• 25.04.2016 08:13

  • von Roman Wittemeier

Michele Alboreto: Gentleman und des Menschen bester Freund

Zum 15. Todestag von Michele Alboreto: Die umfangreiche Karriere des Italieners und die Spuren, die er nachhaltig im Lager von Audi hinterlassen hat

(Motorsport-Total.com) - Vor 15 Jahren herrschte in der Motorsport-Welt tiefe Trauer. Michele Alboreto verlor bei einem Testunfall im Audi R8 am Lausitzring sein Leben. Der fatale Crash vom 25. April 2001 beendete eine ereignisreiche Karriere eines ganz besonderen Menschen und Piloten. Alboreto galt als Gentleman, als schneller und zuverlässiger Fahrer und als Leitfigur im damaligen Audi-Le-Mans-Team. 

Titel-Bild zur News: Michele Alboreto

Michele Alboreto verstarb am 25.04.2001 bei einem Testunfall in der Lausitz Zoom

"Der 25. April 2001 war der schlimmste Tag in meiner motorsportlichen Karriere", sagt Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der Österreicher, der bei den Testfahrten in der Lausitz nicht persönlich zugegen war, erhielt die schreckliche Nachricht vom Tod seines Schützlings in einem Büro in Ingolstadt (hier alle Informationen zum Unfall). "Unser Arzt Dr. John hat die Nachricht überbracht", erinnert sich Ullrich.

Der Audi-Sportchef informiert sofort die Spitze des Konzerns sowie die wichtigsten Mitarbeiter in seinem Umfeld. Unter Beteiligung eines Audi-Vorstands wird ein Krisenstab gebildet. Ullrich selbst greift zum Telefon und wählt eine Nummer in Italien. "Ich habe dann sofort versucht, seine Frau zu erreichen. Wir waren mit der gesamten Familie sehr eng verbunden. Dann dort anzurufen und diese Nachricht zu überbringen, war für mich das Schlimmste, was ich als Sportchef von Audi jemals tun musste."

"Man versucht etwas zu erklären, was nicht wirklich zu erklären ist. Egal, wie auch immer so etwas passiert, es ist für eine Familie nicht zu akzeptieren. Das ist ganz klar", schildert Ullrich die schwierigen Momente vor 15 Jahren. Nicht nur im Lager von Audi war die Bestürzung groß, sondern auch in der Formel-1-Welt und darüber hinaus. Die damaligen Topstars wie Michael Schumacher standen unter Schock, ein großer Name der Szene war plötzlich nicht mehr da.

Alboreto lässt Tyrrell noch zweimal jubeln

Alboreto war nach seinem Titelgewinn in der Formel 3 (1980) der Schritt auf die ganz große Bühne gelungen. Mit Minardi absolvierte er Rennen in der Formel 2, für Tyrrell durfte er in der Formel 1 antreten - und er nutzte dort seine Chancen. Das Team von Ken Tyrrell hatte seine besten Jahre bereits hinter sich, aber dank Alboreto konnte man sich in den Jahren 1982 und 1983 noch einmal in Szene setzen. Der Italiener holte drei Podestplätze, darunter die Siege in Las Vegas und Detroit. Es waren die letzten Grand-Prix-Erfolge des britischen Teams überhaupt.

Die Leistungen des Sohnes einer libyschen Mutter und eines italienischen Vaters wurden belohnt. Ferrari holte den damals 27-Jährigen als neuen Teamkollegen von Rene Arnoux in die Mannschaft. Alboreto war der letzte Italiener, den der große Enzo Ferrari persönlich unter Vertrag nahm. Der Pilot dankte es mit starken Leistungen. 1984 konnte Alboreto sein drittes Rennen im Ferrari in Südafrika gewinnen, es folgten im gleichen Jahr noch drei weitere Podestplätze.

1985 zog er Arnoux endgültig den Zahn. Der Franzose wurde nach nur einem Rennen in die Wüste geschickt, Stefan Johansson rückte ins Team. Alboreto war von all diesen Ereignissen unbeeindruckt. Er siegte in Belgien und Deutschland, fuhr sechs weitere Podien ein und beendete das Jahr als Vizechampion hinter Alain Prost. Es war die große Chance des kleinen Italieners. Fünf Ausfälle in den letzten fünf Rennen des Jahres kosteten ihn den Titel. In den Folgejahren bis 1988 war mit Ferrari nicht viel zu gewinnen.


Fotostrecke: Die Karriere von Michele Alboreto

Formel 1: Vizeweltmeister mit Ferrari 1985

Nach seinem Abschied von der Scuderia, wo Nigel Mansell seinen Platz eingenommen hatte, fuhr Alboreto 1989 noch einmal fünf Rennen für Tyrrell, anschließend ebenso viele Grands Prix für Larrousse. 1990 wechelste er zu Arrows (später Footwork) und erlebte dort extreme Höhen und Tiefen. Die Formel-1-Karriere klang mit den wenig positiven Engagements bei der Scuderia Italia (1993) und Minardi (1994) aus. Alboreto wechselte endgültig auf die Langstrecke.

Die frühen Einsätze mit Lancia in Le Mans in den Jahren 1981 bis 1983 hatten den Italiener zu einem Liebhaber der Endurance-Szene gemacht. 1996 heuerte er bei Joest-Posche an, holte im Folgejahr den viel umjubelten Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans. Seine Teamkollegen damals: Ex-Ferrari-Partner Johansson und der damals noch recht unbekannte Tom Kristensen ("Mister Le Mans"), der gemeinsam mit Alboreto seinen ersten von neun Le-Mans-Triumphen einfahren konnte.

Michele Alboreto

Goldene Jahre: 1985 konnte sich Michele Alboreto bei Ferrari in Szene setzen Zoom

Der Italiener wechselte 1999 in das neue Langstreckenprogramm von Audi. "Michele hatte zwar viel Erfahrung aus der Formel 1, aber er hatte auch eine Sportwagen-Vergangenheit als er zu Audi kam. Es gab bereits eine Verbindung zu Joest - und wir waren in der Frühphase der Zusammenarbeit mit Joest. Das dürfte ein wichtiges Argument gewesen sein", erinnert sich Audi-DTM-Chef Dieter Gass, der viele Jahre im LMP-Programm engagiert war.

Keine Starallüren: Menschlichkeit macht zur Leitfigur

Alboreto sollte helfen bei der Entwicklung des Fahrzeugs, beim Aufbau der Strukturen und beim Zusammenspiel zwischen Audi und Joest. "Ganz zu Anfang trafen Welten aufeinander, es gab auch Spannungen. Michele erkannte das und hat in väterliche Manier ausgeglichen - ganz klasse", berichtet der ehemalige Audi-Chefingenieur Jo Hausner. "Er wollte sich einbringen, beim Aufbau der Mannschaft und der Strukturen helfen. Das war ihm immer wichtiger als zu zeigen, dass er der Tollste und Schnellste ist."

Der damals 42-jährige Ex-Formel-1-Star sorgte mit seiner Erfahrung und auch seinem Humor für reibungslose Abläufe und gute Stimmung. "Er war die Leitfigur", meint Wolfgang Ullrich. "Aber nicht aufgrund seiner Erfahrung oder weil er Freund von Joest war, sondern allein aufgrund seiner Persönlichkeit. Die früheren Erfolge hätten nicht gereicht, um die Akzeptanz als Leitfigur bei allen zu erlangen. Er hat das ohnehin nie ausgespielt, er war nie der Star - ganz und gar nicht."

"Michele war ein Familienmensch, der immer bemüht war, auch im Rennumfeld eine kleine Familie zu haben. Er hat allen im Team immer unheimlich viel gegeben. Er hatte auf jede Frage eine Antwort, und er hatte unwahrscheinlich viel Humor", sagt Ullrich. "Was mir in Erinnerung geblieben ist: Er hatte immer eine besondere Beziehung zu seiner Crew am Fahrzeug. Wenn heftige Zeiten waren, hat er immer versucht, allen eine kleine Freude zu machen. Alle haben ihn gern gehabt."


Das Duell: Alboreto vs. Prost

So war es Alboreto, der bei einem Test in Monza plötzlich wie ein Kind auf Schnee reagierte. Die überraschenden Niederschläge im sonst oft warmen Königlichen Park nahm der Haudegen zum Anlass, den Audi R8 mal eben an der Hinterachse mit Schneeketten auszurüsten. "Das war typisch", schmunzelt der Audi-Sportchef. Ullrich schüttelt grinsend den Kopf und erinnert sich sofort an eine weitere unterhaltsame Anekdote.

Formel-1-Star und Le-Mans-Sieger als Kofferträger

"Michele und Dindo Capello haben innerhalb kürzester Zeit ein sehr enges Verhältnis aufgebaut. Irgendwann sind wir nach Amerika geflogen, um in Sebring zu fahren. Ich war bereits am Counter, wo ich mein Auto abholen konnte, da kommen plötzlich die beiden rein. Der Herr Capello mit einem Koffer, der Herr Alboreto mit drei Koffern - und einer davon war der zweite von Dindo", lacht Ullrich. "Michele war es dann, der die Formulare erledigt hat und das Auto übernahm. So war er halt."

"Er, der eigentlich der Große und die Persönlichkeit war, hat das alles in die Hand genommen, um dem kleinen, hilflosen Dindo zu helfen", sagt der Österreicher. "In jeder Situation hat er anderen seine Wertschätzung gezeigt. Das war sein Leben." Immer Gentleman, aber dennoch auch im Herbst der Karriere jederzeit top motiviert - so beschreiben Wegbegleiter den am 25. April 2001 verstorbenen Michele Alboreto. Und manchmal siegte das Racerherz.

"Er war die graue Eminenz in schnell", sagt Jo Hausner. "In Sebring 2000 hatte unser Auto gewonnen, anschließend haben wir dort traditionell unseren Test gemacht. Sonntag zum Wunden lecken, dann Montag und Dienstag der Dauerlauf. Für Dindo und Michele war es nicht erklärbar, dass sie im Rennen nie die Rundenzeiten hatten fahren können wie unser Auto mit Frank Biela, Tom Kristensen und Emanuele Pirro. Das hat die beiden gewurmt."

"Er war die graue Eminenz in schnell." Jo Hausner

"Den Dauerlauf haben wir mit dem Siegerauto absolviert. Michele kam ins Auto, hatte einen gebrauchten Reifensatz drauf. Er fuhr ein paar Runden und kam wieder nicht so richtig auf die Zeiten. Er wollte es aber unbedingt wissen. Über Funk kam dann, seine Reifen seien schlecht und er bräuchte einen neuen Satz. Ich habe das abgelehnt. Er sollte den Stint zu Ende fahren, dann waren neue Pneus geplant. Da war er sauer", lacht Hausner. "Er hat in der folgenden Runde alle vier Räder eckig gebremst und ist hereingekommen, weil er dann natürlich neue Reifen brauchte."

"Er ist mit den frischen Pneus herausgefahren und dann kamen tatsächlich die Zeiten. Das war ihm extrem wichtig. Die Aktion konnte man ihm einfach nicht übel nehmen. So war er halt", berichtet der erfahrene Audi-Ingenieur. Der Unfalltod von Michele Alboreto sorgte für Schock, Bestürzung und für eine schmerzhafte Lücke im Audi-Le-Mans-Programm. Der Italiener hinterließ dort bleibende Spuren. ""Sehr, sehr angenehm", sei der Mensch Alboreto gewesen, meint Dieter Gass. "Ein wirklich echter Gentleman", fassen Ullrich und Hausner unisono zusammen.