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Amateur-Fahrer in Le Mans: Fluch oder Segen?
Nach dem Davidson-Crash wird heiß debattiert: Sollten die Amateur-Fahrer aus Le Mans verbannt werden oder sind ihre Sponsorengelder zu wichtig?
(Motorsport-Total.com) - Der Verlauf der 24 Stunden von Le Mans am vergangenen Wochenende hat die Diskussion über Amateur-Fahrer in der Langstrecken-WM (WEC) und insbesondere beim Klassiker an der Sarthe wieder einmal angeheizt. Vor allem der Crash zwischen Anthony Davidson (Toyota/LMP1) und Pierguiseppe Perazzini (AF-Corse-Ferrari/GTE-Am) erhitzte die Gemüter.

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Die Kollision zwischen Davidson und Perazzini hätte anders ausgehen können
Davidson wollte den italienischen GTE-Am-Piloten beim Anbremsen der Mulsanne-Kurve überholen, doch Perazzini machte die Lücke zu und schickte den Toyota unabsichtlich in einen Überschlag, der spektakulär in der Leitplanke endete. Der britische Ex-Formel-1-Pilot, zu jenem Zeitpunkt an aussichtsreicher dritter Stelle liegend, zog sich dabei eine Fraktur zweier Rückenwirbel zu und konnte erst heute im liegenden Zustand aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Perazzini gesteht Schuld nicht ein
Perazzini, der seine Rennfahrer-Karriere 1996 in der Ferrari-Challenge begann, ist sich aber keiner Schuld bewusst: "Ich habe ihn schon im Rückspiegel gesehen, aber es ist sehr schwierig, die Entfernung abzuschätzen", wird der Amateur von 'auto motor und sport' zitiert. "Er ist mir einfach in die Rennlinie reingefahren und hat mich seitlich getroffen. Das war schon so spät in der Bremszone vor der Kurve, da konnte ich nicht mehr reagieren."
Rückendeckung erhält er von GTE-Pro-Pilot Stefan Mücke: "So etwas ist immer eine schwierige Situation. Ich war im vergangenen Jahr im Prototyp, jetzt sitze ich im GT-Auto. Mit einem GT-Auto ist man an jener Stelle schon voll in der Bremsphase und kann eigentlich gar nichts mehr machen. Ich würde die Situation mal als Rennunfall deuten. Der GT-Fahrer konnte kaum woanders hin und Davidson war mit seiner Entscheidung, dort noch vorbeizugehen, etwas spät dran."
Der allgemeine Tenor im Fahrerlager war freilich ein anderer. Die meisten Experten sehen die Schuld eindeutig bei Perazzini, so auch Marco Werner: "Ein Blick in den Rückspiegel hätte eigentlich bedeutet: 'Lass die Tür auf, lass den Sportwagen innen durch.' Das passiert an der Stelle pro Runde x Mal, ein ganz normaler Vorgang. Wenn ich dann wiederum die Aussage des Ferrari-Fahrers höre, dass man dort nicht überholen kann, dann muss man sagen: So einer gehört nicht hierher."
Übersicht im Verkehr entscheidend
Über den Kamm scheren könne man die Amateure aber nicht: "Es gibt auch Profis, die mal nicht in den Spiegel schauen", weiß Werner. "Es gibt aber ganz grobe Unterschiede. Ich bin jahrelang in der ALMS gefahren und da kanntest du deine Pappenheimer und hast dich immer gefreut, wenn du ein Flying-Lizard-Auto gesehen hast, weil du wusstest, dass da Jörg Bergmeister drin sitzt, der die Situation ganz anders einschätzt. Er ist ein Profi, der dir Platz machen kann."
Kollision zwischen Davidson und Perazzini
Alexander Wurz nickt zustimmend: "Ich hatte mal einen ähnlichen Unfall mit einem Profi - es heißt nicht immer, dass ein Amateur schuld sein muss." Nicolas Lapierre wirft ein: "Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den LMP1-Autos und den GT-Fahrzeugen ist enorm hoch. Wenn man dann noch Amateure in den GT-Autos hat, dann wird der Unterschied sogar noch größer. Man braucht solche Piloten, um das Feld voll zu bekommen, aber es ist eine schwierige Situation."
Rundenzeiten-Limit als Lösungsansatz?
"Vielleicht sollte man darüber nachdenken, dass diese Piloten eine gewisse Rundenzeit schaffen müssen, um teilnehmen zu dürfen", regt er an. "Der Unterschied zwischen deren Autos und unseren LMP1 wird immer noch größer. Man muss sich überlegen, wie man so etwas in Zukunft löst." Aber Werner zweifelt: "Wenn einer eine gute Rundenzeit fahren kann, bedeutet das noch lange nicht, dass er Übersicht im Verkehr hat, dass er nach hinten schaut."
"Wenn du unterschiedliche Klassen in ein Rennen schickst", wirft Wurz in die Diskussion ein, "müsstest du hingehen und die Frage stellen: Sollen wir überhaupt unterschiedliche Klassen fahren? Aber der ganze Event, die ganze Serie funktioniert und finanziert sich nur durch die Masse und nicht durch fünf Werksautos. Das ist eine sehr schwierige Frage, wo es um den Ursprung dieses Sports geht. Sehr schwierig, das kann ich nicht beantworten."
Denn die meist wohlhabenden Gentleman-Driver sind es, die die kleinsten Teams im Le-Mans-Starterfeld finanzieren und damit zum Beispiel auch spektakuläre Gastauftritte wie jenen von NASCAR-Star Brian Vickers ermöglichen. Genau diese Vielfalt ist es, die das 24-Stunden-Rennen von Elite-Rennserien wie der Formel 1 unterscheiden. "Die Amateur-Fahrer gehören hierher, Le Mans hat immer davon gelebt", hält der ehemalige Le-Mans-Sieger Werner fest.
Die richtige Mischung macht's
"Wenn wir hier nur mit Amateuren fahren, hätte es nicht mehr den Flair", sagt er. "In den 60er- und 70er-Jahren waren hier die großen Namen, die Formel 1 und nebenbei noch Langstrecken-Rennen gefahren sind. Deshalb glaube ich nicht, dass man in Le Mans nur Amateure sehen will. Man will große Namen sehen, aber es gehört genauso der Amateur dazu. Wir wollen ja kein Feld sehen, das nur aus sechs LMP1-Autos besteht. Das macht den Langstreckensport aus."

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AF-Corse-Ferrari-Amateur Perazzini löste die heftige Kollision mit Davidson aus Zoom
Selbst so mancher LMP1-Profi sieht trotz des Rennverlaufs am vergangenen Wochenende keinen akuten Handlungsbedarf. Einer relativiert gegenüber 'Motorsport-Total.com': "Manchmal trifft es dich selbst, manchmal trifft es einen anderen." Getreu des Grundsatzes der ausgleichenden Gerechtigkeit also. Aber nicht auszudenken, welche Diskussionen man jetzt führen müsste, hätte Davidsons Crash im Rollstuhl geendet...
"So ist es halt, so sind die Regeln", winkt Oak-LMP1-Pilot Franck Montagny ab. "Es passiert dauernd, in jedem Rennen. Dagegen kann man nicht viel machen. Würde man die Gentlemen-Driver ausschließen, würde man vielen Teams die Lebensgrundlage entziehen. Die sind Teil des Sports, Teil dieses Rennens. Das wäre so, als würde man die Fans ausschließen. Das ist der Deal. Manchmal ist es gut, manchmal nicht."

