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  • 08.02.2016 16:48

  • von Edd Straw (Haymarket)

Max Chilton: Im Inneren des Nissan-Strudels

Nach seinem Formel-1-Engagement landete Max Chilton einen LMP1-Deal mit Nissan, doch das Projekt scheiterte schnell: Der Brite erzählt über seine Erfahrungen

(Motorsport-Total.com) - Frag die aktuellen Formel-1-Piloten, was sie ohne ein Grand-Prix-Cockpit machen würden, und die Mehrheit würde die gleiche Antwort liefern. Vielleicht reden einige über eine Auszeit am Strand oder einen Wechsel zum Rallye-Cross, aber die große Mehrheit würde sagen, dass sie einen Sportwagen fahren wollen - am liebsten als Fahrer für ein Werksteam in der LMP1-Klasse.

Titel-Bild zur News: Max Chilton

Max Chilton setzte seine LMP1-Hoffnungen in das Nissan-Projekt Zoom

Als Max Chilton, 35-maliger Grand-Prix-Teilnehmer für Marussia 2013 und 2014, also für das Langstreckenprogramm von Nissan unterschrieb, hatte er seine Traummöglichkeit. Zumindest schien es so. Heute ist Chiltons Nissan-Erfahrung nur eine Erinnerung, stattdessen freut er sich auf seine Rookie-Saison in der IndyCar-Serie mit Chip Ganassi. 2015 befand er sich allerdings inmitten einer der unglücklichsten Sportwagen-Projekte der Geschichte.

"Die Formel 1 kam 2014 zu einem abrupten und traurigen Ende", sagt Chilton. "Wir waren bereits am Ende des Jahres angelangt und ich hatte noch nichts für das kommende Jahr feststehen. Dann bekam ich einen Anruf von Nissan, die mich gefragt haben, ob ich einer ihrer Werkspiloten sein möchte. Ich habe immer gesagt, dass ich LMP1 machen würde, wenn ich nicht in der Formel 1 bin. Ich habe es schon einmal gemacht (in einem Zytek von Arena 2007 in der Le-Mans-Series; Anm. d. Red.) und es geliebt. Es passt zu meinem konstanten Stil."

"Also dachte ich: 'Boom, mach den Nissan-Deal klar.' - und dann haben wir den Vertrag sehr schnell unterschrieben. Anfang März wurde der Deal dann bekanntgegeben." Während Chilton 2015 zudem in der Indy-Lights-Serie für Carlin fuhr, lag sein voller Fokus auf dem Nissan-Programm. Seine Aktivitäten in Amerika mussten dort hineinpassen. Es war ein logischer Schritt, weil es seine große Chance war, mit einem großen Hersteller auf Topniveau bei den Sportwagen zu fahren.


Fotos: Nissan-Test in Bowling Green


Die Ernüchterung kommt schnell

Aber es dauerte nicht lange, bis er merken musste, dass die Dinge nicht wie erwartet laufen würden. "Es war ein ziemlich großer Schock", sagt Chilton. "Ich hatte gehört, dass es ein Vorderradantrieb sein würde, aber da es ein Nissan-Werksprojekt war, wusste man, dass sie herausgefunden hatten, dass sie einen ebenso guten Job machen könnten. Ich fuhr nach Sebring, um es zum ersten Mal zu testen, aber das Getriebe am Auto war bereits kaputt, also hatten sie ihre Sachen schon gepackt, als ich ankam."

"Wir fuhren dann nach Bowling Green auf die Teststrecke von Chevrolet. Das ist keine normale Strecke, sondern sie besitzt eine lange Gerade und viele schreckliche Kurven. Ich konnte aber nur etwa 50 Runden fahren, bevor wir nach Le Mans gefahren sind - das war's! Es gab Probleme über Probleme über Probleme. Wenn sie jetzt ein komplettes Testprogramm durchziehen würden, wären sie immer noch zwei Jahre davon entfernt, rennbereit zu sein."

Olivier Pla, Jann Mardenborough, Max Chilton

Der LMP1-Bolide von Nissan war zum Scheitern verurteilt Zoom

Chilton lobt die Bemühungen, die von den Beteiligten in das Nissan-Projekt gesteckt wurden, doch es war einfach noch zu roh. Schon früh war klar, dass das Auto nicht die Performance haben würde, die für die Publicity passend wäre. "Sie hatten riesige Schlagzeilen", sagt Chilton. "GoPro hatte eine große Dokumentation gemacht, und viele andere Leute hatten es gefilmt. In der Woche vor Le Mans war ich ziemlich unverblümt bei den Interviews, dass es kein Rennwagen wäre und wir im Prinzip nur ein Auto fahren würden. Nissan hat erstaunliche Medienpräsenz erhalten. Aber man muss herausfinden, wie gut diese Aufmerksamkeit überhaupt gewesen ist. Weil sie einfach nirgendwo waren."

Spaß zumindest abseits der Piste

Es gab aber auch positive Dinge. Chilton war gerne Teil des Teams und war beeindruckt vom Eifer in ihm. Er hatte auch Spaß mit den Fahrern, mit denen er arbeiten durfte. Neben seinen zwei Teamkollegen im #23 Nissan GT-R LM Nismo, Oliver Pla und Jann Mardenborough, war er auch Teil eines Aufgebots, dass die GT-Academy-Gewinner Lucas Ordonez und Mark Schulschizki, den Japaner Tsugio Matsuda, Harry Tincknell, Michael Krumm und Alex Buncombe beinhaltete.

"Es war einfach so frustrierend, weil wir so großartige Leute im Team hatten", sagt er. "Sie hätten nicht mehr Einsatz hineinstecken können. Sie haben schon buchstäblich 24-Stunden-Schichten geschoben, aber es gab nichts, was sie hätten tun können, um das Auto in Le Mans gut zu machen. Es hatte ein komplettes Redesign nötig. Aber ich habe viel gelernt. Eigentlich war Le Mans die spaßigste Rennwoche meines Lebens, weil wir neun Fahrer waren und uns alle sehr gut verstanden haben. Wir hatten viel Zeit, weil wir beim Testen nur rumsaßen."

Olivier Pla, Jann Mardenborough, Max Chilton

Pla, Chilton, Mardenborough: Zumindest unter den Fahrern herrschte gute Laune Zoom

"Noch nie war ich in einem Team mit Fahrern auf so unterschiedlichen Lebenswegen. Wir hatten Fahrer aus der GT-Academy, die nur ein paar Rennautos und nun einen LMP1-Boliden gefahren waren, wir hatten Japaner ohne Englischkenntnisse oder Harry, den ich schon kenne, seit wir Go-Karts getestet haben. Wir hatten alle unterschiedliche Erfahrungen und kamen gut miteinander aus. Es war eine wirklich spaßige Zeit."

Wenn der Fahrspaß auf der Strecke bleibt

Doch während abseits der Piste Spaß herrschte, war es auf der Strecke ein wenig anders. Durch Sorgen um die Zuverlässigkeit konnten die Fahrer selten attackieren, von daher gab es selbst in einem nicht konkurrenzfähigen Auto (die schnellste Runde eines Nissan-Piloten lag 18,413 Sekunden über der schnellsten Rennrunde) wenig Möglichkeiten für einen ordentlichen Versuch. Chilton konnte zumindest zwei relative Vollgas-Stints fahren - von Runde 38 bis 75 und von 148 bis 181 des Autos - und eine ordentliche schnellste Rundenzeit von 3:48.690 Minuten setzen.

Dabei ging er aufgrund der Zerbrechlichkeit des Nissans sehr behutsam vor. Somit war seine Zeit nicht vollkommen verschwendet. "Am Ende des Tages gibt es bei neun Piloten immer welche, die pushen wollen", sagt Chilton. "Also pusht man um zu schauen, was man tun kann. Aber eigentlich war es irrelevant, weil man 20 Minuten pusht und dann eine Stunde in der Garage verbringt, weil der hintere Querlenker oder was auch immer gebrochen ist."


Fotostrecke: Nissan in Le Mans

"Es war furchteinflößend. Wir fuhren am Ende der Geraden 230 Meilen pro Stunde (370 km/h; Anm. d. Red.) und waren schneller als die Porsche oder Audi. Aber wir haben dafür eine Minute gebraucht, während sie es innerhalb von vier Sekunden geschafft haben! Ich habe mich seit meiner ersten Fahrt über die Lenkung beschwert, weil es so viel Spielraum gab - und dann war da auch noch der Traktionseinfluss auf die Lenkung."

Chilton: Zumindest einmal LMP1-Werksfahrer

"Man hat die Porsche und die Audi, die beim Beschleunigen an dir vorbeirasen. Sie sind so unglaublich viel schneller, wie ein Schuss aus einer Pistole - sie waren einfach weg. Man versucht auf einer Seite der Straße zu bleiben, aber die Straße knickt am Rand etwas ab. Wenn man also nach rechts lenkt, um nicht auf das Gras zu fahren, dann wird das Auto genau vor die anderen Autos gezogen."

"Dann hat man GT-Fahrzeuge, die man auf der Gerade überholt. Aber in der Kurve überholen sie dich zurück oder pushen dich durch die letzten Schikanen, weil das Auto so langsam war und keine Traktion besaß. Es war das Härteste, das ich je gefahren bin. Man kann das Ding nicht Rennwagen nennen."

Trotz allem bereut es Chilton nicht. Er bekam die Möglichkeit, mit einigen sehr guten Leuten zu arbeiten und die Erfahrung Le Mans zu machen. Jetzt kann er zumindest behaupten, dass er ein Werksfahrer beim 24-Stunden-Rennen gewesen ist. Und wie die anderen acht Fahrer in Le Mans bewertet ihn niemand aufgrund seiner Performance. "Ich kam sehr spät dazu und bin nur ein Rennen gefahren, von daher war es positiv, weil ich Werksfahrer in einem LMP1-Auto in Le Mans war", meint er.


Le Mans 2015: Die Nissan-Highlights

Blick in die Garage des LMP1-Projekts der Japaner: Wie die Piloten und Mechaniker das 24-Stunden-Rennen an der Sarthe erlebten

"Es war aber auch frustrierend, weil ich mich nicht auf die Indy Lights konzentrieren konnte, die mein Sprungbrett in die IndyCar-Serie waren. Trotzdem hat es Spaß gemacht." Chiltons Nissan schaffte in Le Mans 234 Runden und kam nicht ins Ziel. Ein Schwesterauto kam auf 242 Runden und war bei der Zieldurchfahrt in Bewegung, verpasste allerdings die notwendige Schwelle an Runden, um gewertet zu werden, deutlich. Das war es für das Nissan Projekt - und bis jetzt auch mit der Sportwagen-Karriere von Chilton.

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