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Erklärt: Warum Heckflügel mittlerweile "hängen" und nicht "stehen"

Eine heimliche Revolution hat seit 2009 zu neuen Heckflügel-Designs geführt - Mit dem Porsche 911 GT3 R wechselt der letzte Mohikaner auf den "Schwanenhals"

(Motorsport-Total.com) - Die 12 Stunden von Bathurst 2023 werden ein leises "Servus" mit sich bringen: Beim letzten Auftritt von GT3-Boliden in 2022er-Spezifikation wird sich mit dem Porsche 911 GT3 R ein mehr als ein halbes Jahrhundert altes Design aus der Welt des internationalen Spitzenmotorsports verabschieden: Der stehende Heckflügel.

Titel-Bild zur News: Mit dem Porsche 911 GT3 R hat der letzte GT3-Bolide auf einen hängenden Flügel gewechselt

Mit dem Porsche 911 GT3 R hat der letzte GT3-Bolide auf einen hängenden Flügel gewechselt Zoom

Seit den ersten Experimenten in den 1960er-Jahren war es lange Zeit ein ungeschriebenes Gesetz, dass Heckflügel auf Stelzen standen. Selbst in den verrückten Aero-Experimenten in der Formel 1 bis 2008 wurde das Prinzip des auf Stützen montierten Heckflügels nie hinterfragt. Mittlerweile jedoch "hängen" die Flügel überall an ihren Stelzen. Der Porsche 911 GT3 R der Generation 992 führt diese Lösung nun ebenfalls ein.

Somit stellen sich zwei Fragen: Warum hat der stehende Heckflügel ausgedient? Und warum hat Porsche so lange gewartet, um auf die Lösung der Konkurrenz umzusteigen? Die Antwort auf die erste Frage kann man in jeder Länge erörtern. Die kürzeste Version wäre: aerodynamischer Vorteil durch besseren Luftstrom an der Unterseite des Flügels.

Die Unterseite macht den Unterschied

"Die Effizienz des Flügels wird dadurch etwas gesteigert. Ich nehme weniger Fläche weg. Wenn ich einen stehenden Flügel habe, dann habe ich an der Unterseite mehr Fläche, die bedeckt ist, die ich nicht nutzen kann. Wenn ich einen hängenden Flügel habe, dann ist er effizienter", erklärt Sebastian Golz, Projektleiter Porsche 911 GT3 R, gegenüber 'Motorsport-Total.com'.

Die lange Version ist natürlich deutlich komplexer. Die ersten Autos mit Schwanenhals-Aufhängung waren zwei LMP1-Boliden der Saison 2009: der Audi R15 TDI und der Acura ARX-02a. Die beiden Hersteller hatten sich denselben Windkanal geteilt und waren so zum selben Schluss gekommen. Lola/Aston Martin entwickelte ebenfalls 2009 eine solche Lösung.

Acura und Audi führten den hängenden Flügel 2009 im Zuge der LMP1-Heckflügelverkleinerung ein

Acura und Audi führten den hängenden Flügel 2009 im Zuge der LMP1-Heckflügelverkleinerung ein Zoom

Stein des Anstoßes war eine Verringerung der Breite des Heckflügels bei den Le-Mans-Prototypen von 2000 auf 1800 Millimeter zur Saison 2009. Der ACO hofft so, nach der Beinahe-Katastrophe beim LMS-Rennen in Monza 2008, die Geschwindigkeiten vorübergehend zu verringern, bis die bis heute bestehenden langen Flossen das Problem des Abhebens bei der Seitwärtsfahrt unterbinden sollten.

Um den Abtriebsverlust auszugleichen, mussten die Flügel im Jahr 2009 steiler angestellt werden. Jedoch führte das zu einem neuen Phänomen: Auf der Heckflügelunterseite konnte der Luftstrom im Bereich der Aufhängungen am nun steiler ansteigenden Flügelblatt nicht mehr anliegen.

Manthey-Porsche #911

Der Porsche 911 GT3 R (991.2) vertrat noch die klassische Linie, aber mit luftstromoptimierten Stelzen Zoom

Die Folge war ein Strömungsabriss im Bereich der zwei Stelzen. Hinter dem Flügel waren in CFD-Simulationen deutliche "Tropfen" aus verwirbelter Luft in der Heckansicht zu erkennen. Das kostete große Mengen Abtrieb.

Auf den Geraden war es zwar durchaus erwünscht (der F-Schacht in der Formel 1 von 2010 machte sich auf Geraden ein ähnliches Prinzip zunutze), doch der Effekt war zu gering, um den Abtriebsverlust auszugleichen. Durch den Wegfall von 20 Zentimetern Flügel brach der Abtrieb um 34 Prozent ein.

Audi und Acura verlegten daher die Aufhängungen der Flügelplatte nach oben. Jetzt standen nur noch die Stelzen des Flügels im Weg, die aber kaum mehr einen messbaren Effekt hatten. Der Luftstrom lag auch auf der Unterseite des Flügels wieder sauber an. So konnte schon in der ersten Iteration der Verlust des Abtriebs auf 15 Prozent gegenüber 2008 beschränkt werden.

Audi hat bei seinen Modellen inzwischen eine noch extremere Lösung eingeführt

Audi hat bei seinen Modellen inzwischen eine noch extremere Lösung eingeführt Zoom

Die neue Philosophie debütierte 2009 im Prototypensport und verbreitete sich in der Folge allmählich im ganzen Motorsport. Bei GT-Fahrzeugen und Tourenwagen erfolgte die Umstellung langsamer als bei Monoposto-Fahrzeugen und Prototypen, weil die Aerodynamik hier eine untergeordnete Rolle spielt und die Balance of Performance (BoP) ohnehin mit ihren Performance-Fenstern alles regelt.

Stock-Car-Serien widersetzen sich dem Trend

Dennoch war der Siegeszug des Schwanenhalses nicht mehr aufzuhalten. Nach und nach machten sich auch Tourenwagen und GT-Boliden den Vorteil zunutze, dass es keine "luftleere Zone" mehr unter dem Heckflügel gab - und sei sie noch so klein.

Ein Hersteller hat schon die nächste Stufe gezündet: Bei den aktuellen GT2-, GT3- und TCR-Modellen von Audi ist der Flügel mittlerweile von hinten aufgehängt. Die Stelzen "umklammern" also das Endblatt. Diese Lösung räumt auch noch die letzten Millimeter Stelze vor dem Flügelblatt aus dem Weg.

Die Gen3 der Supercars Australia setzt auf einen stehenden Einheitsflügel

Die Gen3 der Supercars Australia setzt auf einen stehenden Einheitsflügel Zoom

Porsche blieb bis zur letzten Generation des 991 der Philosophie des stehenden Flügels treu. "Gerade wir identifizieren uns sehr mit unseren Straßenprodukten. Die optische Vergleichbarkeit ist sehr wichtig für uns.", erklärt Golz. Das Homologationsmodell für 911 GT3 R und 911 RSR ist der Porsche 911 GT3 RS. Dieser hat erst mit der 992er-Generation einen hängenden Flügel auf der Straße erhalten.

"Der 991 hatte noch einen stehenden Flügel. Dieser war auch Bestandteil unseres erfolgreichen Produkts auf der Rennstrecke. Man sieht, dass es nicht der Schlüsselfaktor ist, ob man erfolgreich ist oder nicht, ob der Flügel hängt oder steht." Dennoch steht für ihn fest: "Der stehende Flügel hat jetzt ausgedient."

Oder vielleicht noch nicht ganz: Als große Ausnahme bleiben die australischen Supercars auch bei ihrer neuen Gen3-Generation bei stehenden Flügeln. Hierbei handelt es sich allerdings um ein Einheitsbauteil, die Hersteller dürfen lediglich die Endplatten nach ihrem Gusto gestalten.

Die Stock Car Pro Series in Brasilien mit ihrem Bananen-Heckflügel

Die Stock Car Pro Series in Brasilien mit ihrem Bananen-Heckflügel Zoom

Auch die Stock Car Pro Series (ehemals Stock Cars Brasil) setzen auf einen stehenden Flügel, allerdings mit einem vorgelagerten Schwanenhals - auch bekannt als Bananen-Heckflügel. Auf nationaler Ebene bleibt der stehende Flügel im Spitzenmotorsport also noch auf absehbare Zeit erhalten.