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  • 11.06.2016 12:59

Bahnrad-Champ Chris Hoy: Le Mans größer als der Motorsport

Der sechsfache Bahnrad-Olympiasieger startet bei den 24 Stunden von Le Mans 2016 in der LMP2-Klasse - Im Interview spricht er über seinen Kindheitstraum

(Motorsport-Total.com) - Am kommenden Wochenende erfüllt sich ein weiterer Lebenstraum von Chris Hoy, dem sechsmaligen Olympiasieger im Bahnradrennen. Nur zwei Jahre nach dem Beginn seiner zweiten Karriere als Autorennfahrer wird der Schotte bei den 24 Stunden von Le Mans in der LMP2-Klasse starten. Hoy pilotiert zusammen mit Andrea Pizzitola und Michael Munemann einen Ligier JS P2 mit Nissan-Motor des Algarve-Pro-Racing-Teams.

Titel-Bild zur News: Chris Hoy

Vom Rennrad in den LMP2-Boliden: Chris Hoy startet bei den 24 Stunden in Le Mans Zoom

2014 debütierte die Bahnrad-Legende in der britischen GT-Meisterschaft und wird seitdem von Nissan unterstützt. Im vergangenen Jahr gewann der 40-Jährige die LMP3-Kategorie der European Le-Mans-Series (ELMS) mit dem Team LNT. Dabei gelangen ihm drei Saisonsiege. Als Belohnung durfte er im November 2015 erstmalig ein LMP2-Auto testen. Was er sich für seinen ersten Start bei den legendären 24 Stunden von Le Mans vorgenommen hat, weshalb ihm die Strecke Respekt einflößt und über seinen Weg vom Radrenn-Olympia-Champion zum Le-Mans-Starter spricht Hoy im ausführlichen Interview:

Frage: "Wie bist du überhaupt auf die 24 Stunden von Le Mans gekommen?"
Chris Hoy: "Es ist eines dieser Ereignisse, von dem jeder schon gehört hat und das jeder kennt, auch wenn er sonst nichts mit Motorsport am Hut hat. Es ist fast größer als der Motorsport selbst und wird auf der ganzen Welt beachtet. Als Kind besaß ich eine elektrische Autorennbahn und ich erinnere mich, dass ich als Sechsjähriger meinen Vater einmal über eines dieser Autos gefragt habe - und er meinte, es sei eines, das bei den 24 Stunden von Le Mans fuhr.

Es ist ein einzigartiges Erlebnis, bei dem man sich als Amateur bei einem globalen, international anerkannten sportlichen Wettkampf messen kann. Mir fällt jedenfalls nichts anderes ein, wo man gleichzeitig gemeinsam mit den besten Sportlern der Welt antreten kann. In der Hinsicht ist es einzigartig - und so sehe ich es als riesige Herausforderung, der ich mich sehr gerne stellen will."

Keine Gedanken an Platzierung oder Podium

Frage: "Vergangenes Jahr hast du bereits ein LMP3-Auto in Le Mans getestet. Was hast du dabei mitgenommen?"
Hoy: "Es ist einfach eine Strecke, die sich grundlegend von allen anderen unterscheidet, die ich seither - oder überhaupt jemals - gefahren bin. Sie stellt enorme Anforderungen an das Auto und an den Fahrer, aber ich habe es richtig genossen. Bei meinem LMP3-Test war es ein sehr, sehr nasser Tag, das Wetter war miserabel, aber ich hatte eine tolle Zeit und kann es gar nicht mehr erwarten, dort wieder zu fahren. Dort zu testen ist das eine, ein Rennen zu fahren aber eine komplett andere Sache. Ich freue mich riesig auf diese Herausforderung."

Frage: "Was würde dir ein Erfolg in Le Mans, zum Beispiel eine Podiumsplatzierung, bedeuten?"
Hoy: "Es klingt wie eine Floskel, aber ich denke überhaupt nicht über Ergebnisse oder Platzierungen nach. Alles, womit ich mich beschäftige, ist, wie ich den bestmöglichen Job hinbekomme. Immer wenn ich im Rennauto sitze, lautet der Plan, bis ans Limit meiner Fähigkeiten zu gehen und nicht darüber hinaus - und das Auto heil wieder zurückzubringen. Man muss ins Ziel kommen. Das allein ist schon eine riesige Herausforderung - mal abgesehen vom Racing an sich. Wenn man in Tagträume verfällt, etwa darüber, das Rennen zu gewinnen oder über ein Podium, dann lenkt dich das nur von deiner Arbeit ab."


Teaser: 24 Stunden von Le Mans 2016

Anheizer für die 84. Auflage der 24 Stunden von Le Mans am 18./19. Juni dieses Jahres

Hoy beeindruckt: Intensität im Auto kaum nachvollziehbar

Frage: "Vergleichen wir mal das Training eines olympischen Radrennfahrers mit dem eines Spitzen-Autorennfahrers. Was sind die Unterschiede?"
Hoy: "Die körperlichen Anforderungen an einen Rennfahrer sind viel höher, als die meisten Leute glauben. Du musst sehr fit sein - wenngleich die Physis im Vergleich zu meiner Karriere als Radrennfahrer nicht allein entscheidend ist. Da war Fitness alles. Beim Motorsport ist es 50:50 - einerseits musst du die körperlichen Voraussetzungen haben, auf der anderen Seite aber auch das Können und die Fähigkeit, dich zu konzentrieren und Fehler zu vermeiden. Das entscheidet über Sieg oder Niederlage.

Als ich mit dem Motorsport begann, konnte ich es kaum glauben, wie müde ich nach einem Rennen war. Es war kein körperlicher Schmerz, kein Muskelkater oder so, sondern ich war regelrecht ausgepowert. Kein Wunder: Du musst schließlich für zwei Stunden oder länger die Konzentration enorm hochhalten. Nach einem Rennen in der britischen GT-Serie bin ich einmal aus dem Auto ausgestiegen und meine Augen waren komplett blutunterlaufen. Ich stellte fest, dass ich das ganze Rennen über kaum einmal geblinzelt hatte und meine Augen die ganze Zeit weit aufgerissen waren, deshalb waren sie so rot.

Wenn man sich Onboard-Videos ansieht, dann erfasst man die ganze Intensität des Rennfahrens gar nicht. Vor dem Bildschirm bekommt kein Zuschauer einen Eindruck, wie intensiv es im Auto ist. Es geht mir auch als Fahrer so: Wenn du nach einem Stint die Onboard-Aufnahmen davon siehst, wirkt es nicht annähernd so beeindruckend wie im Auto selbst. Deshalb ist es schwer, Außenstehenden zu erklären, wie unglaublich intensiv das Erlebnis im Fahrersitz ist."

Frage: "In deiner Radrenn-Karriere drehte sich alles um die großen Sprint-Events. Jetzt beim Motorsport geht es auf die Langstrecke. Macht das einen Unterschied in deiner Herangehensweise aus?"
Hoy: "Die Ähnlichkeiten liegen darin, dass es bei beidem sehr wichtig ist, sich zu konzentrieren und sich nicht mit Dingen zu beschäftigen, die schiefgehen könnten - Unfälle oder Probleme etwa. Du denkst nur über das nach, worüber du selbst die Kontrolle hast. So habe ich das auf dem Rennrad auch gemacht.


24h Le Mans Vortest

Der große Unterschied beim Autorennen ist, dass du das Rennen nicht in der ersten Kurve gewinnen, sondern nur verlieren kannst. Da geht es um Kontrolle und um das Verständnis, wann du dein Manöver machen kannst. Auf dem Rennrad ist das einmalige Entscheidung - eine, die in einer Zehntelsekunde getroffen werden muss: Entweder Du machst dein Überholmanöver, oder du lässt es.

Im Auto gibt es schon auch solche Momente, aber vor allem musst du verstehen, dass es so was wie den langfristigen Plan gibt. Es gibt Rennen, bei denen man sogar mal bei einer Schlacht nachgeben muss, um den Krieg zu gewinnen. Wenn du da zu sehr die Linie überschreitest und ein Fehler passiert, ist das ganze Rennen augenblicklich zerstört. Es geht also darum, die Kontrolle zu behalten und ein großer Teil davon ist, über den Moment hinaus zu denken."