• 26.03.2013 15:31

  • von Dominik Sharaf

Briatore über Red Bull: "Vettel ist der Boss"

Experten uneinig: Herrscht bei den Österreichern Chancengleichheit? - Briatore übt scharfe Kritik an Teamchef Horner und erkennt Klima der Angst

(Motorsport-Total.com) - Es ist fast schon zur Glaubensfrage geworden, ob ein Team seine Fahrer anweisen darf, die Plätze zu halten oder zu wechseln. Die Vorkommnisse beim Malaysia-Grand-Prix am vergangenen Wochenende haben dieser Diskussion neuen Zündstoff geliefert, die Meinungen gehen weiter auseinander. Derweil gerät Christian Horner zunehmend in die Kritik, weil Sebastian Vettel seine Direktive missachtete. Flavio Briatore nimmt kein Blatt vor dem Mund, wenn es um die Rolle des Teamchefs geht.

Titel-Bild zur News: Christian Horner, Flavio Briatore

"Keine Eier": Flavio Briatore lässt an Christian Horner kein gutes Haar Zoom

Im Gespräch mit dem italienischen Radiosender 'RAI' findet er deutliche Worte: "Wäre dort ein Teamchef mit Eiern am Werk, hätte er sie angewiesen, wieder die Plätze zu tauschen", so Briatore mit Blick auf den eher harmlosen Kommentar Horners im Funk an Vettel, dass die Aktion "dumm" gewesen sei. "Das Problem ist, dass dort Leute mit unterschiedlichen Ideen an der Boxenmauer stehen, mit Helmut (Marko, Anm. d. Red.) im Hintergrund, der sich mit Mateschitz abspricht", analysiert der 62-Jährige.

Briatore wittert ein Klima der Angst, das die grauen Eminenzen aus Österreich verursachen. Das Sagen hätte aber ohnehin jemand, der einen Overall trägt: "Vettel ist dort der Boss", macht der Alonso-Intimus klar. "Es kann nicht sein, dass der Teammanager auch das Fahren übernimmt." Seine Theorie sieht er durch die Vorkommnisse nach dem Rennen untermauert, weil Designer Adrian Newey den Pokal für den siegreichen Konstrukteur in Empfang nahm: "Normalerweise geht der Teamchef auf das Podium beim ersten Saisonsieg."

Boullier erkennt Bevorteilung Vettels

Die Sache ist für Briatore ein Indiz dafür, dass Horner intern nur Erfüllungsgehilfe ist: "Aber nicht mal dazu war Christian stark genug. Weil sie vor einem Fahrer mit dem Sagen Angst haben und nicht vor dem Teamchef. Das erklärt eine Menge über seine Schwäche im Vergleich zu den anderen." David Coulthard misst dem nicht so viel Bedeutung bei und sieht in Vettel keinen heimlichen Machthaber, sondern einen Vollblutrennfahrer: "Wir müssen verstehen, dass da ein Tier im Auto sitzt, das unbedingt gewinnen will."

Weiter sagt der Schotte bei 'ServusTV': "Und das soll ja auch so sein. Wir wollen ja, dass die Rad an Rad kämpfen." Eric Boullier stimmt dieser Sichtweise zu, geht aber noch einen Schritt weiter: "Ich verstehe, das Seb genau wie Mark gewinnen wollte, aber vielleicht dachte er auch schon an den Titel. Weil er weiß, dass es hart wird", spekuliert der Lotus-Teamchef bei 'Autosport' über mögliches Kalkül hinter der Aktion in Sepang. "Es sieht schon aus wie in der Vergangenheit bei Red Bull. Vettel erhält ein paar Vorzüge im Vergleich zu Mark."


Fotos: Großer Preis von Malaysia


Also doch eine klare Hackordnung, wie sie Motorsportchef Helmut Marko eifrig bestreitet? Ganz gleich, wie dem auch sei: Briatore rechnet damit, dass entweder Vettel oder Webber Red Bull nach der Saison den Rücken kehren: "Ganz sicher, es gab schon im vergangenen Jahr Probleme", sagt er. Vettel ist bis einschließlich 2014 an den Brausehersteller gebunden, der Australier besitzt nur noch bis zum Saisonende Vertrag. Er kann sich der Rückendeckung aus Österreich aber sicher sein, glaubt man seinem Vater.

Steht Mateschitz hinter Webber?

Alan Webber verrät 'ABC', dass sein Sohn eine SMS von Red-Bull-Patron Mateschitz erhalten hätte: "Ich habe die Nachricht gelesen und ich denke, dass Marks Posten gesichert ist." Die Stimmung hellt das aber wohl kaum auf. "Ich glaube, da gibt es kein Verhältnis mehr", sagt Briatore über die Beziehung Vettel-Webber. "Da kann nichts mehr repariert werden. Sie sind zwei Profis, sie werden Rennen gewinnen aber ist undenkbar, dass Mark Vettel in der Zukunft helfen wird. Und ich denke auch nicht, dass Vettel Mark helfen wird."

Briatore spricht von zwei Feinden im Team und das werde "hoffentlich Ferrari bevorteilen". Für Coulthard stellt sich die Situation weniger dramatisch dar. "Du hast immer einen, der gewinnt und einen der verliert, also wird es nie eine perfekte Beziehung sein. Aber da ist Respekt da, und das ist glaube ich das Wichtigste", beschwichtigt der Ex-Formel-1-Pilot und heutige TV-Experte. "Die Beziehung der beiden als Teamkollegen unterscheidet sich nicht von Alonso und Hamilton oder Senna und Prost. Da gab es auch Reibung."

David Coulthard

David Coulthard glaubt, dass die Red-Bull-Piloten sich wieder zusammenraufen Zoom

Wenn es um Erfahrungen aus der Vergangenheit geht, kann McLaren aus den Vollen schöpfen. In Spa-Francorchamps 1999 verlangte Mika Häkkinen, dass der in Führung liegende Coulthard ihm die Tür aufmacht: "Da wollte Mika gar nicht mit mir reden. Er hat gesagt, dass er sich erwartet hätte, dass ich ihm den Platz überlasse. Er wollte den Grand Prix gewinnen und hat sich auf die Teamorder verlassen", erinnert sich der Schotte, der selbst siegte. Trotzdem meint er: "Ich war einer, der viel mehr auf das Team gehört hat."

Whitmarsh stellt Moral über Erfolg

Entsprechend betont Coulthard, dass aller Mühen Anfang bei der gesamten Mannschaft zu verorten sei: "Solche Konflikte gibt es immer, aber das Team ist das Wichtigste. Das Team hat das Auto gebaut und stellt das Auto auf die Strecke." Ähnlich denkt auch Martin Whitmarsh: "Der Fahrer begeht einen Vertragsbruch und die Truppe ist wichtiger als der Pilot, oder? Bei jedem Team. Wir haben zwischen 600 und 700 Mitarbeitern, das muss man sich ins Gedächtnis rufen", so der McLaren-Teamchef gegenüber 'Autosport'.

Doch so simpel ist die Sache nicht, wie Whitmarsh weiß: "Fahrer sind Wettkampftypen, das ist ihre Herausforderung." Deutlich wurde das 2007, als Fernando Alonso und Lewis Hamilton sich ins Gehege kamen. "Es wäre einfach, darauf zu beharren, dass wir das nicht machen, und andere zu belehren. Jeder kann behaupten, wir hätten die Meisterschaft weggeworfen", räumt der Brite ein. "Das ist wahr. Es hätte sich nicht richtig angefühlt, in einem Büro zu sitzen und zu sagen: 'Wir machen Alonso oder Lewis zum Weltmeister.'"

Fernando Alonso, Lewis Hamilton

Präzedenzfall 2007: Alonso und Hamilton kämpften mit allen Mitteln gegeneinander Zoom

Whitmarsh zieht eine offene und ehrliche Art den Lorbeeren vor und bereut nichts: "Hoffentlich würde ich alles nochmal genauso machen", blickt er auf ein mögliches Déjà-Vu in der Zukunft. Coulthard würde anders entscheiden, stünde er am Kommandostand: "Wenn du als Team etwas in deiner Hand hast, dann musst du versuchen, es auch zu nutzen." Dennoch kann er nachvollziehen, dass solche Entscheidungen vor den TV-Bildschirmen und auf den Rängen mit Unmut quittiert werden: "Ich verstehe, dass man da als Fan enttäuscht ist, weil man Rennen Rad an Rad sehen will."