Ferrari nach Katar-Sieg in Imola besser eingestuft: Wie kann das sein?

Das neue BoP-System geriet schon bei den 6 Stunden von Imola na seine Grenzen - Im Fahrerlager gibt es Zweifel, ob die aktuelle Methode zielführend ist

(Motorsport-Total.com) - Die Verwunderung war groß: Ferrari hatte gerade erst bei den 1.812 Kilometern von Katar einen Dreifachsieg eingefahren, trotzdem ging der 499P mit einem günstigeren Leistungsgewicht in die 6 Stunden von Imola an den Start als noch bei seinem Durchmarsch im Emirat. Viele Fans fragen sich, wie das möglich ist.

Titel-Bild zur News: Ferrari dominierte in Imola durch eine günstige Einstufung - wohl hervorgerufen durch Fuji 2024

Ferrari dominierte in Imola durch eine günstige Einstufung - wohl hervorgerufen durch Fuji 2024 Zoom

Zwar erhielt der 499P acht Kilogramm Zuladung, gleichzeitig aber im außerhalb von Le Mans fast ausschließlich relevanten Bereich unter 250 km/h sieben Kilowatt (etwa zehn PS) mehr Leistung. Gerade die unmittelbaren Konkurrenten aus dem vergangenen Jahr, Toyota und Porsche, gingen mit einem zu Katar ähnlichen oder sogar ungünstigeren Leistungsgewicht ins Rennen.

Es ist ein Ergebnis der Art und Weise, wie die Balance of Performance (BoP) 2025 berechnet wird. Dabei gab es eine grundlegende Änderung im Vergleich zu 2024, nachdem sich die Hersteller über die Intransparenz des BoP-Prozesses beklagt hatten. Prominentester Kritiker: der frühere Toyota-Teamchef Rob Leupen, der dafür eine Bewährungsstrafe im Zuge des "FIA-Maulkorbs" erhielt.

So wird eingestuft

Um dem entgegenzuwirken, wurde der Prozess für 2025 komplett transparent gemacht. Während 2024 die besten 20 Prozent der Rundenzeiten für die BoP herangezogen wurden, um eine Differenz von maximal 0,4 Prozent zwischen dem schnellsten und langsamsten Fahrzeug zu gewährleisten, sind es 2025 nun die besten 60 Prozent aller Runden. Diese fließen zu zwei Dritteln in die Berechnung ein.

Für 2025 wurde das System erneut überarbeitet. Der Reifenverschleiß sollte stärker einbezogen werden, was den LMDh-Boliden zugutekommen sollte. Deshalb werden die 60 Prozent besten Runden herangezogen. Diese fließen zu zwei Dritteln in die BoP-Berechnung ein.

Zusätzlich werden separat die zehn schnellsten Runden eines Fahrzeugs analysiert und zu einem Drittel berücksichtigt. Genau dieser zweite Faktor ist umstritten: Im Fahrerlager herrscht die Sorge, dass Manipulationen bei diesen zehn Runden leichter möglich sind. Die zehn schnellsten Runden werden deutlich übergewichtet, ließen sich aber am leichtesten manipulieren.


Kurzhighlights 6h Imola 2025

Eine weitere Schwäche: Es werden immer nur die jüngsten drei Rennen betrachtet. Wenn also eine Strecke einmal einem Fahrzeug nicht entgegenkommt (oder am anderen Ende besonders entgegenkommt), beeinflusst das die Einstufung des Boliden für die nächsten drei Rennen. Genau das scheint bei Ferrari in Fuji 2024 passiert zu sein (siehe unten).

Prozess rückwirkend auf letzte Rennen 2024 angewendet

Doch nach welcher BoP wurde beim Saisonstart gefahren? Tatsächlich wurde das neue Verfahren rückwirkend auf die letzten Rennen der Saison 2024 angewendet. Die Einstufung für Katar ergab sich zu zwei Dritteln aus den besten 60 Prozent der Rundenzeiten der 6 Stunden von Austin, der 6 Stunden von Fuji und der 8 Stunden von Bahrain - und zu einem Drittel aus den jeweiligen zehn schnellsten Runden dieser Rennen.

Für Imola fiel Austin heraus, stattdessen rückten die 1.812 Kilometer von Katar 2025 in die Bewertung. Fuji und Bahrain 2024 blieben bestehen. Wer sich an Austin erinnert, weiß: Dort siegte der privat eingesetzte Ferrari #83, und auch der Werks-Ferrari #51 bestimmte zunächst das Rennen, bevor Antonio Giovinazzi nach einem Dreher mit einem bizarren Defekt im Antriebsstrang aufgeben musste.

Ferrari tauschte also ein starkes Wochenende in der BoP-Berechnung gegen ein anderes. Und so groß, wie der Dreifachsieg in Katar auf dem Papier erschien, war der Vorsprung in Wahrheit nicht: BMW, Toyota und Cadillac lagen alle innerhalb einer Viertelsekunde auf den Durchschnitt der 60 Prozent schnellsten Runden gerechnet.


Lange Highlights WEC Imola 2025: 6 Stunden in 60 Minuten

In Austin war der 499P gegenüber der Konkurrenz offenbar überlegen, aber AF Corse konnte das nicht in ein überragendes Ergebnis umsetzen. Das gelang dann in Katar auf eindrucksvolle Weise mit dem Dreifachsieg.

Für die nächsten Rennen in Spa-Francorchamps ändert sich die Bewertungsgrundlage erneut: Die 6 Stunden von Fuji fallen weg, dafür fließt Imola in die Einstufung ein. Fuji war 2024 wohl Ferraris schwächstes Rennen: Nur ein 499P schaffte es überhaupt in die Punkteränge (Platz neun).

Dieses Rennen dürfte bislang zu Ferraris vergleichsweise günstiger Einstufung beigetragen haben. Da es nun wegfällt, ist davon auszugehen, dass Ferrari beim nächsten Lauf in Spa-Francorchamps ungünstiger eingestuft wird.

Werden die Hersteller jetzt tricksen?

Die Gefahr des neuen Systems: Die Hersteller wissen jetzt genau, auf welche Bereiche es ankommt - ein Unterschied zu früher, als der BoP-Prozess bewusst undurchsichtig war.

Zwar verfügt der ACO über Mechanismen, um etwa Spritsparen ("Lift-and-Coast") und das Reifenalter zu erkennen und einzubeziehen. Dennoch gilt: Kein System ist vollkommen sicher vor Tricksereien. Schon zu GTE-Zeiten wurde die automatische BoP derart unterlaufen, dass sie im letzten Jahr gar nicht mehr angewandt wurde.

Insbesondere die starke Gewichtung der zehn schnellsten Runden öffnet Spielräume für bewusste Beeinflussung. Doch auch die andere Seite wird von den Ingenieuren ins Auge gefasst. Im Fahrerlager ist deshalb längst vom "60-Prozent-Korridor" die Rede.

6h Imola, Analyse

Analyse zehn schnellste Runden 6h Imola 2025: Die Daten zeigen ein realistisches Bild der Performance Zoom

Gerade in Hinblick auf Le Mans könnte es für Teams attraktiv sein, die ersten Saisonrennen taktisch zu "opfern", um für das wichtigste Rennen des Jahres eine bessere Einstufung zu erreichen. Für 2025 ist es dafür wohl noch zu früh, unsere Analyse zeigt für die zehn schnellsten Runden in Imola ein realistisches Bild. Aber die nächste Saison kommt bestimmt ...

Und ob Katar und Imola ein guter Gradmesser für Le Mans sind (Spa schon eher), sei auch einmal dahingestellt. Umgekehrt beeinflusst Le Mans auch die BoP für Sao Paulo, Austin und Fuji.