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  • 30.09.2014 09:10

  • von Dieter Rencken

Abiteboul: "Mercedes wird an die Grenzen der Physik stoßen"

Renault-Geschäftsführer Cyril Abiteboul im Interview: Wie man zurückschlagen will und wieso man kein Problem damit hätte, nur die Red-Bull-Teams zu beliefern

(Motorsport-Total.com) - Nach einem schwachen Saisonstart mit vielen Problemen hat Renault inzwischen deutlich aufgeholt. Dennoch zieht man im Vergleich zum Mercedes-Antriebsstrang klar den Kürzeren. Red Bull forderte daher Umstrukturierungen beim französischen Hersteller - mit Erfolg: Seit einigen Monaten ist Ex-Caterham-Teamchef Cyril Abiteboul in Viry-Chatillon Geschäftsführer und das Weltmeister-Team wird bevorzugt behandelt. Im Interview spricht der Franzose über die Vorteile der neuen Herangehensweise und erklärt, warum sich Renault trotz der bitteren Lehrstunden nicht als Verlierer sieht.

Titel-Bild zur News: Cyril Abiteboul

Geschäftsführer Cyril Abiteboul will Renault wieder titelfähig machen Zoom

Frage: "Cyril, hast du in deinen ersten drei Monaten bereits etwas verändern können?"
Cyril Abiteboul: "Das mache nicht nur ich, das ist die gesamte Renault-Sport-Abteilung, die sich in einem Prozess befindet. Wir überprüfen dabei auch die Strategie und wie wir sie ein- und umsetzen. Ich denke, wir waren in der Vergangenheit ein bisschen irritiert und haben uns durch unsere verschiedenen Kunden aus der Ruhe bringen lassen. Die Formel 1 ist eigentlich ein einfaches Spiel. Wir müssen einfache Regeln haben, einfache Merkmale und Ziele und eine sehr einfache Kommunikation."

"Das Ziel ist es, Weltmeister zu werden. Und im Moment haben wir das Ziel, mit einem Team Weltmeister zu werden. Leider ist es im Moment so, dass nur Red Bull dazu in der Lage ist. Deswegen denke ich, ist es eine einfache Entscheidung, alles zu Unternehmen, um Red Bull wieder in die Position zu bringen, dass sie auf jeder einzelnen Strecke gewinnen können, und das so schnell wie möglich."

"Ich sage auf jeder einzelnen Strecke, denn wir sollten nicht vergessen, dass wir in diesem Jahr immerhin ein paar Siege mit dem Red Bull/Renault-Paket gewinnen konnten. Und das ist in einem Jahr, in dem Mercedes komplett dominiert, gar nicht so schlecht. Es mag unter speziellen Umständen dazu gekommen sein, aber ich bin der Meinung, dass ein schlechtes Auto kein Rennen in der modernen Formel 1 gewinnen würde."

Renault sieht sich trotz der Rückschläge als Sieger

Frage: "Mercedes hat also nur gewartet, dass etwas passiert..."
Abiteboul: "Richtig. Aber du musst auch zuverlässig sein. Natürlich hat Mercedes einen fantastischen Job gemacht, aber ich denke, wir sollten allen drei Motorenherstellern Respekt zollen. Wir haben einen tollen Job gemacht. Wenn man auf Monza schaut, die Rundenzeiten und die Renndauer bestätigen die Arbeit, die wir in der Lage sind zu leisten. Durch uns kann man so schnell fahren, 360 km/h, das sind 20 km/h mehr als noch im vergangenen Jahr."

"Wir vergleichen auch die Rundenzeiten und die beste Runde im Qualifying war dieses Jahr 1,5 Sekunden schneller als noch mit dem vorherigen Auto. Das ist fantastisch. Und das alles auch noch mit 35 Prozent weniger Verbrauch. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir allen drei Herstellern Respekt zollen sollten. Ja, Mercedes hat einen etwas besseren Job als wir und Ferrari gemacht, aber ich bin mir sicher, dass der Rest des Feldes aufholen wird."

Daniel Ricciardo

Abiteboul sieht den hohen Monza-Top-Speed als Erfolgsbeweis Zoom

Frage: "Hat Renault Sport nicht eine sehr verworrene Struktur?"
Abiteboul: "Da stimme ich zu. Das ist dieses Durcheinander, das ich gemeint habe. Die Konfusion in der Formel 1 mit den vier Teams, die wir haben, und den Vorgaben, die wir bei allen erfüllen müssen. Aber ich stimme auch zu, dass dieses Durcheinander über die Formel 1 hinaus geht. Bevor man aber an dieses verworrene System außerhalb der Formel 1 denkt, sollte man sich auf die Struktur innerhalb der Formel 1 konzentrieren."

Frage: "Du hast die oberste Priorität also bei Red Bull gesetzt - was ist mit den anderen drei Teams? Hängt das von den jeweiligen Motorenverträgen ab? Ist es wie in einer Familie, wo der älteste Sohn automatisch erbt und die anderen müssen dem einfach folgen?"
Abiteboul: "Ich gehe davon aus, dass du von den verbliebenen Teams in Red Bull den ältesten Sohn siehst..."

Frage: "Und das Erfolgreichste..."
Abiteboul: "Ja, es basiert nur auf Erfolg und die Gelegenheit. Man muss die Chancen nutzen. Im Moment sind wir mit Red Bull in der Lage, die Meisterschaft zu gewinnen. Man kann auch die Sichtweise haben, dass wir in einer Position wären, zu schauen, wer der nächste Meister nach Red Bull wird. Aber das würde Renault zu viel in den Vordergrund drängen. Ich denke, dass selbst die Hierarchie der Teams, mit denen wir aktuell arbeiten, zeigt, dass aktuell kein anderes Team wettbewerbsfähiger ist als Red Bull."

Frage: "Du würdest Red Bull also die oberste Priorität geben, weil sie in der besten Position sind, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen..."
Abiteboul: "Ja, aber das bedeutet nicht, dass wir den anderen Teams einen schlechteren Service oder ein schlechteres Produkt geben. Dagegen sprechen schon die Regeln, die garantieren, dass wir allen das gleiche Produkt anbieten. Es gibt nur eine Stufe der Homologation. Aber die Philosophie von Renault lautet sowieso, dass wir jedem den gleichen Service anbieten."

"Ich war früher bei Caterham, aber brauchen die wirklich die gleiche Zeit auf dem Prüfstand wie Red Bull?" Cyril Abiteboul

"Aber wir müssen auch ein bisschen pragmatisch sein. Ich war früher bei Caterham. Brauchen die wirklich die gleiche Zeit auf dem Prüfstand wie Red Bull? In der Zeit, in der ich dort war, ich will da niemandem zu nahe treten, aber da hatten wir schon Probleme, die Rechnung für das Getriebe zu bezahlen. Wir sollten das also nicht durcheinander mischen."

Frage: "Das Auspuff-Design ist sehr komplex. Habt ihr also mehr Zeit dafür bei Red Bull verwendet..."
Abiteboul: "Ja, wir haben darauf den Fokus gelegt. Die Stimme von Red Bull hat mehr Gewicht, wenn es um den Anbau geht. Als ich über die Konfusion gesprochen habe und die Verworrenheit innerhalb unserer Kunden, lag das mitunter auch daran, dass wir jedem versucht haben, das gleiche Mitspracherecht zu geben. Das endete damit, dass wir einen Haufen an komplexen Aufgaben hatten."

"Das war fantastisch, als ich noch bei Caterham war, denn das hat meine Position dort gefestigt. Das war eines der vielen Dinge, die politisch gesehen sehr komplex waren - das zurecht kommen mit einem sehr schwierigen Produkt und vier verschiedenen Arten, es einzusetzen, das war unmöglich zu managen. Deswegen mussten wir uns etwas einfacheres überlegen, es musste deutlich einfacher zu verstehen und zu handhaben sein."

Alles für Red Bull

Frage: "Ist es möglich, dass ihr nächstes Jahr nur noch mit den beiden Red-Bull-Teams da steht?"
Abiteboul: "Alles ist möglich in der Formel 1, auch dieses Szenario. Aber ich möchte darauf nicht genauer eingehen. Im Moment konzentrieren wir uns auf die vier dauerhaften Verträge. Aber eine Sache ist wichtig: Unsere Strategie wird sich nicht ändern. Wenn wir nur noch zwei Kunden haben sollten, machen wir unser Ding. Wir leben dann mit dem Fakt, dass es zwei Kunden gibt. Das würde die Beziehung zu Red Bull nur noch verstärken. Wenn ich Red Bull sage, meine ich Red Bull Racing und Toro Rosso."

Frage: "Wie steht es um den kommerziellen Aspekt?"
Abiteboul: "Aus finanzieller Sicht hatten wir die Diskussion schon. Aber leider - und ich denke, das ist bei den meisten Motorenherstellern der Fall - bekommt man nicht das wieder, was man für die Entwicklung ausgegeben hat. Man erhält gerade mal die Kosten für die Lieferung. Der Einfluss auf meine Gewinn- und Verlustrechnung ist nicht so groß."

"Aber es stimmt, dass es einen großen Einfluss auf das Marketing hat. Wenn man allerdings auf das aktuelle Feld schaut, ist Caterham medial nicht so gut abgedeckt, wie es sein könnte. Aus rein sportlicher Perspektive hätten sie mehr verdient. Alles, was im Moment nach außen dringt, kommt von Red Bull und Toro Rosso. Deswegen meine ich auch, dass wir damit klar kommen würden, nur diese beiden Teams als Kunden zu haben."

"Alles, was medial im Moment nach außen dringt, kommt von Red Bull und Toro Rosso." Cyril Abiteboul

Frage: "Was für einen Einfluss hat es auf Renault, wenn ein französischer Fahrer, mit Total als Sponsor im Rücken, sagt: 'Dieser verdammte Motor'?"
Abiteboul: "Das tut weh. Vor allem, wenn wir uns erinnern, dass wir Romain früher finanziell unterstützt haben. Seitdem ist aber viel passiert. Und um ehrlich zu sein sollten wir dem nicht zu viel Gewicht beimessen. Er ist ein Sportler, er ist ein Athlet, er ist im Wettkampf und wenn der Junge im Auto sitzt, mitten in der Hitze des Gefechts, kann ich das total nachvollziehen, dass er die Nerven verliert. Weil wir Profis sind, geben wir da nicht viel darauf. Dass er es gesagt hat tut allerdings weh, weil es die Öffentlichkeit mitbekommen hat."

:Frage: Wie viel Input habt ihr?"
Abiteboul: "Wir haben extrem viel Input, weil wir auch drei Hersteller sind. Ich sage drei, aber es sind eigentlich vier, denn Honda ist bereits bei den Diskussionen mit dabei und ich denke, das ist nur fair. Also ist das kein Thema, kein Problem für uns."

Frage: "Was wäre die ideale Motorenregulation aus Sicht von Renault? Komplette Freiheit?"
Abiteboul: "Nein, mit Sicherheit nicht. Aus unserer Sicht, auch wenn wir im Moment nur bei den Motoren involviert sind, geht unser Engagement darüber hinaus. Wir wollen ein Teil der Show sein, wir wollen ein Teil der Geschichte der Formel 1 sein. Wenn ich das so sage, mache ich das mit Absicht. Denn ich meine damit, dass wir nicht zu viel in die Motorentechnologie investieren wollen."

"Jetzt müssen wir so schnell wie möglich die Leistungsbandbreite der Motorenhersteller eingrenzen, um nicht zu viel in diese Technologie zu investieren." Cyril Abiteboul

"Wir haben jetzt die Regeln die wir, die einen Schwerpunkt auf die die Energierückgewinnungs-Systeme und das Spritsparen legt. Jetzt sollten wir meiner Meinung nach ein Regelwerk erstellen, um so schnell wie möglich die Leistungsbandbreite der Motorenhersteller einzugrenzen, um nicht zu viel in diese Technologie zu investieren. Meiner Meinung nach sind die Kosten für die Entwicklung auf der einen Seite und die Kosten für das Team auf der anderen Seite extrem hoch. Wir müssen das so schnell wie möglich unter Kontrolle bringen. Renault ist da sehr empfindsam und sensibel."

Nissan-LMP1-Einstieg: Renault würde gerne Hilfe leisten

Frage: "Habt ihr eure Ausgaben dann wenigstens auch für andere Zwecke nutzen können, zum Beispiel für die LMP1?"
Abiteboul: "So sollten wir das eigentlich machen, oder sollten das zumindest so sehen. Es stimmt, dass es da sehr viele Übereinstimmungen zwischen den beiden Regelwerken gibt. Ich denke, dass man noch ein paar Schrauben am Regelwerk der LMP drehen sollte, um es erschwinglich zu machen, einen Formel-1-Motor in Le Mans einzusetzen. Das würde durchaus Sinn machen. Nissan hat bekannt gegeben, dass sie in Le Mans antreten wollen. Könnte man da Synergien zwischen den einzelnen Motorenvarianten nutzen, wäre das ein allumfassendes Objekt in der Firma."

Frage: "War das Einfrieren der Regeln eine zu große Einschränkung?"
Abiteboul: "Ich denke, es hat Sinn etwas zu haben, mit dem man starten kann. Wir sollten uns nicht bloßgestellt fühlen. Wir spielen mit toller neuer Technologie. Und wir sollten da nicht eingeschnappt sein, wenn wir das System anpassen müssen. Meiner Meinung nach sollten jetzt aber das Sportliche und das Geschäftliche die Oberhand über die Regeländerungen haben."

Renault-V6-Antreibsstrang

Renault würde den Formel-Motor gerne als Basis für Nissans Le-Mans-Projekt nutzen Zoom

Frage: "Wie sicher bist du, dass das so realisiert wird? Denn wenn nicht, könntet ihr wieder nicht in der Position sein, um mit Red Bull die Meisterschaft zu gewinnen..."
Abiteboul: "Du meinst nicht 2015? Vielleicht 2016?"

Frage: "Vielleicht nicht in der nahen Zukunft..."
Abiteboul: "Das stimmt, aber es gibt ein Gesetz von schrumpfenden Erträgen. Das bedeutet, dass auch Mercedes nach einiger Zeit mit seiner Entwicklung und der hohen Leistung in der Entwicklung an seine Grenzen stößt, die Grenzen der Physik. Und genau zu diesem Zeitpunkt und mit der Entwicklung, die wir machen, werden wir in der Position sein, um aufzuholen. Es stimmt also, sie haben einen Vorteil, wir sind im Hintertreffen, wir sind der Herausforderer und wir müssen aufholen."

"Wie auch immer, es ist ja auch so, dass die Regeln für alle gelten, auch für Mercedes. Ich bin mir auch nicht sicher, wie weit wir vom physikalischen Limit des Systems entfernt sind. Wenn ich mir aber ansehe, wo wir aktuell sind, könnten wir mit einem offenen Reglement deutlich weiter hinten sein, als jetzt mit dem eingefrorenen."

Frage: "Glaubst du, es wird nächstes Jahr eine Einigkeit zwischen den Teams geben?"
Abiteboul: "Es ist eine gute Sache. Ich bin mir aber nicht sicher. Wenn wir dem alten Concorde-Abkommen gefolgt wären, hätten wir jetzt vielleicht eine Einigkeit. Mit dem Neuen ist es vielleicht anders, ich weiß es nicht."

Frage: "Aber du hast das neue Concorde gesehen..."
Abiteboul: "Vielleicht bewegen wir uns in einer Grauzone. Das könnte aber nicht so schlecht sein, eine Grauzone in diesem Sport zu haben, denn man muss in der Position sein, um den Sport zu steuern. Wir haben nicht das Bedürfnis das perfekte System wie in einem Land zu haben. Ich sehe die Schwierigkeiten, die es in Frankreich gibt, um Sachen zu ändern. Das wollen wir in der Formel 1 nicht."