"Situation hochpolitisch": Ging Audi-Sport-Geschäftsführer wirklich freiwillig?

Audi Sport hat mit Sebastian Grams den zweiten Geschäftsführer verloren, wodurch Sportchef Rolf Michl nun alleine verantwortlich ist: Der Abgang sorgt für Unruhe

(Motorsport-Total.com) - Die Audi Sport GmbH kommt nicht zur Ruhe: Nachdem Mitte Juni kommuniziert wurde, dass das erfolgreiche Kundensport-Programm ab 2024 auf die Basisbetreuung heruntergefahren und der Fahrerkader aufgelöst wird, gab es vor einigen Wochen die nächste Hiobsbotschaft.

Titel-Bild zur News: Sebastian Grams

Häufiger Motorsport-Gast und -Enthusiast: Ex-Audi-Sport-Geschäftsführer Grams Zoom

Mit Sebastian Grams verlässt der zweite Geschäftsführer die High-Performance-Schmiede, in die auch der Motorsport eingegliedert wurde. Dadurch hat Rolf Michl, der auch als Motorsportchef agiert und Grams' Bereich kommissarisch übernimmt, nun die alleinige Verantwortung über rund 1.500 Mitarbeiter.

Während Michl einen kaufmännischen Hintergrund hat, ist Grams gelernter Ingenieur und gilt als hervorragender Techniker. Das Ende des Heilbronners, der erst am 1. März 2021 bei der Audi Sport GmbH Geschäftsführer wurde, kommt, wie man aus dem Audi-Umfeld hört, sehr überraschend.

Audi: Abgang von Geschäftsführer Grams "freiwillig"

Audi betont in einem Statement, dass Grams sein Amt als Geschäftsführer "auf eigenen Wunsch" und "mit sofortiger Wirkung" niedergelegt habe, "um sich beruflich außerhalb des VW-Konzerns neu zu orientieren".

Doch daran gibt es Zweifel: Denn der 43-jährige Grams hat erst am 31. August auf LinkedIn gepostet, dass seine "Batterien" nach dem Spanien-Urlaub wieder voll aufgeladen seien und er es daher "kaum erwarten" könne, "an neuen Produkten und Dienstleistungen zu arbeiten - und die Ergebnisse dann zu präsentieren".

Klingt nicht gerade wie jemand, der seinen Abschied plant. Doch am 20. September wurde das Audi-Sport-Personal über das sofortige Ausscheiden von Grams in Kenntnis gesetzt.

Hat Grams' Aus mit neuer Audi-Taskforce zu tun?

Tatsächlich gibt es Spekulationen, wonach der Abgang von Grams nicht so freiwillig war, wie das von Audi kommuniziert wird. "Die Situation bei Audi Sport ist aktuell hochpolitisch", verrät ein Audi-Kenner aus dem Volkswagen-Umfeld im Gespräch mit Motorsport-Total.com.

Über den Hergang kursieren unterschiedliche Versionen: Denn neben der Version, Grams habe sich selbst entschieden, extern eine neue Herausforderung anzunehmen, hört man aus unterschiedlichen Quellen, Audis Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann und Ex-Motorsportchef Julius Seebach, der bis August 2022 mit Grams die Audi Sport GmbH leitete, könnten hinter dessen Aus stecken.

Rolf Michl, Sebastian Grams

Audi-Sport-Doppelspitze gibt es nicht mehr: Rolf Michl (li.) mit Sebastian Grams Zoom

Seebach ist seit Mai 2023 bei der Audi AG für die Strategie und das Innovationsmanagement zuständig und berichtet direkt an Hoffmann, zu dem ihm ein enges Vertrauensverhältnis nachgesagt wird. Außerdem leite er, wie man hört, seit kurzem eine Taskforce für technische Problemlösungen innerhalb der Audi AG, die sich zum Beispiel um verschobene Modellanläufe oder Softwareprobleme kümmert.

Da Ex-Audi-Boss Markus Duesmann am 1. September 2023 - wie Motorsport-Total.com bereits ein Jahr davor prognostizierte - gehen musste und von Ex-Porsche-Mann Gernot Döllner ersetzt wurde, habe man dem neuen Boss gleich mal zeigen wollen, dass man "bereit sei, durchzugreifen", meint ein Insider. Zumal Grams mit seiner geradlinigen Art auch unbequem gewesen sei. Es ist nicht auszuschließen, dass in diesem Zusammenhang weitere Trennungen folgen.

Welche Auswirkung der Abgang für den Motorsport hat

Was all das mit dem Motorsport zu tun hat? Während Michl, der nun alleiniger Geschäftsführer ist, bislang bei der Audi Sport GmbH neben dem Motorsport für Strategie und Finanzbeschaffung zuständig war, leitete Grams mit der technischen Entwicklung, der Produktion und dem Projektmanagement die Serienbereiche des High-Performance-Bereichs von Audi in Neckarsulm.

Da es aktuell nicht danach aussieht, als würde man einen Nachfolger für Grams suchen, hat Michl in Zukunft noch weniger Kapazitäten für den Motorsport frei. Abgesehen davon ist Grams, dessen Karriere vor über 20 Jahren bei Audi in der Motorenabteilung für das Le-Mans-Projekt begann, ein bekennender Motorsportfan. Er war auch regelmäßig bei den DTM-Wochenenden vor Ort, obwohl er dazu in seiner Rolle gar nicht verpflichtet gewesen wäre.

Insider über Grams: "Enthusiast, der sich für Sache einsetzt"

Auch die Verlängerung der Produktion des Serienfahrzeugs Audi R8 bis in das Jahr 2023 durch eine auf 333 Modelle limitierte Sonderedition geht auf seine Kappe. Denn Audi wollte den Bau des R8, der in einer GT3-Version auch in der DTM eingesetzt wird und nun endgültig ausläuft, ursprünglich schon vor zwei Jahren einstellen.

"Er kann Leute mitreißen und ist sehr beharrlich, wenn es um Themen geht, die nicht einfach zu erreichen sind", sagt ein Audi-Insider über Grams. Ein anderer Kenner bezeichnet den Heilbronner als "Enthusiasten, der sich immer für die Sache eingesetzt hat".

Aber auch technisch verliert Audi Sport mit Grams, der zwei Abschlüsse als Maschinenbauingenieur sowie einen Doktortitel besitzt, viel Know-how.

Auch wenn er Experte für Antrieb und Digitalisierung ist, wird er von einem Kenner als "Generalist" bezeichnet, der bei der Konzeption von neuen Sportmodellen "auch innovative Ideen vorangetrieben hat. Dieser fehlende technische Part wird schwierig zu kompensieren sein."