• 06.05.2014 16:21

  • von Roman Wittemeier

Spa-Analyse: Porsche-Power, Audi-Nachteil und Toyota-Tanke

Porsche überrascht sich selbst, Audi leidet unter Nachteilen und Toyota tankt auffällig früh: Interessante Fakten aus der Le-Mans-Generalprobe in Belgien

(Motorsport-Total.com) - Der Porsche 919 ist schnell auf den Geraden, der Audi R18 schnell in den Kurven und der Toyota TS040 gewinnt bisher alle Rennen - so einfach könnte man sich die Zusammenfassung der bisherigen Läufe zur Langstrecken-WM 2014 machen. Wie immer im Motorsport steckt jedoch viel mehr hinter Erfolgen und Misserfolgen. Beim Sechs-Stunden-Rennen in Spa-Francorchamps gab es einige Faktoren, die sich aus dem Blick auf die Ergebnisliste nicht ablesen lassen.

Titel-Bild zur News: Romain Dumas, Neel Jani, Marc Lieb

Der Porsche warf beim Durchfahren der berühmten Eau Rouge immer Funken Zoom

Da ist zunächst einmal die starke Performance von Porsche. Dass der 919 Hybrid auf den Geraden eine Rakete ist, war allen Beobachtern nach dem offiziellen Test in Le Castellet und dem ersten Rennen in Silverstone klar. In Südfrankreich schoss der LMP1-Wagen aus Weissach mit 339,6 km/h die berühmte Mistral-Gerade entlang, in Großbritannien distanzierte Porsche die Fahrzeuge von Audi und Toyota in der Top-Speed-Wertung um 20 km/h - eine Welt!

In Spa-Francorchamps fiel der Vorsprung der Stuttgarter in Sachen Höchstgeschwindigkeit nicht mehr ganz so groß aus. Kein Wunder, denn der speziell auf geringen Luftwiderstand ausgelegte 919 traf dort auf die Le-Mans-Versionen des Toyota TS040 und des Audi R18 e-tron quattro. In den Ardennen war Porsche nur noch 2,6 km/h schneller als die Japaner und 7,0 km/h schneller als der R18 mit der Startnummer 3 (Bonanomi/Albuquerque).

An der guten Grundperformance der Rakete aus Weissach besteht kein Zweifel, allerdings hatten sich in Silverstone einige Probleme mit dem Reifenmanagement offenbart. In Großbritannien bauten die Michelins am 919 schneller ab als bei der Konkurrenz. Nach wenigen Umläufen auf frischen Pneus verzeichnete man stets einen erheblichen "Drop", also einen Einbruch bei den Rundenzeiten. Ein ähnliches Szenario hatte man auch in Spa-Francorchamps erwartet.

Porsche-Rakete ist plötzlich konstant schnell

Audi und Toyota hätten sich am Freitag liebend gern die Pole-Position gesichert, aber man nahm Platz eins von Porsche gelassen hin. Beide Hersteller waren der Überzeugung, dass der 919 wegen der Reifenproblematik bereits im ersten Stint zu packen sein würde. Aber was passierte? Nichts dergleichen! "Das hat uns selbst überrascht", lächelt Porsche-Teamchef Andreas Seidl beim Blick auf die Konstanz über einen Stint. "Jetzt müssen wir weiter an der Zuverlässigkeit arbeiten."

Der Porsche ist bislang noch recht fragil. In den beiden WEC-Rennen über jeweils sechs Stunden hatte man mehr technische Probleme als die Konkurrenten im gesamten vergangenen Jahr - inklusive Le Mans 2013. In Spa gab es am Auto von Mark Webber, Timo Bernhard und Brendon Hartley mehrfach Defekte an der Aufhängung. Der 919 setzte bei der schnellen Fahrt durch Eau Rouge immer wieder gewaltig auf und ließ die Funken fliegen. Das sah wunderbar aus, war aber sicherlich nicht in diesem Ausmaß gewünscht.

Lucas di Grassi, Tom Kristensen, Loic Duval, Alexander Wurz, Kazuki Nakajima, Stephane Sarrazin

Audi und Toyota haben in Sachen Top-Speed etwas aufgeholt Zoom

Dass das Schwesterauto von Marc Lieb, Neel Jani und Romain Dumas die Pole-Position nicht in den durchaus möglichen Sieg umsetzte, lag an elektronischen Signalen. Dumas hatte einen Randstein dermaßen hart überfahren, sodass ein Sensor den Schlag als Unfall interpretierte und aus Sicherheitsgründen das Hybridsystem herunterfahren ließ. Der Neustart zog sich über eineinhalb Runden hin, der Sieg war somit außer Reichweite.

Den möglichen ersten WEC-Erfolg auf solche Weise zu verlieren, ist sicherlich schade, aber doch zu verschmerzen. Aus Porsche-Kreisen heißt es, dass man sich dem Thema Sicherheit des Hybridsystems gern von dieser womöglich übervorsichtigen Seite nähere. "Lieber ein Neustart des Systems als ein Hybrisystem, das beim Crash womöglich weiterläuft und einen Streckenposten umbringt", so ein Insider aus Kreisen der Werksmannschaft. Definitiv ein richtiger Ansatz. Die verbesserte Kalibrierung sollte ohnehin kein Problem sein.

Toyota geht auffällig früh zum Tanken

Nun ein Blick auf die Seriensieger der WEC 2014: Toyota. Die Japaner waren in Spa-Francorchamps mit zwei Autos in Le-Mans-Spezifikation unterwegs. Offiziell hieß es, dass beide Fahrzeuge absolut gleich seien, aber trotzdem waren leichte Unterschiede zu erkennen. Nicht ohne Grund konnten Wurz/Nakajima/Sarrazin das Tempo der siegreichen Teamkollegen nicht mitgehen. Der TS040 mit der Startnummer 7 litt unter heftigem Übersteuern, das sicherlich nicht nur einer Setupvariante zu verdanken war.

Der "Japaner aus Köln" ist ein zuverlässiges Auto mit gewaltigem Schub. Die oft genannten 1.000 PS Systemleistung darf man jedoch nicht überinterpretieren. Nur in ganz seltenen Momenten liegt diese Power tatsächlich mal an - und dann ist sie nur mit größter Mühe auf die Straße zu bekommen. Der TS040 ist ein ausgewogenes Auto mit Siegpotenzial bei allen WEC-Rennen, aber auch die Japaner haben gewisse Sorgen im Hinterkopf.

Jean Todt

Die hohen Herren zu Besuch bei Toyota: FIA-Präsident Todt und ACO-Boss Fillon Zoom

"Porsche kann über einige Runden einen stärkeren Boost nutzen als wir. Das relativiert sich im Verlauf eines Rennens. Ich denke, dass die mit einem voll aufgeladenen System starten können", meint TMG-Technikchef Pascal Vasselon. "Das können wir nicht. Unser System ist auf Dauerbetrieb ausgelegt und auf die Besonderheiten in Le Mans. Ich denke nicht, dass Porsche pro Runde mehr Energie rekuperieren kann, aber wenn du mit einem vollen Speicher startest, dann kannst du in der Frühphase des Rennens über einige Runden mehr Energie zum Boosten einsetzen."

In Spa-Francorchamps durfte Toyota das auf maximal sechs Megajoule ausgelegte Hybridsystem höchstens mit bis 4,78 MJ nutzen. An diesen Wert kam man nie heran, weil die Streckencharakteristik nicht für die Rekuperation solcher Mengen geeignet ist. In Le Mans will man die vollen sechs Megajoule aber nutzen können. Man fährt in der gleichen Energieklasse wie Porsche, verwendet ebenso wie die Zuffenhausener einen Benziner und tritt demnach mit exakt gleichen Vorgaben an.

Passt nicht genug Sprit in den Tank?

Und genau dort ergibt sich beim genauen Blick auf den Rennverlauf in Spa-Francorchamps eine wichtige Frage: Warum fielen die Stints bei Toyota kürzer aus als bei Porsche? "Wir kommen in jeder Runde wirklich nahe an den maximal erlaubten Energieverbrauch heran. Die Spritmenge im Tank ist limitiert. Dann kann man sich ganz einfach ausrechnen, wie weit man pro Stint kommt", erklärt Vasselon. Setzt man dies mal um, dann erlebt man eine Überraschung.

Die beiden Benzinerteams durften in Spa pro Runde 2,733 Liter Treibstoff verbrauchen. In die Tanks des Porsche 919 und des Toyota TS040 dürfen maximal 68,3 Liter fließen. Dadurch ergibt sich eine theortische Reichweite pro Stint von 24,99 Runden. Porsche erreichte diese 24 Runden immer, konnte sich durch geringes Sparen auch mal 25 Runden lang von der Tankstelle fernhalten. Und die Japaner? Die standen kurioserweise meist nach 23 Runden wieder beim Stopp.

Anthony Davidson, Sebastien Buemi

Der Toyota TS040 stand oft nach nur 23 Runden wieder an der Zapfsäule Zoom

Man sei "etwas konservativer" herangegangen, heißt es auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com'. Man habe bezüglich der Benzinmenge im Tank und der Ausnutzung des gesamten Treibstoffs "auf der sicheren Seite" sein wollen. "Es ist ein Bereich, den wir bis Le Mans noch optimieren wollen", so die Aussage von Toyota. Klartext: Man hat entweder immer ein wenig Sprit im Tank gehabt, als man zum Nachfüllen kam, oder die 68,3 Liter passten nicht ganz hinein. Warum waren die Tankvorgänge dann genauso lang wie bei Porsche? Keine Antwort.

Audi mit vorsichtiger Herangehensweise in Spa

Auch bei Audi gibt es derzeit viele offene Fragen. Dass Kristensen/Di Grassi/Duval als Zweite auf das Podium fahren konnten, kaschierte die Probleme der Ingolstädter, schaffte sie aber keinesfalls aus der Welt. Der unbedarfte Blick auf die Ergebnislisten von Qualifying und Trainings lässt große Sorgen im Lager der Le-Mans-Dauersieger der vergangenen Jahre erahnen. Dies muss man allerdings etwas relativieren. Die R18 mit den Startnummern 1 und 2 waren mit zu viel Abtrieb für Spa unterwegs, der Wagen mit der Startnummer 3 mit zu wenig.

Für einen direkten Vergleich zur Konkurrenz darf man ohnehin nur das Auto in Le-Mans-Spezifikation heranziehen. Marco Bonanomi und Filipe Albuquerque haben im Vergleich zu den Markenkollegen recht wenig LMP1-Erfahrung - vor allem sehr wenig Rennerfahrung. Beide waren dazu angehalten, sehr vorsichtig zu agieren. Nach den beiden heftigen Crashes in Silverstone braucht Audi derzeit eines sicherlich nicht: einen weiteren Monocoqueschaden. Außerdem war die Zahl der Ersatzteile für den Le-Mans-R18 begrenzt.

Im Verlauf des Rennens nahmen die beiden Piloten in der Startnummer 3 immer mehr Tempo auf. Man optimierte den Betrieb des Autos, die Fahrer bekamen immer mehr Selbstvertrauen. Die beste Runde in 2:03.383 Minuten von Marco Bonanomi war nicht mehr allzu weit von den Zeiten der Mitbewerber entfernt. Hinzu kommt, dass die Le-Mans-Version des R18 in Spa laut Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich nur "die Basis für das endgültige Le-Mans-Auto" war. Da kommt also noch etwas.


Fotos: WEC in Spa-Francorchamps


Audi muss in Le Mans öfter an die Box

Aus dem Audi-Lager heißt es immer wieder, man sei durch die neue "Equivalence of Technology" (EoT) - "Balance of Performance" darf man nicht mehr sagen, meint der ACO - eindeutig benachteiligt. Diese Aussage stimmt. Auf einen Teil dieses Nachteils war man gefasst, auf einen anderen nicht. Allen Beteiligten war vorher klar, dass ACO/FIA den Einsatz großer Hybridsysteme fördern möchten. Audi hatte sich mit der Wahl des kleinen 2MJ-Systems ganz bewusst einen Nachteil eingehandelt.

Pro Megajoule weniger soll die Rundenzeit in Le Mans um rund eine halbe Sekunde ansteigen. So hatten es die Verantwortlichen in Aussicht gestellt. Für Audi würde sich somit im Vergleich zu Porsche und Toyota ein Rückstand von zwei Sekunden pro Umlauf an der Sarthe ergeben. Bei einer Pressekonferenz der Technikverantwortlichen von ACO und FIA am Freitag in Spa stellte man dar, dass Audi wegen des Dieseltriebwerkes sogar weniger Defizit hat. 1,4 Sekunden würde der R18 langsamer sein als die Konkurrenz.

Bei der gleichen Veranstaltung wurde das sogenannte "Appendix B" des Sportlichen Reglements mit all seinen Energiezuweisungen und sonstigen Vorgaben nochmals erklärt. Im Rahmen dessen wurde am Rande auch deutlich, warum Audi tatsächlich einen weiteren Nachteil hat, mit dem man vorab nicht hatte rechnen können. Auf Grundlage der Anhang-B-Tabelle sollten alle drei Werke in Le Mans gleiche Stintlängen realisieren können. Dies ist aber nicht der Fall.

Filipe Albuquerque, Marco Bonanomi

Vorbereitung auf Le Mans im Fokus: Albuquerque/Bonanomi in Spa als Tester Zoom

ACO und FIA stellten bei ihrem Vortrag dar, dass sowohl die Benziner als auch die Diesel-LMP1 von Audi beim Klassiker in Frankreich 13 Runden schaffen müssten. Dieser Wert ist allerdings interessant gerundet. Die Berechnungen ergeben für Porsche und Toyota eine Reichweite von 13,9 Runden pro Stint, für Audi nur 13,2 Umläufe. In der Praxis werden die Benziner mit Leichtigkeit 14 Runden fahren können, während Audi kaum eine Runde mehr schaffen wird. Dies führt über 24 Stunden dazu, dass die Audis zwei Stopps mehr machen müssen. Da sind mindestens zwei Minuten weg. Umgelegt auf eine Runde sind dies weitere 3,5 Zehntelsekunden Defizit.