Alpine: Warum "abkucken" kein Allheilmittel ist in der Formel 1

Wie Alpine nach Platz sechs in der Formel-1-Weltmeisterschaft 2023 Fortschritte machen will und welche konkreten Schwächen ausgemerzt werden sollen

(Motorsport-Total.com) - Einfach den Red Bull RB19 nachbauen und alle Probleme sind gelöst? An ein solches "Allheilmittel" glaubt Matt Harman nicht. Der Technische Direktor von Alpine aber meint sehr wohl: Was andere gut machen, das darf als Inspiration dienen. Und der RB19 als das dominante Auto der Formel-1-Saison 2023 lädt regelrecht zur Nachahmung ein.

Titel-Bild zur News: Pierre Gasly (Alpine A523) beim Formel-1-Rennen in Belgien 2023

Pierre Gasly (Alpine A523) beim Formel-1-Rennen in Belgien 2023 Zoom

"Ich glaube, wir verstehen ziemlich gut, was Red Bull macht", sagt Harman. "Aber natürlich sprechen wir nicht mit Red Bull darüber. Und du kannst auch nicht mit den Fingern schnippen und verstehst von jetzt auf gleich, was genau da vor sich geht."

Deshalb sei es im modernen Motorsport unerlässlich, ständig auf Konkurrenz-Beobachtung zu sein. Das habe für Alpine ein "recht gutes Bild von den anderen Autos" ergeben, meint Harman. Er hat jedenfalls "ein paar tolle Fahrzeuge mit wirklich interessanten Entwicklungen" ausgemacht.

Doch all das hat einen Haken: "Es ist wirklich wichtig, sich inspirieren zu lassen. Aber wenn du immer nur etwas nachmachst, wirst du nie nach vorne gelangen. Das heißt: Wir dürfen uns zwar Inspiration holen, aber wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Denn wenn du mit einem Auto Stand heute ankommst, ist das 2025 schon wieder veraltet. Du musst also zwei Jahre in die Zukunft denken."

Alpine ist überholt worden

Oder erst einmal Rückschau halten, was in der jüngeren Vergangenheit nicht funktioniert hat. Und da muss Harman einräumen, dass Alpine "noch nicht ganz am Ziel" sei mit seiner technischen Ausrichtung. Denn: "Andere Teams haben uns [2023] aerodynamisch übertroffen, indem sie größere Fortschritte erzielt haben als wir. Aber die Lektion haben wir gelernt."

"Es geht einerseits um die reine Entwicklungsarbeit und andererseits um den Abtrieb des Fahrzeugs, was wir aus dem Fahrzeug herausholen und wie wir es einsetzen können. Dazu haben wir über das komplette Jahr hinweg experimentiert, um der Sache auf den Grund zu kommen. Manches davon hat man gesehen, anderes nicht. Wir hoffen, das hilft uns dabei, 2024 mehr positive Ergebnisse zu erzielen."

A523 funktionierte 2023 nur unter Idealbedingungen

Und eine Erkenntnis ist: Der neue Alpine muss flexibler werden als sein Vorgänger aus der Saison 2023. Denn der A523 habe praktisch nur unter Idealbedingungen gut funktioniert, so Harman.

Er erklärt: "Wenn unser Auto dicht über der Fahrbahn liegt und sehr steif abgestimmt ist, generieren wir die optimale Leistung. Wir finden dieses Einsatzfenster."

"Aber wenn wir an eine Strecke kommen, die eine bestimmte Oberfläche hat oder auf der eine höhere Fahrwerkshöhe erforderlich wird, dann kriegen wir mitunter Probleme. Dann liegt das Auto den Fahrern auch nicht mehr. Das ist im Augenblick eine Schwäche."

Alpine musste 2023 "Kompromisse" eingehen

Und diese Schwäche nimmt Alpine mit in die Winterpause vor der Saison 2024, entgegen den eigenen Erwartungen: "Wir hatten gedacht, wir hätten das für 2023 gelöst, aber das war klarerweise nicht der Fall", sagt Harman. "Wir haben das Auto aber auch erst beim dritten, vierten Grand Prix wirklich verstanden, was untypisch ist für uns. Denn wir haben sehr fähige Leute im Team."

Pierre Gasly, Esteban Ocon

Pierre Gasly im Alpine A523 vor Teamkollege Esteban Ocon Zoom

"Aber das Einsatzfenster war einfach so schmal, das man Kompromisse eingehen musste, und das macht es dann kompliziert und führt zu ziemlich großen Leistungsschwankungen, je nach Strecke und je nach Konkurrenz."

Was 2024 anders werden muss bei Alpine

Das Ziel für den Alpine-Neuwagen müsse also ein "breiteres Einsatzfenster" sein, sagt Harman. "Wir müssen verstehen, wie wir das Auto entwickeln müssen, dass wir ein breiteres Optimum haben. Denn diese Autos sind komplex und manche Teams sind gut bei manchen Rennen, aber nicht so gut bei anderen Rennen. Wir müssen daher versuchen, das Auto weniger spitz zu machen."

Denn 2023 habe sehr anschaulich gemacht, was das aktuelle technische Defizit bedeuten kann: "An einem guten Tag mit einem guten Set-up und einer Strecke, die uns entgegenkommt, können wir es mit einem Mercedes aufnehmen und sogar überholen. An anderen Tagen wie in Baku oder Monza, da fahren wir hinten rum und fragen uns, was genau wir falsch gemacht haben."

Damit stehe Alpine aber "nicht allein" da in der Formel 1, betont Harman. "Es gibt weitere sehr gute Teams, die damit Probleme hatten. Denn bei diesen Autos setzt man schnell mal aufs falsche Pferd. Deshalb brauchen wir ein gnädigeres Fahrzeug, das sich besser einsetzen lässt. Damit sind dann auch bessere Ergebnisse möglich."

Auto-Dimensionen als Sackgasse für Alpine

Sofern man sich selbst entsprechende Möglichkeiten gibt, was 2023 nicht der Fall war: Laut Harman hat sich Alpine mit den Dimensionen seines Chassis nämlich selbst "etwas eingeschränkt" und deshalb "ein paar Probleme" bekommen - mit Folgen für die Weiterentwicklung des A523.

Ein Beispiel: "Wir haben ein Unterboden-Update gegen Saisonende doch nicht eingeführt, weil wir dafür etwas mehr Raum gebraucht hätten, den wir nicht hatten. Deshalb haben wir diese Leistung in das nächstjährige Auto einfließen lassen."

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