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  • 21.06.2012 16:39

  • von Sven Haidinger & Roman Wittemeier

Nach Le Mans: Wie geht es mit dem DeltaWing weiter?

Warum Nissan bei den Verhandlungen mit ACO und FIA nicht auf den Tisch hauen will und wie Don Panoz dem DeltaWing zum ersten regulären Renneinsatz verhelfen will

(Motorsport-Total.com) - Der Einsatz des Nissan DeltaWing beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans war eine der großen Geschichten der 80. Ausgabe: Der Bolide, der optisch an eine Rakete erinnert, durfte außer Konkurrenz als besonders innovatives, zukunftsträchtiges Projekt starten, weil er in kein Reglement des Klassikers passt. Wer im Vorfeld dachte, das Auto mit der geringen Spurweite würde nicht um die Kurven kommen, wurde eines besseren belehrt: Das Fahrertrio Michael Krumm, Marino Franchitti und Satoshi Motoyama bewegte sich bei den Rundenzeiten sogar auf dem Niveau der LMP2-Autos.

Titel-Bild zur News: Nissan DeltaWing

Quo Vadis, Nissan DeltaWing? Nach Le Mans ist die Zukunft ungeklärt

Und auch das Ende des DeltaWings sorgte für Aufsehen: Motoyama wurde vom übermütigen Toyota-Piloten Kazuki Nakajima von der Strecke bugsiert - eineinhalb Stunden lang versuchte der Japaner unter Tränen, das Auto wieder fahrtauglich zu machen, um die 500 Meter an die Box zurückzulegen. Problem: Die Aufhängung des Autos wurde beim Crash irreparabel beschädigt - Motoyamas Tapferkeit wurde zwar von den zahlreichen Zuschauern beklatscht, aber nicht belohnt.

Rätselraten auch bei Piloten

Doch war der Ausfall in Le Mans das jähe Ende des Projekt, oder gibt es im Motorsport einen Platz für ein Auto, das mit seinem niedrigen Spritverbrauch aufgrund des geringen Luftwiderstands seiner Zeit voraus zu sein scheint? Es wird mit Sicherheit an den Unterstützern des Projektes liegen, die Verantwortlichen der unterschiedlichen Rennserien auf den DeltaWing einzuschwören, damit die zukünftigen Reglements genügend Platz für das innovative Konzept bieten.

Wie es weitergeht, sei zur Stunde "noch nicht entschieden, denn diese Entscheidungen fallen nach dem Rennen", stellt Pilot Michael Krumm im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' klar. "Es ist nicht klar, was Nissan mit diesem Projekt anstellen wird, ob sie es weiterentwickeln werden oder in andere Projekte implementieren. Es gibt ja keine andere Rennserie, in der wir damit fahren können - halbes Gewicht, halbe Leistung. Man muss sehen, wie es weitergeht."

DeltaWing vom ACO eingebremst

Eigentlich hätte der DeltaWing durchaus das Potenzial gehabt, die Spitzenautos in der LMP1-Klasse zu ärgern, doch aufgrund von Zuverlässigkeitsproblemen setzte man schließlich auf konservativere Lösungen als ursprünglich angedacht: Vor allem das Differential hatte bei den Tests immer wieder für Defekte gesorgt. "Es gibt ein paar Teile, die wir aus Gründen der Zuverlässigkeit nicht eingesetzt haben, die die Performance aber deutlich verbessern würden. Da kratzen wir bisher nur an der Oberfläche", bestätigt Franchitti.

Krumm verrät, dass es der ACO nicht geduldet hätte, wenn der DeltaWing plötzlich einen Audi überholt hätte. "Wir sind dankbar, dass uns der ACO mitfahren lassen hat", sagt er. "Natürlich gab's da ein paar Bedingungen. Die wollten nicht, dass wir 3:33 Minuten fahren. Das wäre nicht gut für Audi und Toyota, wäre auch nicht fair, weil wir ja mit halbem Gewicht fahren. Das kann man nicht direkt vergleichen, weil es nicht die gleiche Klasse, nicht das gleiche Reglement ist. Deswegen hat man gesagt, wir sollen ungefähr 3:45 Minuten fahren."

Der DeltaWing überraschte bei den 24 Stunden von Le Mans Fans und Experten Zoom

Ben Bowlby, Designer des DeltaWing-Boliden, bestätigt: "Das Auto fuhr das Tempo, das uns der ACO vorgeschrieben hatte. Wir könnten um einiges schneller fahren." Zeiten standen für ihn daher in Le Mans nicht im Vordergrund. Er sieht den bis zum Crash äußerst gelungen Auftritt beim größten Rennen als Bestätigung für die Philosophie, die hinter dem Auto steckt: "Das ist für mich die Erkenntnis dieses Rennens: Wir können auf dieses Auto schauen und festhalten, dass das Konzept gut ist. Es hat sich wirklich bewährt. Am Ende war der kleine Nissan DeltaWing, der nur 500 Kilogramm wiegt, von einem 300 PS starken Nissan-DIG-T-Motor angetrieben wird und mit Michelin-Reifen ausgestattet ist, mit halber Spritmenge und Reifenverschleiß so schnell wie ein klassischer Le-Mans-Prototyp."

Fahrer und Designer drängen auf weitere Einsätze

Pilot Krumm geht davon aus, dass es derzeit Gespräche mit dem Le-Mans-Veranstalter ACO gibt. Er und seine Fahrerkollegen würden gerne weiter Teil des Projekts bleiben. "Es macht unheimlich viel Spaß, das Auto zu fahren. Es wäre schön, wenn es weiterfahren würde, auf jeden Fall - würde ich gerne machen", sagt der Deutsche. Franchitti stimmt in den Tenor ein: "Dieses Auto zeigt, was die Zukunft des Motorsports sein könnte, welche Innovationen möglich sind. Ich hoffe, dass das nur der Anfang dieses Autos ist." Und auch Motoyama ist begeistert: "Ich habe es so sehr genossen, dieses Auto zu fahren. Hoffentlich gibt es eine Gelegenheit, das zu wiederholen, denn wir haben dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen. Ich bin sicher, dass wir ohne die Kollision noch lange weitergefahren wären."

Designer Bowlby drängt jetzt auf den nächsten Schritt in der Entwicklung des DeltaWings-Programms - ein regulärer Renneinsatz: "Hoffentlich können wir mit einem echten Rennauto wiederkommen und nicht nur mit einem Experimentalfahrzeug. Wir würden diesen Autos, bei denen es vor allem um Effizienz, wenig Luftwiderstand und wenig Verbrauch geht, liebend gerne eine Zukunft bieten."


Fotos: 24 Stunden von Le Mans


Nissan will keinen Druck auf ACO & FIA ausüben

Doch bei Nissan hält man sich diesbezüglich noch bedeckt, obwohl man andeutet, das Projekt weiterhin unterstützen zu wollen. Auf die Frage von 'Motorsport-Total.com', wie die Nissan-Bosse in Zukunft mit dem Problem umgehen werden, dass es für den DeltaWing in keiner Rennserie ein passendes Reglement gibt, antwortet Nissan-Europa-Chef Darren Cox: "Sie bezeichnen es als Problem, aber wir bei Nissan finden es großartig, dass es in Le Mans eine Klasse für neue Technologien gibt."

Seiner Meinung nach ist das Projekt nach dem gelungenen Auftritt in Le Mans nicht mehr aufzuhalten: "Der Geist hat die Flasche verlassen, und man kriegt den Geist nicht mehr in die Flasche zurück." Derzeit befindet man sich in Verhandlungen, um dem DeltaWing eine Perspektive zu geben, will dies aber mit der nötigen Sensibilität machen: "Wir arbeiten sehr demütig an diesem Projekt und haben die Teams konsultiert - wir werden sehen, was jetzt passieren wird. Wir werden mit Sicherheit mit der FIA und mit dem ACO sprechen. Was wir nicht tun werden - und einige Hersteller machen das -, ist, ins Büro des ACO zu gehen und dort auf den Tisch zu hauen."

Satoshi Motoyama, Michael Krumm, Marino Franchitti

Bei Nissan ist man der Meinung, dass das Projekt nicht mehr zu stoppen ist Zoom

Bis zu einem eventuellen Antreten bei der 81. Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans soll es auf jeden Fall weitere Einsätze des DeltaWing-Boliden geben. "Ich hatte die Ehre, mit Emerson Fittipaldi zu sprechen, der der Promoter des WEC-Laufs in Brasilien ist, und er hat gesagt, dass wir den DeltaWing nach Brasilien bringen müssen", erzählt Cox.

Panoz als Schlüsselfigur

Die Zukunft des DeltaWing könnte aber auch in seiner Heimat - den USA - liegen. Denn mit Don Panoz ist ein Mann am Projekt beteiligt, der mit der ALMS eine eigene Rennserie besitzt. Er könnte die Grundbedingungen schaffen, damit der innovative Bolide endlich zu wahren Rennehren kommt. "In unseren Regeln gibt es mehr Flexibilität, weshalb der Wagen ganz normal im Klassement fahren könnte", meint der US-Amerikaner italienischer Abstammung gegenüber 'Autosport'.

Er hat große Pläne mit dem DeltaWing-Projekt und möchte "nach Le Mans mit der Produktion der Autos beginnen." Was er damit meint: Er will unterschiedliche Versionen für unterschiedliche Klassen bauen. "Es gibt keinen Grund, warum wir nicht LMP1, LMP2 und LMPC-Versionen bauen könnten", sagt Panoz. Die an der Sarthe gesammelten Daten sollen beim Bau der unterschiedlichen Typen behilflich sein.

Zunächst soll der Bolide aber beim Sportwagen-Klassiker Petit Le Mans in Road Atlanta an den Start gehen - wie in Le Mans außer Konkurrenz. Für ihn ist klar: "Das war nicht die Zielflagge für unser Projekt, sondern erst der Start für die DeltaWing-Sportwagen. Wir sehen uns nach Gelegenheiten um, um weiter zu demonstrieren, wie die Zukunft eines höchsteffizienten Motorsports aussehen könnte."