Grello-Crash: Aston-Martin-Fahrer gibt neue Einblicke
Rolf Scheibner bezieht Stellung zu den Vorwürfen von Kevin Estre, dass er zu viele blaue Flaggen übersehen habe - Der Dörr-Pilot gibt noch einmal neue Einblicke
(Motorsport-Total.com) - Darauf kann sich niemand vorbereiten: Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, kann jeden unfreiwillig berühmt machen. Nach den 24 Stunden vom Nürburgring 2025 kennt plötzlich ein breites Publikum den Namen Rolf Scheibner. Der Aston-Martin-Pilot klärt nun die letzte offene Frage aus Kevin Estres Vorwürfen: Hat er tatsächlich zu viele blaue Flaggen missachtet?

© Jochen Merkle
Rolf Scheibners 20. 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring endete auf dem Dach Zoom
Der 56-Jährige war sich zunächst unsicher, ob er sich überhaupt äußern solle. Anders als die Profifahrer hat er nie ein Medientraining absolviert, möchte niemanden angreifen. "Ich möchte betonen, dass ich voll und ganz hinter dem Team-Statement stehe. Auch hege ich großen Respekt vor der Schnelligkeit von Kevin und dem Team Manthey allgemein", stellt er im Gespräch mit Motorsport-Total.com klar.
Trotzdem will er den Vorwurf von Kevin Estre nach dem Rennen nicht unkommentiert lassen. Estre hatte dem Dörr-Piloten zur Last gelegt, drei blaue Flaggen ignoriert zu haben - eine zentrale Frage bei der rennentscheidenden Kollision mit dem Manthey-EMA-Porsche #911 (Estre/Güven/Preining) "Grello", der zur 100-Sekunden-Strafe gegen den legendären Porsche führte.
Scheibner zeigt Verständnis für die emotionalen Aussagen Estres unmittelbar nach dem Rennen, möchte sie aber richtig einordnen.
Erste blaue Flagge war nicht sichtbar
"Die erste blaue Flagge, die ich wirklich wahrnehmen konnte, war vor der 'Spiegelkurve'. Im Kallenhard wurde zwar eine geschwenkt, die kam aber so spät, dass ich sie nicht wahrnehmen konnte", sagt Scheibner. Die besagte "Spiegelkurve" ist die schnelle Schikane vor der Dreifach-Rechts, wo Überholen faktisch unmöglich ist.
"Wir haben meine Onboard-Aufnahmen ausgewertet: Die Flagge war exakt 0,4 Sekunden sichtbar. Aus meiner linken Sitzposition ist das ein Wimpernschlag. Ich war da schon im Einlenkpunkt, habe den Scheitelpunkt anvisiert - ich konnte sie schlicht nicht sehen", sagt er weiter.
Auch die Onboard-Aufnahmen von Raffaele Marciello untermauern das: Die Flagge an Posten 107 wurde erst geschwenkt, als der Aston Martin Vantage GT4 bereits auf ihrer Höhe war. Der Folgeposten 108, der sich innen am Kurvenausgang von Kallenhard befindet, zeigte gar keine Flagge.
Die rennentscheidende Kollision mit allen Onboards
Estre dürfte die Flagge deutlich besser erkannt haben als Scheibner - hier liegt offenbar der Ursprung des Vorwurfs, den der Porsche-Werksfahrer in der Pressekonferenz nach dem Rennen erhob.
"Die nächste blaue Flagge [an Posten 109] hätte ich gar nicht mehr gebraucht, weil ich die Fahrzeuge hinter mir schon wahrnahm", so Scheibner weiter. Hinter ihm: der "Grello", der Rowe-BMW #98 (Farfus/Krohn/Marciello/van der Linde) von Raffaele Marciello und der überrundete Abt-Lamborghini #27 (Pepper/Bortolotti/Juncadella) mit Jordan Pepper am Steuer.
Immer auf der Ideallinie
Er entschloss sich, das Fahrzeugpaket hinter der "Miss-Hit-Miss" passieren zu lassen: "Da es sich um einen Zug von Fahrzeugen handelte, war mein Plan, sie hinter der Dreifach-Rechts durchzulassen, wo es relativ gefahrlos für alle möglich ist."
Weil er die Dreifach-Rechts mittig anfuhr - die klassische Ideallinie an dieser Stelle - entstand rechts ein Raum, der wie eine Einladung wirkte. Doch wie der Name "Miss-Hit-Miss" andeutet, wird dort nur der zweite Scheitelpunkt getroffen. Es war also keineswegs ein Signal, dass er Platz macht.
"Leider ist außen bleiben in dieser Kurve keine Option - schon gar nicht beim 24-Stunden-Rennen. Dort liegt viel Dreck, die Fahrbahn fällt auf der linken Seite leicht ab. Ich konnte nur Berechenbarkeit schaffen, indem ich auf der Ideallinie bleibe, wie es auch in der Fahrerbesprechung erläutert wurde", erklärt Scheibner.

© Gruppe C Photography
Der Aston Martin Vantage GT4 des Teams Dörr Motorsport, als er noch ganz war Zoom
Da Estre sich schon zum Überholen entschieden hatte, wäre der Unfall höchstens noch zu vermeiden gewesen, indem der "Grello" komplett auf die Wiese gefahren wäre, was in dem Fall aber ein hohes Risiko für alle Beteiligten bedeutet hätte. Auch musste die Entscheidung instinktiv in Hundertstelsekunden getroffen werden. So kam es zum Kontakt.
Klärendes Gespräch mit Estre
Am Dienstag nach dem Rennen haben sich beide Fahrer telefonisch ausgetauscht: "Wir haben uns miteinander gesprochen, und er hat von einem Missverständnis geredet. Er dachte, ich würde außen bleiben und nicht auf der Ideallinie weiterfahren. Es war ein gutes und anständiges Gespräch."
Hinzu kommt ein technischer Aspekt: Die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen GT3 und GT4 ist an dieser Stelle geringer, als viele annehmen. Scheibner spricht von 15 bis 20 km/h - auch das beeinflusste seine Entscheidung, die Kurve noch vollständig zu fahren, bevor er Platz machen wollte.
Er weiß durchaus, wovon er spricht. Rolf Scheibner ist seit 2004 auf der Nürburgring-Nordschleife aktiv. In dieser Zeit holte er mehrere Klassensiege und fuhr er alles vom BMW 318iS bis hin zum legendären "Zetti", dem BMW Z4 GT3 von Peter Posavac, auf dem er beim 24-Stunden-Rennen 2019 antrat.
Er ist darüber hinaus regulärer Pilot auf dem Ring-Taxi von Genesis und fährt damit rund 80 Runden Nordschleife pro Monat. Zuvor war er Instruktor in der Fahrausbildung im Industriepool der Automobilindustrie., die die Nürburgring-Nordschleife für Testfahrten nutzt.
Ein abschließender Hinweis in eigener Sache: Unsere ursprüngliche Meldung, wonach es Scheibners 15. Start beim 24h-Rennen gewesen sei, war unvollständig. Tatsächlich war es bereits sein 20. Einsatz. Grundlage unserer Angabe war ein nicht vollständiger Eintrag in der DriverDB. Sein erster Start datiert bereits aus dem Jahr 2004 und nicht aus 2008, wie dort aufgeführt.


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