

Frage: "Wann wirst du nach Spanien kommen und was für einen Empfang erwartest du dort?"
Alonso: "Nach China werde ich wahrscheinlich nach Spanien kommen. Etwas Großes werden wir nicht machen, denn wir haben schon versucht, etwas zu planen, aber da gibt es so viele politische Interessen, dass wir uns entschieden haben, es lieber bleiben zu lassen."

Frage: "Glaubst du, dass jetzt die Alonso-Ära in der Formel 1 anbricht?"
Alonso: "Nein, denn jedes Jahr ist anders, jedes Jahr gibt es neue Autos. Manchmal steht mein Name in den Zeitungen, aber manchmal auch Kimi, Button oder Juan-Pablo. Dieses Jahr war mein Jahr, ich hatte eben überhaupt keine Probleme. Das Glück war immer auf meiner Seite, auch das Team hat mir sehr geholfen. Das kann aber in den nächsten Rennen schon wieder ganz anders sein."

Frage: "Hast du deine Kritiker mit diesem Titel endlich mundtot gemacht?"
Alonso: "Ich kümmere mich nicht um die Leute, die mich nicht mögen. Das ist normal im Sport: Einer unterstützt den einen Fahrer, einer einen anderen. Bei mir ist das nicht anders. Ich versuche immer, meinen Job so gut wie möglich zu machen, ich versuche immer, die Wahrheit zu sagen. Das ist in unserem Sport manchmal ziemlich schwierig, denn wir können vielleicht zu 50 Prozent der Zeit die Wahrheit sagen. Ich mache es trotzdem meistens, aber manchmal gefällt es den Leuten eben nicht, was ich zu sagen habe."

Alonso möchte seinen Titel 2006 verteidigen

Frage: "Vor diesem Rennen warst du recht zuversichtlich, mit dem neuen Aerodynamikpaket den Abstand zu McLaren-Mercedes verkürzen zu können. Glaubst du, dass du in den letzten beiden Rennen um den Sieg kämpfen kannst? Und denkst du, dass du nächstes Jahr den Titel erfolgreich verteidigen wirst?"
Alonso: "Wir haben das Auto verbessert. Ich meine, wir haben es auf die Pole geschafft. Okay, wir hatten weniger Benzin an Bord, aber in den letzten paar Rennen kamen wir selbst mit weniger Benzin nicht auf die Pole. Das Auto ist schon besser geworden. Wir haben mit den Drehzahlen und so weiter auch nichts riskiert, weil wir die Fahrer-WM unbedingt sicherstellen wollten, aber bei den nächsten Rennen können wir wieder etwas mehr aufdrehen. In Suzuka werden wir sicher noch näher dran sein als hier in Brasilien. Wenn 'Fisi' und ich immer ins Ziel kommen, bin ich auch für die Konstrukteurs-WM optimistisch, denn ich glaube nicht, dass die McLarens immer durchkommen werden. Nächstes Jahr ist aber eine ganz andere Geschichte."

"McLaren und Renault waren dieses Jahr sehr stark, aber es ist unmöglich vorherzusagen, wie es nächstes Jahr laufen wird. Ferrari hat letztes Jahr alles dominiert. Niemand hätte sich vorstellen können, dass sie dieses Jahr nirgendwo mehr sind, aber so ist es gekommen. Das kann jedem passieren. Mit dem V8 beginnen wir alle bei Null, aber ich bin zuversichtlich. Mein Team bereitet sich perfekt auf die Saison 2006 vor. Ich denke, dass wir wieder um die Weltmeisterschaft kämpfen werden."