• 09.05.2008 19:05

  • von Hans-Jürgen Abt

Abt: "Jeder Punkt ist Gold wert"

Hans-Jürgen Abt in seiner Kolumne über die Erfahrungen aus Mugello, Gewichte und Punkteausbeuten, den Lausitzring und gesunden teaminternen Wettbewerb

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Titel-Bild zur News: Hans-Jürgen Abt

Hans-Jürgen Abt weiß, dass die Punkte aus Mugello viel wert sein können

das Wochenende in Mugello hat für uns mit den Tests am Freitag begonnen, in denen wir verschiedene Testprogramme durchgegangen sind. Der Tag lief recht gut für uns. Am Samstag nach der Qualifikation waren wir überglücklich, dass wir die Plätze eins, drei und vier holen konnten. Uns war allerdings schon bewusst, dass das Rennen nicht einfach wird. Denn mit so viel Gewicht mehr an Bord ist es natürlich schwierig, auch über die Distanz gut zu fahren. Wir wussten jedoch auch, dass wir den Start gewinnen müssten, da man in Mugello nur sehr schwer überholen kann. Aber das hat leider nicht geklappt, wie ja jeder sehen konnte. Dadurch waren unsere Siegchancen relativ schnell dahin.

Es ist nicht so, dass ich so etwas zum ersten Mal erlebt hätte - im Motorsport passiert so etwas dauernd - aber die Enttäuschung ist in dem Moment natürlich schon sehr groß. Man weiß genau, dass man auch mit viel Einsatz fast nichts mehr herausholen kann. Aber man versucht, das Beste daraus zu machen. Die Saison ist lang und man muss versuchen, jeden einzelnen Punkt herauszuholen, denn jeder Punkt ist Gold wert. Man hat bei Timo Scheider gesehen, wie er alles versucht hat, um sich durch das Feld nach vorn zu kämpfen. Und wenn man wie er noch vom letzten auf den zehnten Platz vor fährt, ist das eigentlich schon ein Mega-Ergebnis. Aber er wurde dafür nicht belohnt.#w1#

Ob Timo das Rennen hätte locker gewinnen können, weiß ich nicht. Aber er hätte auf alle Fälle um den Sieg fahren können. Dazu wäre aber wichtig gewesen, den Start zu gewinnen. Man hat gesehen, wie Jamie Green gleich am Anfang weggezogen ist. Er hatte neue Reifen und ihm ist ein Superstart gelungen. Wenn alles normal gelaufen wäre, hätte derjenige, der den Start für sich entschieden hätte, auch die größten Chancen auf den Sieg gehabt. Denn in Mugello ist das Überholen sehr schwierig. Es ist dort mit sehr viel Risiko verbunden.

Damit zum aktuellen Kräfteverhältnis: Klar ist, dass wir die 20 Kilogramm Mehrgewicht schon gespürt haben, aber das Reglement schreibt es so vor. Mercedes hat unser Handicap optimal genutzt. Es war im vergangenen Jahr auch so, dass ein Hersteller meistens dann gewonnen hat, wenn der andere zehn oder mehr Kilogramm schwerer war. Ich glaube schon, dass wir immer noch das bessere Auto haben. Aber jetzt haben wir immer noch zehn Kilogramm mehr, im Prinzip jedoch nur einen Punkt Vorsprung. Deshalb kann man unsere Ausbeute aus den letzten drei Rennen nicht als ganz optimal bezeichnen. Ein größerer Vorsprung wäre besser, denn es kommen Rennen wie am Norisring. Sollten wir dort wieder 20 Kilogramm mehr an Bord haben, wird es verdammt schwer, zu gewinnen.

Manche Leute könnten deshalb sagen, dass es wegen des Gewichts optimal für uns wäre, im nächsten Rennen am Lausitzring die Plätze zwei bis fünf zu holen. Aber von solchen taktischen Spielchen halte ich gar nichts, so etwas kann sich schnell rächen. Wenn man auf die Rennstrecke geht, dann sollte man auf Sieg fahren. Denn die Punkte, die man hat, die hat man. Wir haben auch gesehen, wie schnell man Punkte verlieren kann. Es kann alles passieren und bei dieser Leistungsdichte sollte man nichts dem Zufall überlassen und keine Spielchen wagen. Absichtlich jemanden vorbeizulassen, um Zweiter zu werden, ist etwas, was weder Mercedes noch Audi machen würde.

Am Lausitzring werden wir zehn Kilogramm mehr mit uns herumschleppen als Mercedes. Wie sich das auswirken wird, kann ich jetzt noch nicht abschätzen. Denn der Lausitzring war auch noch nie unsere Lieblingsstrecke, da müssen wir ganz ehrlich sein. Mercedes war in der Lausitz immer schon sehr stark, weil ihr Auto-Konzept dort immer gut funktioniert hat - viel Traktion und schnell auf den Geraden. Wir müssen jetzt schauen, ob wir das mit unserem neuen Auto kompensieren können. Aber man muss in jedem Rennen kämpfen, sich konzentrieren und hart arbeiten. Und man muss Fehler vermeiden, denn was nutzt das beste Qualifying, wenn man am Start nicht losfährt? In einem Rennen gibt es viele Unwägbarkeiten.

Timo Scheider hatte in Mugello Pech, aber er ist derzeit wirklich stark. Das ist leicht zu erklären: Er fühlt sich einfach wohl. Er ist im vergangenen Jahr zu uns gekommen und vielleicht war es am Anfang für ihn noch ungewohnt, wie wir miteinander umgehen und wie man sich bei uns offen mit Themen beschäftigt. Dass er schnell ist, haben wir schon immer gewusst, sonst hätten wir ihn ja gar nicht in das Spitzenteam von Audi geholt. Und im Laufe der Zeit haben Audi und das Team dafür gesorgt, dass er sich auch wohl fühlt, blindes Vertrauen zu allen hat und weiß, dass er das beste Material hat, dass wir alle gemeinsam für den Sieg arbeiten und ein Team sind. Ich glaube, dass ihm das wahnsinnig viel Spaß macht. Er konnte sich im Team entfalten und hat sich auch im Winter sehr gut vorbereitet.

Es gibt immer Menschen, bei denen einfach irgendwann der Schalter umkippt. Timo hat sich schon nach dem letzten Rennen der vergangenen Saison sehr über das gefreut, was er alles erreicht hat. Schon im vergangenen Jahr war er ja in den letzten vier Rennen der schnellste Audi-Mann. Er konnte seinen Speed direkt mitnehmen ins neue Jahr. Und jetzt sehen auch die anderen Teamkollegen, dass im neuen Auto noch viel Potenzial steckt, das sie selbst noch nicht herausgekitzelt haben. Das Tolle daran ist, dass sich unsere Piloten gegenseitig hochziehen, und zwar auf eine faire und saubere Art. Es kann nur einer gewinnen und das sollte der sein, der der Beste ist. Momentan sieht es so aus, als ob das Timo ist. Aber die anderen sind nicht weit weg von ihm, sie lauern auf ihre Chance - das ist toller Sport. Sie werden alle darum kämpfen, Timo schlagen zu können.

Hans-Jürgen Abt