• 17.12.2007 11:46

  • von Michael Noir Trawniczek

Buchrezension: 'Die Eroberung des Sinnlosen'

Der Titel spricht für sich: 'Die Eroberung des Sinnlosen - Die wilden Jahre der Formel 1' - Helmut Zwickl verbeugt sich vor den wilden Zeiten des Rennsports

(Motorsport-Total.com) - 'Die Eroberung des Sinnlosen - Die wilden Jahre der Formel 1' - allein dieser Titel, quasi ein Buchtitel mit Turbolader und weit über 1.000 PS, ist dazu imstande, so etwas wie ein unnachgiebiges Interesse des Formel-1- oder Motorsportfans zu erwecken. Hinzu kommt so etwas wie ein "optisches Tuning", denn auch die Coverillustration von Klaus Wagger hat es in sich: Ein Gemälde, das sich über mehrere Epochen der Formel 1 hinweg erstreckt; es tummeln sich Ayrton Senna in seinem McLaren, Juan Manuel Fangio im Maserati, Jochen Rindt im Lotus 49 sowie Gilles Villeneuve in einem Turbo-Ferrari auf einer einzigen Straße, die Wahl der Fahrer auf dieser Collage spricht für sich.

Titel-Bild zur News: Coverzeichnung

'Die Eroberung des Sinnlosen': Eine Zeitreise in die wilden Jahre der Formel 1

Titel und Illustration deuten auf ein Juwel hin - und wenn man den Autor dieses 223 Seiten umfassenden, äußerst interessant bebilderten Werks kennt, wird das rundum bestätigt: Helmut Zwickl, für viele der Inbegriff von kritischem Motorsportjournalismus, den meisten wohl als Reporter der Zeitschrift 'Motorsport aktuell' bekannt. Seit 1963 hat Zwickl mehr als 560 Formel-1-Grands-Prix besucht, er ist weltweit einer von sechs Autoren, welche von der FIA einen Honorary-Member-Pass auf Lebenszeit erhalten haben.#w1#

Begegnungen mit Charakterköpfen

"Ich habe einfach wieder einmal in meinen Tresor gelangt und einige Gustostückerl aus vier Jahrzehnten Formel 1 zubereitet", erklärte Zwickl bei der Präsentation seines Buches. 17 Kapitel wurden es - darin schildert er Begegnungen mit Charakterköpfen wie Enzo Ferrari, Jochen Rindt, Niki Lauda, Frank Williams, Nigel Mansell, Gerhard Berger oder Bernie Ecclestone.

Begegnungen waren zu dieser Zeit noch von einer anderen Qualität, und sie fanden nicht nur im Fahrerlager statt. "Erinnerungen an Nigel" nennt sich eines der Kapitel - ein Portrait des britischen "Löwen", und zwar aus nächster Nähe. Zwickl ist bekannt als genauer Beobachter, und oft sind es die kleinen Gesten oder Nebensätze seiner Hauptdarsteller, die uns näher an die Menschen hinter den großen Fassaden bringen - wenn beispielsweise Mansell und seine Kinder bei Familie Zwickl zu Gast sind.

Doch Gartenidylle allein darf man nicht erwarten - im gesamten Buch wird man immer wieder daran erinnert, dass die "wilden Jahre" tatsächlich wild waren: Eine Fahrt von der Jacarepagua-Rennstrecke nach Rio, im Mietwagen, am Beifahrersitz von Mansell - und weil im anderen Mietwagen Alain Prost und Jacques Laffite sitzen, wird aus dieser Fahrt eine Verfolgungsjagd im Großstadtdschungel.

"Nigel stieß zwischen dem Bus und der Tunnelwand durch und ich rechnete fest damit, dass uns dieses Manöver nur noch im paketierten Zustand wie aus der Schrottpresse entlassen würde", schildert Zwickl und berichtet stolz, dass "wir mit 15 Sekunden Vorsprung auf Prost gewonnen haben, die Ziellinie war vor dem Intercont".

Wild und brutal

Einige der 17 Kapitel zeigen in drastischer Art und Weise auf, wie brutal die Formel 1 respektive der gesamte Motorsport noch vor nicht allzu langer Zeit waren. Das Kapitel "De Portagos Himmelfahrt" - ein tragisches Sittenbild. Von Enzo Ferrari aufgestachelt rast Alfonso de Portago 1957 bei der Mille Miglia in die Zuschauer, zwölf Tote, darunter er selbst. Enzo Ferrari widmet Zwickl ein weiteres Kapitel.

Berührend auch die Szenen von Niki Laudas ersten Gehversuchen im Ferrari, nachdem er auf dem Nürburgring minutenlang im Feuer saß und dem Tod von der Schaufel sprang: "Nikis Kopf ist bandagiert, das Gesicht eine blutrote Fratze, die Augen liegen in glutroten Höhlen. Willy Dungl hat ihm einen Spezialhelm gemacht, den er ohne Schmerzen aufsetzen kann."

Zuvor erfahren wir, dass Lauda bei einer Besichtigung auf der Nordschleife vor dem Unglücksrennen in einem PKW mit Zwickl auf dem Beifahrersitz just an der Unfallstelle das Tempo verlangsamt hat: "Dass Niki auf dieser Runde ausgerechnet bei Kilometer 10,5 langsamer fährt, fast stehen bleibt, schickt mir heute noch einen kalten Schauer über den Rücken." Damals hat Zwickl im Auto ein Tonbandgerät mitlaufen lassen - diese Aufzeichnung gehört zu jenen Schätzen im Tresor, die Zwickl bei der Buchpräsentation erwähnt hat.

Helmut Zwickl

Helmut Zwickl ist einer der bekanntesten Journalisten im Fahrerlager Zoom

Es ist eine Reise quer durch die Motorsportgeschichte, auf die uns Zwickl mitnimmt - der tragische Tod seines Freundes Jochen Rindt, dem eine hohle Bremswelle zum Verhängnis wurde, weil Lotus-Chef Colin Chapman jedes Kilo einsparen wollte. Wir erleben in diesem Buch noch einmal die rasante Entwicklung der Formel 1 - Zwickl gedenkt dabei auch der zahlreichen Opfer, als es die Überlebenszelle aus Kohlefaser noch nicht gab: "Dieses Werk soll eine Verbeugung sein: vor den wilden Zeiten des Racings und dessen Protagonisten", schreibt Zwickl auf der Buchrückseite.

Zunehmende Sprachlosigkeit

Doch es gibt noch eine weitere Facette bei diesem Werk: Im Prolog (das Vorwort schrieb niemand geringerer als Sir Stirling Moss) nimmt sich Zwickl kein Blatt vor den Mund, wenn er die wilden Jahre der Formel 1 mit der Gegenwart vergleicht: "Die heutige Fahrergeneration ist sprachlos. Warum fragen wir Kimi Räikkönen überhaupt noch was, wenn er ohnehin immer nur 'I dont know' von sich gibt? Kaum einer, der etwas Faszinierendes rüberbringt, die Pressekonferenzen werden zu einem verkrampften Frage- und Antwortbrei, austauschbar zwischen Melbourne und Interlagos."

Als eine Abrechnung möchte Zwickl sein neuestes Buch jedoch nicht verstanden wissen: "Eine Abrechnung geschieht im Bösen - ich hege keinen Groll." Auch wenn sich der langjährige Reporter die Freiheit herausnimmt, nicht mehr jeden Grand Prix zu besuchen, um sich den schönen Dingen im Leben zu widmen. Seit 15 Jahren veranstaltet Zwickl mit seinem Partner Michael Glöckner die Oldtimer-Rallyes "Ennstal-Classic" und "Planai-Classic" - dabei erleben die Zuschauer Motorsport aus nächster Nähe, zahlreiche Motorsportgrößen waren bereits zu Gast.

Mit seinem Buch gibt uns Zwickl einen nahezu intimen Einblick in eine faszinierende Epoche der Motorsportgeschichte. Das Buch widmet er seiner Frau und seinen Kindern, "die ich so oft allein gelassen habe, weil ich der 'Eroberung des Sinnlosen' nachgerannt bin".

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