• 08.06.2015 09:13

  • von Roman Wittemeier

Kolumne: Was Le Mans so besonders macht

Die 83. Auflage der 24 Stunden von Le Mans steht bevor: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über den umwerfenden Charme des Rennens

Titel-Bild zur News: Le Mans

Testpilot: Auch die jüngsten Fans kommen in Le Mans schon ganz nahe dran Zoom

Liebe Freunde der Porsche-Kurven,

in wenigen Tagen dürfen wir wieder den längsten Sprint des Motorsports erleben. In Le Mans steht die 83. Auflage des dortigen 24-Stunden-Rennens auf dem Programm. In mir baut sich schon seit Wochen - spätestens seit dem WEC-Prolog in Le Castellet - eine unbändige Vorfreude auf. Ich spüre jetzt schon - ich bin in diesem Moment auf der Fahrt an die Sarthe - einen Teil dieses Zaubers, den das dortige Rennen versprüht. Gegen Le Mans kann ich mich nicht wehren. So kitschig es auch klingen mag: Es ist Liebe!

Fragt man die Piloten der Langstrecke danach, was Le Mans wirklich so besonders macht, so kommen immer die gleichen Stichworte: Tradition, Heldentum, Herausforderung und Atmosphäre. Es fällt schwer, diese Einzigartigkeit in Worte zu fassen. "Le Mans ist eben Le Mans", zuckt beispielsweise der dreimalige Rennsieger Andre Lotterer bei seinem Erklärungsversuch mit den Schultern. Es ist kaum möglich, Formulierungen zu finden, die das Empfundene tatsächlich nachvollziehbar darstellen.

Lasst es mich mal - und dafür ist eine Kolumne schließlich auch da - aus einer ganz persönlichen Sicht beschreiben. Mein erstes Le Mans liegt nun genau 20 Jahre zurück. Mein "Debüt" an der Sarthe hatte einen weiblichen Hintergrund namens Sarah. Die kleine Französin, mit der ich rund zwei Jahre lang fest zusammen sein sollte, kam aus der Partnerstadt meines Studienorts Paderborn: Le Mans. 1995 ging es zum "Vorstellungsgespräch" bei Sarahs Eltern. Es war Juni. Es war laut. Es war unvergesslich.

Wenn Sarah nicht gewesen wäre...

Sarahs Vater war sicherlich kein großer Motorsportfan, aber dennoch selbstverständlich Mitglied im ACO - und dort unter Le-Mans-Männern bestens vernetzt. Und wenn der Junge schon mal zum Renntermin in der Stadt ist, dann muss er auch mit. Und zwar zu allen Terminen, die eine Le-Mans-Woche so bereithält: technische Abnahme in der Innenstadt, Trainings auf der Strecke, Besuche in der Boxengasse, Fahrerparade im Zentrum und nicht zuletzt der "Mad Friday" und das Rennen.

Jeder einzelne Tag dieser Woche hat mich mehr vom Hocker gehauen als alle Besuche von Formel-1-Rennen zuvor - und ich hatte als leidenschaftlicher Formel-1-Freak schon einige Grands Prix vor Ort erlebt. Selbst an Tagen, an denen sich kein einziges Rad der damals noch ganz anderen Le-Mans-Autos drehte, war ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Bei der "Pesage", der Abnahme der Autos auf dem Place de Jacobins, und bei der Fahrerparade wurde deutlich, was Le Mans für mich so einzigartig macht.

Le Mans Fans

Diese Fans aus den Niederlanden gehörten zum Team "Drinking for Holland" Zoom

Die gesamte Stadt lebt diesen Event. Wie ich feststellen musste, gilt dies auch außerhalb der Rennwoche. Bei einem Besuch zu Weihnachten in Le Mans habe ich das gleiche Kribbeln im Bauch gespürt. Man begegnet dem 24-Stunden-Rennen, der dortigen Tradition und Leidenschaft, immer und überall: in Tankstellen, in Kneipen, Restaurants und sogar auf öffentlichen Toiletten und an Brücken in der Stadt finden sich jederzeit Hinweise auf dieses Rennen. Es ist allgegenwärtig.

Buntes Gemisch von Gästen und Einheimischen

Während sich in Deutschland - entschuldigt meine nun vielleicht viel zu pauschale Aussage - immer wieder Anwohner finden, denen ein Traditionsevent nach 20 Jahren dann doch plötzlich auf den Senkel geht, und die sich dann mit allen Mitteln gegen die weitere Durchführung zur Wehr setzen, ist dies in Le Mans komplett anders. Die Einwohner, ob jung oder alt, stehen voll hinter dem Rennen. Wer freitags bei der Fahrerparade die Kids mit ihren Fähnchen, leuchtenden Augen und strahlendem Lachen auf den Straßen gesehen hat, der weiß, was ich meine.

Als ich 1995 durch die Boxengasse ging und mir die damaligen Fahrzeuge von beispielsweise McLaren, Lister, Courage oder Welter aus nächster Nähe anschauen durfte, da wurde mir klar, dass Motorsport mehr ist als nur der Konsum einer großen, lauten, schnellen Show. Jeder einzelne Mitarbeiter der Teams teilte das Gefühl, das ich hatte: Leidenschaft für Rennfahrzeuge und Rennen. So etwas verbindet. Ganz ehrlich: So etwas habe ich in der Formel 1 so nie gespürt.

Le Mans 1995

Das Rennen vor 20 Jahren wurde von den schnellen McLaren F1 GTR geprägt Zoom

Und dann der Renntag, oder besser Plural: die Renntage. Die Zuschauer strömen in unglaublichen Massen zur Strecke. Grölende Briten, "leicht" angetrunkene Dänen oder stilvolle Franzosen mit Picknick-Korb - alles meine Freunde. Es liegt etwas in der Le-Mans-Luft und das ist nicht, wie beispielsweise am Nürburgring beim dortigen 24-Stunden-Rennen, der Geruch von Grillwaren. Ständig hat man das unbeschreibliche Gefühl, gerade Zeuge eines unvergesslichen und für die Welt einschneidenden Ereignisses zu sein.

Das Warten hat bald ein Ende!

Für mich ist Sarah mittlerweile seit vielen Jahren Vergangenheit, Le Mans aber Gegenwart und Zukunft. Seit einigen Jahren darf ich das Rennen als Journalist für euch aus einer ganz anderen Perspektive begleiten. Das Gefühl in Le Mans ist allerdings immer das gleiche geblieben. Wenn am kommenden Samstag der Startschuss fällt, die Autos in die Nacht hineinfahren und im Morgengrauen die Sonne die Müdigkeit der durcharbeiteten Nacht vertreibt, dann erlebt man in Le Mans Motorsport ohne Masken. Aufgrund der Erschöpfung kann sich niemand mehr verstellen. Da fließen bei Fahrern und Teammitgliedern auch mal Tränen der Enttäuschung, Rührung oder Erleichterung. Das ist heldenhaft in Le Mans!

"Rennen heißt Leben, die Zeit zwischen den Rennen heißt Warten", spricht Steve McQueen alias Michael Delaney im berühmten Film "Le Mans". Liebe Freunde, das Warten ist bald vorbei. Le Mans bringt uns Leben!

Viele Grüße und bis bald

Roman Wittemeier