Cadillacs großer Formel-1-Plan: Wobei die NASA als Vorbild dient

Bei einer Führung durch die Anlagen des Teams in Silverstone erklärt Cadillac-Teamchef Graeme Lowdon, wie sich der Neueinsteiger mit NASA-Spirit wappnet

(Motorsport-Total.com) - Für Cadillac hat das Rennen bereits begonnen. Denn der Einstieg in die Formel 1 zur Saison 2026 erfordert es, von Grund auf ein Formel-1-Auto zu entwerfen, zu bauen und zu testen, bevor es rechtzeitig nach Australien für das erste Rennen verschifft werden kann.

Titel-Bild zur News: Graeme Lowdon

Graeme Lowdon ist Teamchef des neuen Cadillac-Formel-1-Teams Zoom

Der Zeitplan ist eng: Nur etwas mehr als elf Monate blieben, nachdem die Bewerbung zur Teilnahme an der Formel 1 - zunächst abgelehnt - schließlich genehmigt wurde.

Der Einstieg des Teams ist etwas Besonderes. Nicht nur, weil es ein neues Team darstellt, sondern auch, weil es im Gegensatz zu den anderen zehn Teams seinen Hauptsitz in den USA haben wird, in einer eigens errichteten Anlage in Fishers, Indianapolis.

Aufbauarbeit in Silverstone: Das europäische Standbein

Während dort die baulichen Grundlagen entstehen, werden in einer Reihe identischer Lagerhallen gegenüber des Silverstone Circuit, Austragungsort des Grands Prix von Großbritannien, bereits metaphorisch die ersten Steine gelegt.

Die ersten Grand-Prix-Autos von Cadillac werden derzeit von einem mittlerweile knapp 600-köpfigen Team entwickelt. Gestartet war man mit nur drei Personen. Einer von ihnen ist Graeme Lowdon, ehemaliger Teamchef von Marussia F1, der Motorsport.com, eine Schwesterseite von Motorsport-Total.com, durch die Anlagen in Silverstone führt.

"Nach dem aktuellen Kalender haben wir tatsächlich einen Tag weniger als ein Jahr, bis wir im Freien Training sein müssen. Und wie Sie sicher gesehen haben, gibt es hier noch viel zu tun", sagt er, während wir beobachten, wie neue Ausrüstung geliefert wird. Vieles ist noch originalverpackt, während das junge Projekt Form annimmt.

"Das ist ein amerikanisches Team", erklärt er. "Unser Hauptsitz ist in Fishers, Indianapolis. Was Sie hier in Silverstone sehen, ist sozusagen das Grundgerüst dessen, was man braucht, um überhaupt in die Startaufstellung zu kommen. Aber es gibt noch eine ganz andere Dimension dieses Teams, über die wir zur rechten Zeit in den USA mehr erzählen werden."

Der steinige Weg zur vollwertigen Rennmannschaft

"Die größte Herausforderung beim Aufbau eines Teams oder das wichtigste Element sind natürlich die Menschen. Wir sind jetzt seit 109 Tagen im Prozess. Uns bleiben etwa 250 Tage bis zum ersten Rennen. Das heißt, wir sind ungefähr ein Drittel des Weges gegangen und haben bereits etwa 67 Prozent des Teams rekrutiert."

"Um mit einem solchen Team an den Start zu gehen, braucht man etwa 600 Leute bis zum ersten Rennen. Derzeit haben wir also rund zwei Drittel beisammen, was wahrscheinlich bedeutet, dass wir aktuell nicht das kleinste Team im Formel-1-Feld sind."

Der Standort in Silverstone - graue Gebäude mit verschiedenen Abteilungen - bildet zwar einen Knotenpunkt, doch der Hauptfokus liegt langfristig in Fishers, dem künftigen Stammwerk für Cadillacs Formel-1-Projekt, wo US-Personal eingestellt wird, um die Fahrzeuge zu bauen.

"Wir sind hier in sechs Gebäuden untergebracht, die sich schließlich auf vier, eigentlich drei zentrale, reduzieren werden", sagt Lowdon. "Das UK Technical Centre, das UK Production Centre und das UK Logistics Centre. Das sind die drei Hauptgebäude hier. Zusätzlich wird es eine kleine Maschinenwerkstatt geben. Wir haben bereits rund 6.000 technische Zeichnungen herausgegeben und 10.000 Komponenten hergestellt."

Cadillac-Hallen in Silverstone

Am Silverstone-Standort wird mit Hochdruck auf den Einstieg hingearbeitet Zoom

"Fishers wird langfristig unser Produktionsstandort, aber das dauert seine Zeit. Wir müssen das Gebäude errichten, die Maschinen installieren, Personal einstellen, es ausbilden. Deshalb verlassen wir uns derzeit stark auf externe Zulieferer. Allein in dieser Woche haben wir 30 neue Lieferanten aufgenommen. Das ist das Tempo, das nötig ist. Allein das Lieferantenmanagement ist eine riesige Aufgabe. Langfristig wollen wir viel davon ins eigene Haus holen."

"Im IT-Bereich haben wir 425 Laptops ausgegeben. Das klingt vielleicht banal, aber ein etabliertes Team würde so etwas einfach aktualisieren. Bei uns ist das eine einmalige Aktion - und beeindruckend zu sehen, wie das passiert."

"Allein im IT-Bereich wurden 6.000 Bestellungen abgewickelt. Und wir speichern derzeit fünf Petabyte an CFD-Daten. Das sind 5.000 Billionen Bits an Informationen. Und all das wird in einer Infrastruktur gespeichert, die es vorher nicht gab, und von Leuten, die wir erst kürzlich eingestellt haben."

NASA als Vorbild für das Managementmodell

Mit dem Betrieb in den USA und im Vereinigten Königreich sowie der Möglichkeit, Cadillac mit einem von GM produzierten Aggregat aus den Werken in Michigan und Charlotte zu versorgen, sagt Lowdon, dass die Managementstruktur des Teams praktikabel sein muss, damit all diese Elemente sinnvoll zusammenwirken. Dafür habe man sich an der NASA und deren Apollo-Missionen orientiert.

"Ich könnte Sie zu Tode langweilen mit unserer Managementstruktur", sagt er lachend. "Aber wenn man sich die Aufgabe anschaut: Wir haben unverrückbare Deadlines. Wir brauchen massive Peer-to-Peer-Kommunikation. Ingenieure müssen mit Ingenieuren sprechen: ein Ingenieur hier, einer in Charlotte, einer in Warren (Michigan) oder später in Fishers. Also brauchen wir eine sehr flache Struktur."

"Das ist stark am Apollo-Projekt orientiert. Es ist sehr ähnlich, auch wenn wir keinen Menschen auf den Mond bringen, fühlt es sich manchmal so an!"
"Rennteams werden oft in militärischen Begriffen beschrieben: ein pyramidenförmiger Aufbau mit einer Person an der Spitze. Und die typische militärische Struktur ist 'Command and Control'. Man gibt also Befehle, und die Leute tun etwas."


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"Wenn es sich um mehrere Standorte handelt, wird das zu einer großen Herausforderung. Da kann ein Ingenieur nicht eine bestimmte Hierarchie auf- und absteigen, dann geografisch überspringen in ein anderes Land und dort wieder auf- und absteigen. Es handelt sich also um eine andere Struktur, bei der wir eine Art 'Mission Control' statt 'Command and Control' brauchen."

Durch die starke US-Ausrichtung sieht Lowdon auch einen Wettbewerbsvorteil. Die Silverstone-Anlage wird für mindestens zehn Jahre erhalten bleiben, um erfahrene Formel-1-Fachkräfte aus dem britischen "Motorsport Valley" zu gewinnen. Gleichzeitig soll die wachsende Popularität der Formel 1 in den USA helfen, Talente zu finden.

US-Talente für ein globales Projekt

"Wir werden US-Personal rekrutieren", sagt Lowdon. "Einige werden vielleicht zur Schulung hierherkommen. Aber ich denke, es gibt diese Wahrnehmung, dass Formel 1 nur in Großbritannien oder Europa stattfinden kann. Dabei denke ich mir: In den USA wird unglaublich hochentwickelte Ingenieurskunst betrieben. Sie haben buchstäblich einen Menschen auf den Mond geschickt."

"In den Projekten, die wir bereits mit GM durchgeführt haben, haben wir festgestellt, dass das Niveau und die Qualität der Ingenieursarbeit extrem hoch sind. Unsere Kollegen im GM Technical Centre in Charlotte haben bereits an verschiedenen Subsystemen des Autos gearbeitet."

Cadillac-Hallen in Silverstone

Das Werk in Silverstone bleibt zwar bestehen, Zentrum soll aber Fishers werden Zoom

"Natürlich gelten unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen, und es ist wirklich eine sehr, sehr große Aufgabe, diese Unternehmen aufzubauen. Aber was das Anziehen und Finden von guten Fachkräften betrifft, habe ich überhaupt keinen Zweifel. Im Gegenteil, ich glaube, das ist sogar ein Wettbewerbsvorteil."

Eine der häufig gestellten Fragen zu Cadillacs Einstieg in die Formel 1 war, was die Marke dem Sport bringen kann. Als Flaggschiff-Marke von GM hat Cadillac in Europa nur einen geringen Marktanteil, doch Lowdon sieht darin kein Problem, zumal das Projekt auch vom Sport-Franchise-Riesen TWG unterstützt wird.

"Ich denke, wir bringen einiges mit", sagt er. "Die Tatsache, dass wir von GM unterstützt werden, ist enorm wichtig, denn sie haben die nötige Größe. Und auch, dass TWG mit an Bord ist, ist sehr bedeutend, weil es zeigt, dass wir Investoren haben, die den Sport wirklich verstehen."

"Wenn man sich das Team anschaut: Wir haben viele erfahrene Leute hier. Und was wir ihnen bieten können, ist ganz klar diese flache Hierarchie. Wir können viel Verantwortung übertragen. Wenn dieses Auto zum ersten Mal ein Rad dreht, wird jeder hier sagen können: 'Das war mein Beitrag.'"

Die Fahrerfrage bleibt vorerst offen

Ein Bereich, der weiterhin offen ist, ist die Fahrerbesetzung des Teams. Der ehemalige Mercedes-Pilot Valtteri Bottas wird mit dem Cockpit in Verbindung gebracht, ebenso der frühere Red-Bull-Fahrer Sergio Perez. Lowdon gibt sich bei der Fahrerfrage zurückhaltend, räumt aber ein, dass Erfahrung dem Team helfen würde.

Er fügt hinzu: "Ein treffender Kommentar von jemandem, der hier herumgelaufen ist und gesehen hat, was alles passiert, war: 'Ich verstehe jetzt, warum die Fahrer nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen.' Es ist noch nichts entschieden."

"Ja, wir wissen, wer auf dem Markt ist. Wir haben ein gutes Bild davon, was wir brauchen. Aber wir sind noch ein Stück davon entfernt, diese Entscheidung zu treffen. Ich glaube, es gibt sehr starke Argumente dafür, dass ein neues Team im ersten Jahr enorm von erfahrenen Formel-1-Fahrern profitieren würde."

Es ist noch früh im Prozess, und es liegt noch viel Arbeit vor dem Team. Aber wenn Lowdon recht hat und sich wirklich die NASA als Vorbild dient, dann gibt es keinen Grund, warum Cadillac nicht nach den Sternen greifen sollte.

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