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  • 07.09.2015 10:25

  • von Roman Wittemeier

Nissan-LMP1-Projekt: Wie viel Leben steckt noch drin?

Seit dem Debakel bei den 24 Stunden von Le Mans ist von Nissan nichts mehr zu sehen: Viele Indizien deuten auf ein Ende des LMP1-Projektes hin

(Motorsport-Total.com) - Ein großes Getrommel bei der Projektvorstellung im Februar 2015, ein riesiger PR-Auftritt im Rahmen des Superbowl, eine deutliche Kampfansage an die etablierten LMP1-Hersteller - und was ist vom Nissan-LMP1-Projekt geblieben? Wenig. "Wir wollen gewinnen. Nein, wir werden gewinnen - auf sehr unterschiedliche, sehr innovative und sehr Nissan-typische Art", lautete die Ansage des ehemaligen Marketingchefs Andy Palmer. Die Realität sieht anders aus. Nissan hat bei den 24 Stunden von Le Mans 2015 auf ganzer Linie verloren.

Titel-Bild zur News: Olivier Pla, Jann Mardenborough, Max Chilton

Nissan rollte mit einem Auto in Le Mans ins Ziel, kam aber nicht in die Wertung Zoom

Nach dem bisher einzigen Wettbewerbsauftritt des GT-R LM Nismo haben sich die Japaner mit Entwicklungsstandort in den USA (Indianapolis) nicht mehr in der Szene der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) blicken lassen. Man wolle sich voll auf die Entwicklung eines Hybridsystems konzentrieren und lasse die Läufe zur WEC 2015 bis auf Weiteres aus, hieß es nach Le Mans aus dem Lager von Nissan. Einen Zeitpunkt für eine Rückkehr in den Wettbewerb nannte man vorsichtshalber nicht.

Um das Projekt ist es in den kommenden Wochen sehr still geworden. Verdächtig still. Nissan verzichtete am Nürburgring auf eine Präsenz. Beispielsweise beim Saisonauftakt in Silverstone hatte man im Paddock riesig aufgefahren, die für Motorsportchef Darren Cox typische PR-Maschinerie auf Hochtouren laufen lassen - obwohl man auch dort nicht am Rennen teilnahm. In Deutschland war rein gar nichts von Nissan zu sehen. Sogar Ferrari nutzte die große WEC-Bühne erstmals, um im Fahrerlager aktuelle Modelle zu zeigen.

Fahrer suchen sich andere Beschäftigungen

Wie viel Leben steckt noch im Nissan-LMP1-Projekt? Offenbar wenig. Viele Indizien deuten darauf hin, dass man den GT-R LM Nismo - wenn überhaupt - nur noch halbherzig entwickelt. Fahrer wie Jann Mardenborough (GP2) oder Michael Krumm (Super GT) sind anderweitig aktiv, Topstar Max Chilton äußert offen seinen Wunsch nach einer Rückkehr in die Formel 1 und Marc Gene hat das Projekt wohl aufgrund des fragilen Fahrzeuges frühzeitig verlassen.

"David hat damals Goliath geschlagen. Goliath hatte die falsche Waffen, David die richtigen. Haben wir die richtigen Waffen? Wir glauben schon" - mit dieser Beschreibung verteidigte Darren Cox das Fronttriebler-Konzept vor der Pleite in Le Mans. "Wir wollten anders sein und erfolgreich. Wir waren aber nur anders", setzte es anschließend von Renault/Nissan-Konzernboss Carlos Ghosn eine kräftige Ohrfeige. Der Franzose kündigte sofort an, das Projekt in allen Belangen zu hinterfragen.

Carlos Ghosn

Gilt als Kritiker des Nissan-LMP1-Projektes: Konzernchef Carlos Ghosn Zoom

Während Cox und sein Technikchef Ben Bowlby weiterhin vom "hervorragenden Potenzial" des GT-R LM Nismo schwärmen, hat man sich seitens der Konzernspitze gegen das Projekt gewandt. Bei Renault/Nissan spricht man über die Formel 1. Die französische Marke soll Lotus übernehmen und als Werksteam auf der Grand-Prix-Bühne auftreten. Da ein solches Engagement ein erhebliches Budget erfordert, wird Ghosn die LMP1-Basteleien aus Indianapolis noch deutlicher hinterfragen.

Keine Antworten auf unsere Fragen zum Projekt

Da es um Nissan derart still geworden ist, hat 'Motorsport-Total.com' offiziell bei der Projektleitung um ein Statusupdate gebeten. Unsere Fragen: Gibt es weitere Tests mit dem GT-R LM Nismo? Was plant man für die Zukunft? Ist das Projekt abhängig von der Renault/Nissan-Entscheidung über ein Formel-1-Werksteam? Wird es im Falle eines LMP1-Aufstiegs von Alpine gleich zwei Konzernmarken in der großen Prototypenklasse der WEC geben? Die Antwort auf unsere Anfrage fiel denkbar knapp aus.

"Unser nächster LMP1-Test findet am 22. und 23. September auf dem Circuit of The Americas (CoTA) statt", lautet die kurze Antwort von Nissan. Die Probefahrten, die nicht auf der offiziellen Liste von ACO und FIA auftauchen, kommen zufällig direkt im Anschluss an das WEC-Wochenende in Austin zustande. Das riecht nach einem erneuten PR-Auftritt der japanischen Marke im Fahrerlager des CoTA in knapp zwei Wochen - nach dem Motto: "Seht her, wir leben noch!"

Nissan Nismo Headquarter Yokohama

Nismo könnte den Cosworth-Motor aus dem GT-R LM an LMP1-Kunden verkaufen Zoom

Über einen ambitionierten Auftritt im Rahmen der WEC-Rennen 2015 oder 2016 spricht derzeit niemand. Im Gegenteil. Nissan nimmt sogar an den Technikmeetings von FIA/ACO nur noch sporadisch teil und bringt sich dort gar nicht mehr ein. Und dann ist da noch der Motor: Wie 'Motortsport-Total.com' aus japanischen Nismo-Kreisen erfahren hat, gibt es derzeit ernsthafte Überlegungen, den von Cosworth entwickelten Turbomotor an private LMP1-Teams zu verkaufen oder zu verleasen.