Interview zu Gran Turismo: "Wenn jemand dann aus dem Kino kommt ..."

Der Kinofilm Gran Turismo basiert auf der Geschichte von Jann Mardenborough - Im Interview spricht der Rennfahrer über den Film, seine Karriere und mehr

(Motorsport-Total.com) - Vom Sim-Racer zum Profi-Rennfahrer: Jann Mardenborough, auf dessen Geschichte der aktuelle Kinofilm Gran Turismo basiert, plaudert ausführlich über seine Karriere und darüber, wie es mit ihm an dem Punkt seiner Karriere weiterging, an dem der Film endet.

Titel-Bild zur News: Gran Turismo (Film)

Filmszene aus Gran Turismo: Archie Madekwe als Jann Mardenborough Zoom

Im Interview für die niederländische Ausgabe von 'Motorsport.com' spricht Mardenborough über seine Beteiligung an den Dreharbeiten und darüber, was er sich von dem Film erhofft, über seine eigene Rennfahrerkarriere, in der er es eigentlich bis in die Formel 1 schaffen wollte, über seine Pläne für die Zukunft und darüber, warum er die Simulation Gran Turismo heute nur noch gelegentlich spielt.

Frage: "Jann, Sie haben den Film Gran Turismo mitproduziert. Wie war das und was war Ihr Ziel für diesem Film?"

Jann Mardenborough: "Wenn man mir vor sechs oder sieben Jahren diese Frage gestellt hätte, wäre es sehr einfach gewesen, zu sagen: 'Nein, ich will da nicht mitmachen'. Aber man öffnet sich für alles. Ich kam quasi aus dem Nichts und bin Rennen gefahren. Und plötzlich kommt da ein Film, der sich auf die ersten vier Jahre, in denen ich Rennen gefahren bin, konzentriert."

"Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich mich gut fühle, wenn jemand nach diesem Film aus dem Kino kommt und inspiriert wird, seinen Traum zu verfolgen. Ob das nun Motorsport ist oder etwas ganz anderes, wie zum Beispiel Bildhauerei. Es lohnt sich, das durchzuziehen. Mein Bestreben ist es, dass die Menschen ihrer Leidenschaft und ihrem Lebensziel folgen, denn ich glaube, jeder hat als Kind viele Träume und jeder wird mit einem Talent für etwas geboren. Meines ist der Rennsport. Ich glaube, dafür bin ich auf die Welt gekommen. Ich hoffe, dass die Leute, wenn sie den Film sehen, eine positive Einstellung haben und ihr Leben selbst in die Hand nehmen."

"Ich war an allen Drehbüchern stark beteiligt. Natürlich waren im ersten Skript, weil es eben das erste war, noch viele Dinge nicht ganz richtig, sei es der Rennsport oder der englische Humor. Die Zusammenarbeit mit Sony war aber großartig. Wir haben sieben Stunden lang telefoniert und sind das Skript gemeinsam Wort für Wort durchgegangen: 'Ich würde dies sagen, ich würde das sagen. Das muss geändert werden', und so weiter. Das war bei vielen Versionen danach genauso. Im Juni 2022 war das Drehbuch dann so weit, dass es wirklich gut war. Von da an ging es nur noch darum, die Besetzung zu finalisieren."

"Als ich Archie (Archie Madekwe, der Mardenborough im Film spielt; Anm. d. Red) zum ersten Mal traf, war ich sehr beruhigt, weil dieser Typ einfach so viel über mich wissen wollte. Es ist keine Filmbiografie in dem Sinne, dass Archie meinen Gang oder meine Mimik imitieren würde. Es geht viel mehr um die Beziehungen, die ich zu meiner Familie, zu den Ingenieuren und auch zum Rennsport habe. Das ist es, worauf der Fokus des Films liegt. Es hat mich wirklich sehr beruhigt, dass er mir am Set all diese Fragen gestellt hat."

"Ich selber bin kein Schauspieler und ich bin auch kein Kameramann. Ich konzentriere mich auf mein Handwerk, also auf das, was ich kann und was ich seit elf, zwölf Jahren mache, nämlich Autofahren. Okay, Stunts zu fahren ist etwas anderes, aber wenigstens habe ich die Kontrolle darüber. Und ich habe großes Vertrauen in die Person, die mich spielt. Ich bin mit dem Drehbuch sehr zufrieden. So hat sich alles zu dem zusammengefügt, was wir heute sehen. Ich fühle mich sehr glücklich und gesegnet, dass ich einen so großen Beitrag zu diesem Prozess leisten konnte."

Wie es mit Mardenborough nach Le Mans 2013 weiterging

Frage: "Der Film endet, nachdem Sie bei den 24 Stunden von Le Mans auf dem LMP2-Podium gestanden haben. Ich glaube, viele Leute fragen sich: Was ist danach mit Jann passiert?"

Mardenborough: "Das war 2013, als ich in Le Mans Dritter geworden bin. Im Jahr darauf, 2014, bin ich wieder in Le Mans gefahren und mit einem GT3-Auto auch in Spa. Außerdem bin ich dem Jahr in der GP3-Serie gefahren, 2015 ebenfalls. Außerdem habe ich ein World-Series-Auto (Formel Renault 3.5; Anm. d. Red.) getestet. Ich versuche gerade zu überlegen, was ich damals noch alles gemacht habe. Das ist so lange her ... GT3-Rennen und LMP1 bin ich auch gefahren. 2016 ging es für mich dann nach Japan, wo ich Vizemeister in der Formel 3 geworden bin und außerdem in der GT300-Klasse [der Super GT] angetreten bin. 2017 bin ich Super Formula gefahren und parallel dazu für Impul in der GT500-Klasse."

"Ab 2018 habe ich mich ganz auf die GT500 konzentriert. Das ging bis Ende 2020. Dann war ich Formel-E-Entwicklungsfahrer für Nissan und McLaren und parallel dazu Sim-Racer. Im vorigen Jahr hat das aber aufgehört wegen der Filmsache. Für diese Projekt war ich Ende 2022 rund ein halbes Jahr lang am Set. Fünf oder sechs Monate lang habe ich die Stuntszenen gemacht und am Film mitgewirkt, um sicherzustellen, dass alles gut ist. In diesem Jahr habe ich wieder eine Menge Promotion-Aufgaben, also nicht viel Zeit für Rennen. Ein Rennen gab es aber, das ich in diesem Jahr bestritten habe, das waren die 24 Stunden von Fuji."

Jann Mardenborough

Jann Mardenborough fuhr viele Jahre in Japan - und geriet in Europa in Vergessenheit Zoom

Frage: "Eine Sache haben Sie übersprungen: 2014 waren Sie Teil des Red-Bull-Nachwuchsprogramms, nicht wahr?"

Mardenborough: "Ja, im Programm von Infiniti Red Bull Racing. Ich bin damals GP3 für Arden gefahren und saß vor jedem GP3-Wochenende im Red-Bull-Simulator. Zu diesem Zeitpunkt bin ich seit drei Jahren Rennen gefahren und war noch sehr frisch. Es war gerade mal mein zweites Jahr im Formelsport. Eigentlich wäre es toll gewesen, mehrere Jahre in der Formel 3 zu fahren, denn 2013 fuhr ich in der Formel 3, aber aus politischen Gründen nur eine Saison."

"Damit ich weiter Rennen fahren konnte, musste ich sehen, dass ich eine Stufe aufsteige. Bezogen auf meine Karriere und meine Entwicklung als Fahrer war es nicht die richtige Entscheidung, in die GP3 aufzusteigen. Zu diesem Zeitpunkt musste ich die Entscheidung aber so treffen. Trotzdem: Das Formel-3-Auto ist immer noch das beste und schönste Auto der Welt. Lassen wir das einfach mal so stehen."

GT-Academy "hat funktioniert", aber ...

Frage: "Ich glaube, man kann getrost behaupten, dass Sie immer noch das beste Beispiel dafür sind, wie Sim-Racer im echten Leben erfolgreich sein können. Seit Sie an echten Rennen teilgenommen haben, gab es nicht mehr sehr viele Leute, die diesen Schritt gemacht haben, obwohl Sim-Racing immer beliebter geworden ist. Wie erklären Sie sich das?"

Mardenborough: "Möglich ist es natürlich, denn ich habe es ja getan! Wenn Sie mir diese Frage vor dreizehn Jahren gestellt hätten, bevor ich in den Rennsport eingestiegen bin, wäre sie sicher etwas schwieriger zu beantworten gewesen. Aber jetzt: Ja, ich habe bewiesen, dass man es schaffen kann. Ich habe wirklich alles gemacht, außer Formel 1. In Japan bin ich in den höchsten Kategorien gefahren, nämlich Super Formula und GT500. Ich war Werksfahrer, obwohl ich keinerlei Rennerfahrung hatte. Ich bin weder Kart gefahren, noch war ich auf einer Rennstrecke. Nichts! Meine gesamte Erfahrung habe ich mit Gran Turismo (der Simulation; Anm. d. Red.) gesammelt."

"Um Ihre Frage zu beantworten: Ich wundere mich, warum es seitdem keinen ähnlichen Wettbewerb gibt wie damals die GT-Academy. Das ärgert mich wirklich. Denn kommerziell war es ein Erfolg, und zwar für jede Branche, die an der Entwicklung der Akademie beteiligt war, nicht nur die Filmindustrie, sondern auch Nissan und PlayStation. Allen beteiligten Partnern ging es finanziell gut. Das Geschäftsmodell hat funktioniert. Aber seit World's Fastest Gamer, wovon es zwei Staffeln gab und was etwas ganz ähnliches war wie die GT-Academy, also ein Spin-off, hat es nichts mehr gegeben."

"Ich bekomme auf Instagram so viele Fragen von Leuten, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie ich: 'Wie komme ich zum Rennsport? Ich liebe Rennen und ich bin sehr gut in Rennspielen, aber wie kann ich den Einstieg schaffen?' Ich antworte dann: 'Kumpel, ich weiß es nicht. Man muss sich mit einem Team in Verbindung setzen und den traditionellen Weg gehen, um Teil eines Teams zu werden, zum Beispiel Mechaniker werden. Und vielleicht gibt es eine Möglichkeit, ein Auto zu testen, wenn der Fahrer nicht zu einer Testfahrt erscheint oder so. Ansonsten kann ich dir leider keine Antwort geben.'"

Gran Turismo (Film)

Filmszene aus Gran Turismo Zoom

"Das ärgert mich wirklich, denn damals hat diese Formel funktioniert. Ich bin ja der Beweis dafür. Ich hoffe, dass in den kommenden Monaten, wenn der Film in den Kinos lief, vielleicht ein großes multinationales Unternehmen oder ein privater Geldgeber inspiriert wird, etwas Ähnliches zu veranstalten. Denn eins ist klar: Es funktioniert."

Frage: "Würden Sie es vielleicht selber in Erwägung ziehen, ein solches Projekt zu starten?"

Mardenborough: "Das ist etwas, worüber ich noch mehr nachdenken muss. Ich bin ja selber noch als Rennfahrer aktiv. Ich habe mittlerweile ein Niveau erreicht, auf dem ich sein möchte. Mein Ziel ist es, in Le Mans mit einem Hypercar zu fahren. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich bin mir bewusst, dass ich einen gewissen Ruf habe, weil ich aus dieser Welt stamme. Aber man muss sich schon intensiv Gedanken darüber machen, wie man es angehen will."

Mardenboroughs Ziel: 24h Le Mans mit Hypercar

Frage: "Eine Rückkehr nach Le Mans ist bei Ihnen also auf dem Radar?"

Mardenborough: "Ja, denn diese [Hypercar-]Autos sind cool. Ich habe das Gefühl, dass es gerade die goldene Ära der Sportwagen und Prototypen ist, weil jetzt so viele Hersteller beteiligt sind. Da möchte ich dabei sein. In Japan Rennen zu fahren, ist schön und gut. Ich liebe Super GT. Das ist meine Lieblingsrennserie. Die GT500-Autos sind mit der Leistung, die sie produzieren, einfach phänomenal. Aber wenn man so lange dort drüben ist, wird man im Rest der Welt vergessen. Das ist einfach so."

"Der Film kommt also zu einem guten Zeitpunkt in meiner Karriere heraus, um meinen Namen wieder in Erinnerung zu rufen. Ich arbeite jetzt mit meinen Leuten intensiv daran, Leute zu treffen und mich persönlich vorzustellen. Ich bin nicht mehr mit Nissan verbunden, denn die Zusammenarbeit wurde Ende vorigen Jahres eingestellt. Jetzt geht es darum, mein Image, meinen Namen wieder aufzubauen. Das ist ein neues Kapitel. Ich spreche mit Teams und Herstellern. Für nächstes Jahr ist das Ziel Le Mans in einem Hypercar. Ich würde auch gerne in Amerika fahren, auch GT3. Wir werden sehen."

Frage: "Gibt es denn schon konkrete Pläne?"

Mardenborough: "Keine konkreten. Und selbst wenn ich etwas Konkretes hätte, würde ich es jetzt noch nicht sagen (lacht; Anm. d. Red.)."

Frage: "Auf der Website der GT-Academy bin ich auf diesen Biografie-Teil auf Ihrer Seite gestoßen: 'Mardenboroughs ultimatives Ziel ist es, in der Formel 1 zu fahren. Er möchte auch das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewinnen, aber im Moment sagt er, sein unmittelbares Ziel sei es, jedes Mal, wenn er im Auto sitzt, etwas zu lernen. Mit einer solchen Einstellung wird er vielleicht eines Tages mit seinem Helden Lewis Hamilton in der Startaufstellung stehen.' In die Formel 1 haben Sie es nicht geschafft, aber Sie waren nahe an einem Sieg in Le Mans dran und mit Ihren Plänen gibt es eine neue Hoffnung. Wie blicken Sie heute auf Ihre Ambitionen von damals zurück?"

Gruppenfoto: Alle Autos für die 24h Le Mans 2023

Die 24h Le Mans würde Mardenborough am liebsten in der Hypercar-Klasse bestreiten Zoom

Mardenborough: "Ich schätze, als mir diese Frage gestellt wurde, war es wohl das Jahr 2013. Damals bin ich in die Formel 3 eingestiegen. Und der aus meiner Sicht einzige Grund dafür war, weil man es anstrebt, irgendwann Formel 1 zu fahren. Menschlich war ich damals noch nicht so weit, was das Leben und das Reden mit Menschen angeht. Aber meine Antwort war immer: Ja, ich will an die Spitze meines Sports, also in die Formel 1."

"Ich fühle mich gesegnet und bin dankbar für all die Möglichkeiten, die ich in meinem Leben bekommen habe, denn es hätte auch ganz anders laufen können. Zufrieden bin ich aber nicht. Ich bin nie restlos zufrieden, denn es gibt immer noch mehr zu tun. Eines steht fest: Ich möchte Rennen mit Autos mit Verbrennungsmotor fahren, also Autos wie in der Super GT, Autos wie LMDh, LMP1 oder auch GT3. Das ist mein Bereich. Und Le Mans ist das größte Rennen der Welt. Es ist das größte Rennen für Prototypen, für Sportwagen. Also ja, Le Mans zu gewinnen ist immer noch das Ziel."

Frage: "Spielen Sie eigentlich immer noch Gran Turismo?"

Mardenborough: "Gelegentlich. Ich finde dann einfach Stunden am Tag. Ich spiele es aber nur zum Spaß. Das einzige Mal, dass ich es ernsthaft gespielt habe, war für die GT-Academy. Das waren damals acht Stunden pro Tag und das war nicht aus Spaß. Der einzige Grund, weshalb ich das Spiel heute spiele, ist, weil es Spaß macht."