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  • 02.02.2014 12:33

  • von Roman Wittemeier

Die neue LMP1: Von Sensoren, Daten und Strafen

Die LMP1-Teams der WEC haben detaillierte Vorgaben für den Betrieb ihrer Autos erhalten: Strafenkatalog von der FIA gleich mit angehängt

(Motorsport-Total.com) - Die Fans haben bei den Testfahrten der Formel 1 in Jerez deutlich sehen können, wie kompliziert der moderne Motorsport sein kann. Während die Teams der Königsklasse teils der Verzweiflung nahe waren, weil die neuen Antriebe nicht wunschgemäß funktionierten, sind die Hersteller der LMP1-Fahrzeuge in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) bereits einige Schritte weiter. Deren Fahrzeuge sind technisch nicht minder komplex. Allerdings finden die LMP1-Tests nicht in der Öffentlichkeit statt - Pannen fallen nicht auf.

Titel-Bild zur News: Lucas di Grassi

Lucas di Grassi und seine Audi-Kollegen fahren in völlig neuen LMP1-Autos Zoom

Auch die Werks-LMP1-Fahrzeuge des neuen Jahrgangs verfügen über zwei Energie-Rückgewinnungs-Systeme. Gepaart mit einem V6-Turbodiesel (Audi), einem V4-Tubo (Porsche) oder V8-Saugmotor (Toyota) sollen ERS und KERS dafür sorgen, dass die ab sofort schmaleren und leichteren Le-Mans-Boliden schneller werden als im Jahr zuvor. Ob dies gelingen wird, ist bisher nicht bekannt. Nur die Hersteller ahnen den Speed der neuen LMP1 - und FIA sowie ACO.

Die Regelhüter haben im Zuge der Veröffentlichung der neusten Version des Reglements einen Stapel weitere Papiere an die Hersteller gesandt. Aus diesen Dokumenten, die 'Motorsport-Total.com' vorliegen, geht hervor, wie ACO und FIA den limitierten Energieeinsatz der Teams überhaupt messen wollen. Die Teams müssen zahlreiche Sensoren und Messsysteme verbauen und die Daten ins Erfassungssystem der FIA jagen. Dort schauen die Regelhüter während der Rennen dann ganz genau hin.

Sensoren über Sensoren liefern Flut von Daten

Ein Kernelement der Messungen ist der bislang heftig umstrittene, weil womöglich nicht ausreichend präzise, Fuel Flow Meter. Dieses System zur Feststellung des Treibstoff-Durchflusses wird vom Hersteller Gill Sensors geliefert - Stückpreis: 10.000 Euro. Wie viel Vertrauen die FIA in die Messgenauigkeit hat, geht aus einem weiteren Dokument des Verbandes hervor. "Die FIA wird die Ergebnisse der Sensor-Messungen immer wieder mit den Verbrauchswerten abgleichen", heißt es. Die Fuel Flow Meter werden nicht von dessen Hersteller kalibriert, sondern von einem anderen britischen Unternehmen. So viel zum Vertrauen.

Jedes Werks-Auto in der LMP1 wird mindestens zwei dieser Messeinrichtungen an Bord haben. Hinzu kommen Sensoren zur Messung von Abgasdruck, Ladezustand des Hybrids, Druck in Airbox, Drehzahl, Treibstoff-Temperatur, Cockpit-Klima und viele mehr. Die FIA saugt sich aus den Prototypen konstant rund 75 Werte ab (siehe Bild rechts), um den Betrieb der LMP1-Autos stets überwachen zu können. Warum? Weil das Reglement im Kern aus einer Zuteilung von Energie für den Rennbetrieb basiert. Da darf nicht geschummelt werden.

Liste Sensoren LMP1

Big Brother: Die FIA zieht von den Werksautos unzählige Daten Zoom

Und so hat die FIA gleich mal einen Strafenkatalog an das Sportliche Reglement gehängt (Anhang 4 zu Artikel 65.E). Darin sind viele mögliche Verstöße gegen den maximalen Energieverbrauch aufgeführt. Interessant: der erste Verstoß im Rennen bleibt stets straffrei. "Das ist ein vernünftiger Weg, sich dieser wichtigen, aber komplexen Herausforderung anzunähern", sagt Audi-LMP1-Leiter Chris Reinke auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com'. Die FIA genehmigt den Teams gewisse Freiheiten in der Frühphase nach Einführung der komplexen Antriebe.

Strafen: Einmal Vollgas bleibt ungesühnt

Wer zum zweiten Mal zu viel ERS-Energie abfeuert, wird zur Durchfahrtsstrafe gebeten, sollten weitere solcher Verstöße folgen, dann gibt es Stop-and-Go-Strafen. Wer in einer Runde zu viel Treibstoff verbrennt, der hat zwei Runden lang Zeit, dieses durch geringeren Verbrauch wieder auszugleichen. Gelingt dies nicht, dann bitten die Regelwächter ebenfalls zu Strafen in die Box. Vergehen im Qualifying werden mit der Streichung der Rundenzeit bedacht.

"Aus meiner Sicht ist das Strafensystem fair und anwendbar", erklärt Reinke. "Es ist klar strukturiert, logisch aufgebaut und transparent gestaltet. Wichtig ist auch, dass es rechtzeitig zur Verfügung steht, sodass sich jeder Teilnehmer darauf vorbereiten kann. Analog zur Komplexität der eingesetzten Technologie ist die konkrete Anwendung später sicher eine große Herausforderung und wird entsprechend gewöhnungsbedürftig sein", meint der Audi-Rennleiter in der WEC.

Interessanter Punkt aus dem Strafenkatalog: Alle Verstöße gegen die Vorgaben bezüglich Energie und Treibstoff bleiben im Training ohne Konsequenzen. Da können die Teams Gas geben ohne Ende und auch das letzte Joule aus dem Hybrid holen. "Diese Entscheidung ist absolut sinnvoll, denn im Training haben wir eine ganz andere Situation", findet Chris Reinke diesen Ansatz der FIA richtig. Von einem übermäßigen Treibstoffeinsatz im Training hätte ohnehin niemand etwas.

Simulation Rundenzeit Le Mans LMP1

Die Hersteller sollen ihre Rundenzeiten in Le Mans simulieren Zoom

"Hier werden verschiedene Parameter für den Renneinsatz abgeglichen, also liegt es in unserem ureigenen Interesse, dies auch in Sachen Energieverbrauch zu tun. Um uns auf alle Eventualitäten vorzubereiten, erzeugen wir im Training zu Testzwecken mitunter auch ungewöhnliche Situationen oder Vorgänge, was eine Straffreiheit rechtfertigt", meint der erfahrene Audi-Ingenieur. Insgesamt wird sich die Szene vorsichtig in das neue WEC-Jahr mit all den neuen Regeln hineintasten.

Freiwillige Strafe bei Auffälligkeiten

Auch für ACO und FIA ist der Schritt in die neue Saison eine Reise in ein unbekanntes Land. Man versucht mit allen Mitteln, sich vorab ein Bild zu verschaffen. Die LMP1-Hersteller wurden aufgefordert, eine Le-Mans-Runde mit ihrem neuen Fahrzeug möglichst genau zu simulieren (siehe Bild oben links). Man möchte damit nicht nur die Neugier befriedigen und schauen, ob die Rundenzeiten an der Sarthe tatsächlich kürzer werden. Der eigentliche Hintergrund ist die Einstufung.

FIA und ACO wollen vor allem wissen, welchen Einfluss die neuen ERS-Anlagen auf die Rundenzeit in Le Mans haben werden. Audi, Porsche und Toyota sollen daher die Rundenzeit beim optimalen Betrieb des Fahrzeuges mit ERS errechnen, und jene Rundenzeit, die im gleichen Fahrzeug bei unverändertem Setup ohne ERS zustande käme. Bislang geht die FIA davon aus, dass ein Megajoule zusätzliche ERS-Energie etwa eine halbe Sekunde Rundenzeit bringen wird.

Freiwillige Strafe LMP1 Le Mans

Wessen spezifischer Verbrauch auffällig ist, darf zu einer Strafe hereinkommen Zoom

Auf Grundlage der von den Herstellern errechneten Rundenzeiten wird die FIA die endgültigen Einstufungen für Le Mans 2014 festlegen. Kuriose Regelung beim Rennen an der Sarte: Sollte dort plötzlich eines der Werke der Konkurrenz signifikant in Sachen Energieeffizienz überlegen sein, so bietet man zunächst das das freiwillige Absitzen einer Stop-and-Go-Strafe an (Bild rechts). Geht der betroffene Hersteller nicht darauf ein, müssen sich die Kommissare ein anderes Vorgehen überlegen...