"Bin wirklich beeindruckt": Selbst Hamilton staunt über Bearman-Debüt

Oliver Bearman hat sich bei seinem ersten Formel-1-Qualifying beachtlich geschlagen, denn nach dem Anruf von Ferrari ging alles sehr, sehr schnell

(Motorsport-Total.com) - Als Oliver Bearman am Freitagmorgen in Dschidda aufwachte, war er noch voll darauf eingestellt, später am Tag das Sprintrennen der Formel 2 zu absolvieren. Weil er im Qualifying am Donnerstag die Poleposition geholt hatte, wäre er heute von Startplatz zehn ins Rennen gegangen. Doch stattdessen saß er wenig später im Formel-1-Auto von Ferrari.

Titel-Bild zur News: Oliver Bearman (Ferrari) bei seinem Formel-1-Debüt in Dschidda 2024

Oliver Bearman kam überraschend zu seinem Formel-1-Debüt Zoom

Weil Carlos Sainz mit einer Blinddarmentzündung passen musste, musste plötzlich Bearman ran und sah sich mit seinen 18 Jahren als jüngster Formel-1-Pilot der Scuderia. Sein erstes Qualifying absolvierte der Engländer recht ordentlich: Zwar verpasste er den Einzug in Q3 knapp, als Elfter sind im Rennen aber durchaus Punkte drin.

Die sind nämlich das Hauptziel des Debütanten, der erst im Laufe des Tages von seinem Glück erfahren hatte. "Ich hatte gar keine Zeit, nervös zu werden oder es zu zerdenken, weil es so spät war, dass ich mich sofort darauf konzentrieren musste, auf Speed zu kommen und die verlorene Zeit gutzumachen", lacht er.

Nicht einmal seiner Mutter konnte er nach der Nachricht Bescheid geben, und auch seinen Vater, der in der Garage mitfieberte, hatte er bis zum Qualifying nicht einmal gesehen. "Ich bin vom Auto zu den Ingenieuren und zurück ins Auto", erzählt er.

Denn nach der Entscheidung ging alles sehr schnell. Weil er die beiden Trainingssessions am Donnerstag verpasst hatte, hatte Bearman mit den Ingenieuren noch einiges aufzuarbeiten. "Ich habe mit den Ingenieuren Vollgas gegeben, um alles in den Griff zu bekommen und so schnell wie möglich auf Speed zu kommen", sagt der Youngster.

Das dritte Freie Training lief dann sehr ordentlich. Bearman drehte 22 Runden und landete auf Position zehn. Das nährte die Hoffnung, dass im Qualifying vielleicht sogar ein gutes Ergebnis möglich sein könnte.

Doch Teamchef Frederic Vasseur sagte ihm vorher, dass es Bearman nicht übertreiben soll. "Fred sagt nicht viel, aber was er sagt, das meint er auch. Er hat mir wirklich klar gesagt, dass ich es Schritt für Schritt angehen soll und nicht versuchen soll, ein Held zu sein", erklärt der Ferrari-Pilot.

Bearman hadert mit Q2

Durch Q1 kam er als Neunter locker durch, doch Q2 sei für ihn nicht ganz nach Wunsch verlaufen. Bearman macht ein paar kleinere Fehler und scheiterte um 36 Tausendstelsekunden an der nächsten Hürde.

Vor allem in den ersten beiden Kurven habe er ein paar Probleme mit der Stabilität gehabt. "Der Wind hat sich ein wenig gedreht, und ich habe mich nicht gut daran angepasst. Der erste Sektor war immer etwas knifflig für mich", sagt er.

Auch mit seinem letzten Reifensatz konnte er nicht in die Top 10 gelangen, doch auf seinem zweiten Versuch scheiterte er dann nur knapp. "Die Runde war eigentlich ganz gut", sagt er. Doch weil es schon die zweite schnelle Runde auf dem Reifen war, hatte dieser nicht mehr die Spitzenperformance.

"Im Moment bin ich nicht so stolz", sagt er nach seinem Q2-Aus. "Der Racer in mir weiß, dass das Auto schnell genug für Q3 war. Darüber bin ich etwas enttäuscht." Doch er weiß auch: "Wenn ich in ein paar Tagen noch einmal zurückblicke, dann werde ich stolz sein."

Formel-2-Pole gerne hergeschenkt

Denn Bearman weiß, dass er auf eine kometenhafte Karriere blicken kann. "Ich habe einen so steilen Aufstieg hingelegt", muss er sich kneifen. "Vor drei Jahren war ich noch in der Formel 4, und erst vor drei, vier Monaten habe ich meinen ersten Formel-1-Test gemacht. Es ging alles sehr schnell."

Das war damals die Vorbereitung auf seinen ersten Trainingseinsatz bei Haas. Von diesen soll Bearman 2024 übrigens sechs erhalten, um sich auf einen möglichen Aufstieg 2025 vorzubereiten.

Das sollte er eigentlich am besten mit dem Titel in der Formel 2 bewerkstelligen. Doch der ist jetzt nicht einfacher geworden, weil Bearman nach der Nullnummer von Bahrain auch aus Saudi-Arabien keine Punkte mitnehmen wird. Für das Formel-1-Abenteuer mit Ferrari hat er auch eine immens wichtige Poleposition sausen lassen.

Doch das hat der Ferrari-Junior gerne in Kauf genommen: "Das Ziel der Formel 2 ist, in die Formel 1 zu kommen, oder?", sagt er. "Ich habe die Chance bekommen, und diese lass ich unter keinen Umständen vorbeiziehen."

"Wenn ich hier in der Formel 1 ein gutes Wochenende zeigen kann, dann zeigt das mehr, als wenn ich das Hauptrennen in der Formel 2 gewinne und die Pole hole. Ich habe die halbe Arbeit in der Formel 2 mit der Pole gemacht, und hoffentlich kann ich morgen ein paar Punkte holen und zeigen, was ich draufhabe."

Langes Rennen mit Geduld angehen

Das wird für Bearman noch einmal die größere Herausforderung. Ein Rennen über eine solche Distanz hat er noch nie in seiner Karriere bestritten, und der körperliche Schritt von der Formel 2 zur Formel 1 ist gewaltig, meint er.

Aber: "Ich war immer bereit für mein Debüt. Darauf habe ich hintrainiert, für den Fall, dass sich die Formel-1-Chance ergibt - und das ist endlich so. Hoffentlich kann ich einen guten Job machen", so Bearman, der zwar Punkte anvisiert, es aber auch ruhig und überlegt angehen möchte. Denn gerade auf einem schwierigen Stadtkurs wie Dschidda können sich mit Geduld Möglichkeiten ergeben.


Fotostrecke: Die 10 jüngsten Formel-1-Piloten aller Zeiten

"Genau, das ist mein Ziel. Keine Fehler, aufbauen, ins Ziel kommen und Chaos vermeiden und Erfahrung sammeln - und hoffentlich Punkte mitnehmen."

Hamilton lobt: "Großartiger Kerl!"

Den ersten Schritt hat Bearman am Freitag schon einmal getan und sich damit auch den Respekt seiner Kollegen eingehandelt. Max Verstappen, Charles Leclerc und Carlos Sainz waren auf der Pressekonferenz voll des Lobes für den Debütanten, der ihrer Meinung nach unter schwierigen Bedingungen einen Topjob gemacht habe.

Und selbst der siebenmalige Weltmeister Lewis Hamilton staunt: "Großartiger Kerl! Er macht mich fast aus Q3 geschmissen und eine großartige Leistung gezeigt", lobt er. "Dass er ohne Training einsteigt und so abliefert, ist echt mega. Ich bin wirklich, wirklich beeindruckt. Das zeigt einfach, was für ein Talent er ist."


Mit solchen Worten lässt es sich heute Abend doch sicherlich gut ins Bett gehen. "Ich werde gut schlafen", grinst Bearman. "Das muss ich auch, denn das Rennen morgen ist lang - das mit Abstand längste meiner Karriere."

"Nicht die gewünschten Umstände"

Vorher muss er aber noch eine Menge Dinge mit seinem Team durchgehen, vor allem die Longruns im Training, die für morgen wichtig sein werden. "Und solche Dinge wie Start, Boxenstopp-Abläufe und so, an denen ich zeitlich noch nicht arbeiten konnte", sagt er. "Wir haben viel zu tun, aber hoffentlich kann ich noch acht Stunden Schlaf einschieben."

Und nach dem Wochenende kann er dann vielleicht endlich realisieren, was in Saudi-Arabien losgewesen ist, auch wenn er sagt: "Natürlich sind das nicht die Umstände, unter denen ich mein Debüt in der Formel 1 geben wollte."

"Ich wünsche Carlos alles Gute und hoffe, dass er sich gut erholen wird. Aber trotzdem ist es eine fantastische Möglichkeit, und hoffentlich kann ich morgen das Beste daraus machen."