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Christine Lear: Eine Frau im Männerzirkus
Sauber-Aerodynamikerin Christine Lear kommt aus der IT-Branche, hat sich nun aber im männderdominierten Grand-Prix-Sport durchgesetzt
(Motorsport-Total.com) - Christine Lear ist eine Ausnahmeerscheinung im Team von Peter Sauber: Die gebürtige Irin ist nicht nur eine der raren Frauen in diesem von Männern dominierten Betrieb, sondern hat sich dank ihrer Fachkompetenz auch gleich noch ins neue Heiligtum des Schweizer Rennstalls vorgearbeitet, nämlich in den Windkanal.

© xpb.cc
Der Sauber-Windkanal in Hinwil ist seit Mai 2004 Christine Lears Arbeitsplatz
Schon als Kind klebte Lear am Fernseher, wenn die schnellen Autos am Sonntag ihre Runden drehten. Die anfängliche Lust am Spektakel wich mit der Zeit immer mehr einer Lust an der Technik: "Ich hörte die Kommentatoren über neue aerodynamische Teile fachsimpeln und dachte mir: 'Darüber würde ich gerne mehr wissen!'" Heute gehört die Irin selbst zu den Tüftlern, die den klugen Kommentatoren Stoff für ihre Fachsimpeleien liefern. Bis sie jedoch in ihrem Traumjob als Aerodynamikerin in der Formel 1 angelangt war, machte die studierte Informatikerin und Juristin einen längeren Abstecher in die Computerindustrie.#w1#
Lear arbeitet seit Mai 2004 im Sauber-Windkanal
Eines Tages meldete sich die alte Liebe wieder, und Lear begann ein Studium der Flugwissenschaft am Imperial College in London. Mit dem PhD (akademischer Grad) in der Tasche landete sie schließlich im Windkanal von Sauber-Petronas, seit Mai des vergangenen Jahres ihr neuer Arbeitsplatz. Bevor Lear in Hinwil ankam, war die neue Hightech-Bastion des Schweizer Rennstalls fest in Männerhand.
Für Lear nichts Neues: "In der Computerindustrie war ich als Frau auch stets in der Minderheit." Was sie nicht weiter störte, denn ihre Arbeitgeber waren jeweils an ihrer intellektuellen Leistung interessiert, nicht an ihrer Herkunft, Haarfarbe oder ihrem Geschlecht. Bei Sauber war das nicht anders; nur dass sich hier ihre grauen Zellen nicht mit Softwarelösungen beschäftigen, sondern mit Luftströmen, die rund um ein Rennauto entstehen. Etwa hinter den Vorderrädern - eine der Problemzonen, für die Lear zuständig ist. "Turning Vanes" nennt man die Teile dort, deren Aufgabe es ist, die Turbulenzen zu beruhigen, welche die Vorderräder erzeugen.
Am meisten Stress herrscht um die Weihnachtszeit
Als das 'eMagazine' der 'Credit Suisse' an diesem Dezembertag die Aerodynamikerin besucht, steckt sie mitten in einem dreitägigen Windkanaltest. "Crazy days" seien das jeweils, "vor allem jetzt, wenige Wochen vor dem Rollout des neuen Autos." Da kann das 3000-Kilowatt-Aggregat schon mal die ganze Nacht weiterlaufen. Gewöhnlich jagt der 66 Tonnen schwere Ventilator aber bloß während zwölf Stunden pro Tag die Luft durch die 141 Meter lange Stahlröhre - mit Geschwindigkeiten bis zu 300 km/h.
Kernstück des Kanals, der wie ein Kreislauf an den Innenwänden des Gebäudes durchführt, ist die Testsektion, ausgestattet mit einem rotierenden Stahlband. Hier ist genug Raum, um ein originalgroßes Rennauto zu platzieren; aus Kostengründen arbeitet man aber gewöhnlich mit 60-Prozent-Modellen. Sensoren am Modell liefern die Daten direkt in den Kontrollraum, der mit einer Glasscheibe von der Testsektion abgetrennt ist.
Windkanal als letzter Test vor der Ausfahrt
Der Test im Windkanal ist aber nur das vorläufige Ende eines Prozesses, der in einem streng definierten Zyklus immer wieder die gleichen Etappen durchläuft: dreidimensionales Design am Computer, Check durch den Aerodynamiker, Modifikation, neuerlicher Check durch Aerodynamiker, Weitergabe an Modellbauer, Anfertigung eines Modells, Windkanaltest, Datenauswertung. Passiert ein neues Teil schließlich erfolgreich alle Stufen, empfiehlt es Lear ihrem Chef zur Produktion. Gibt auch er grünes Licht, wird es angefertigt und rast schließlich über die Teststrecken - oder, falls dazu die Zeit fehlt, direkt über die Rennstrecken.
Ein ständiger Prozess der Verbesserung, der letztlich nur dazu dient, die Autos etwas schneller im Kreis drehen zu lassen. Am Ende gar ein Leerlauf? Lear wischt den Einwand kurzerhand weg: "Auch in der Industrie dreht man sich oft im Kreis." Das habe sie bei ihrer Arbeit in der Computerindustrie genügend erlebt: "Unsere Firma entwickelte eine Software für Computerchiphersteller. Dank der Software produzierten diese Firmen leistungsfähigere Prozessoren, mit denen wir schließlich wieder eine bessere Software auf den Markt bringen konnten." Als Leerlauf möchte Lear diese Entwicklungsschlaufen dennoch nicht bezeichnen: "Wie im Rennsport wird man mit jeder Runde nicht nur etwas schneller, sondern lernt auch etwas hinzu. Gibt es etwas Schöneres?"

