• 05.05.2010 16:58

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Benzin: Revolution hinter den Kulissen

Shells Lisa Lilley exklusiv: Was sich am Benzinreglement geändert hat, wer die FOFA ist und welche Themen in Zukunft relevant werden könnten

(Motorsport-Total.com) - Das Tanken ist wegen des Nachtankverbots, das für die Saison 2010 wiedereingeführt wurde, in aller Munde, doch über das Benzin, das von diesem Vorgang betroffen ist, spricht kaum jemand. Dabei findet hinter den Kulissen auch in diesem Bereich gerade eine kleine Revolution statt, die wohl noch einige Jahre andauern wird.

Titel-Bild zur News: Shell-Technologiezentrum

Im Shell-Technologiezentrum wird das Formel-1-Benzin entwickelt und abgefüllt

"Das Nachtankverbot kann jeder im TV sehen. Was die Leute aber nicht sehen, ist, dass auch die Benzinspezifikation geändert wurde", erklärt Lisa Lilley, Formel-1-Technologiemanagerin von Ferrari-Partner Shell. Das neue Reglement wurde vom Automobilweltverband FIA abgesegnet und beinhaltet zahlreiche Detailänderungen, die in Summe eine umfassende Reform ergeben. Lilley betont im Interview mit 'Motorsport-Total.com': "Wir sprechen hier von der größten Veränderung der vergangenen 15 Jahre!"#w1#

Tendenz geht zu mehr Effizienz hin

"Dieses Jahr hat es im Benzinbereich Regeländerungen gegeben, in den Jahren davor eher beim Öl. Da bewegt sich immer etwas", erklärt sie. "Wir müssen dabei immer daran denken, was Ferrari erreichen will. Im Moment ist das ein gutes Gleichgewicht zwischen PS-Leistung und Effizienz. In den Jahren davor lag der Fokus mehr auf der reinen PS-Leistung. Wir mussten unser Benzin für dieses Jahr komplett neu entwickeln. Mit der Entwicklung des Benzins, das in Bahrain erstmals verwendet wurde, haben wir Mitte 2009 begonnen."

Klar ist, dass sich ein Unternehmen wie Shell vor allem nach den Wünschen seines Kunden, also Ferrari, richten muss. Ferraris Bedürfnisse wiederum diktiert vor allem das FIA-Reglement im Motorenbereich, das in den vergangenen Jahren immer wieder angepasst wurde. Status quo ist, dass seit 2008 mehr oder weniger herkömmliches (aber für die Formel 1 optimiertes) Tankstellenbenzin mit 5,75 Prozent Bioanteil verwendet werden muss. Seit dieser Saison müssen Firmen wie Shell der FIA auch beweisen, dass der Bioanteil für die kommerzielle Nutzung relevant ist.

"Die FIA will endgültig weg vom Raketenbenzin, das es früher gegeben hat. Alles, was wir in der Formel 1 entwickeln, kommt letztendlich auch unseren Kunden zugute", unterstreicht Lilley. "In den vergangenen vier Jahren wurde die Lebensdauer der Motoren de facto immer erhöht. Das ist besonders für die Schmierstoffe eine Herausforderung, denn ein Schmierstoff, der für mehr Haltbarkeit steht, steht im Normalfall für weniger Leistung. Das ist eine Herausforderung, aber der will sich Shell ganz bewusst stellen. Wir begrüßen es, dass nicht alles beim Alten bleibt, denn sonst könnten wir in dieser Arena keine neuen Technologien erproben."

Lisa Lilley

Lisa Lilley ist bei Shell eine der Verantwortlichen im Technikbereich Zoom

Shell wolle in der Formel 1 "zeigen, dass unser V-Power-Benzin für Leistung steht. Das ist unser Hauptziel, das von Ferrari unterstützt wird. Zweitens ist dieses Jahr aber besonders wichtig, aus jedem Tropfen Benzin das Maximum herauszuholen, weil wir nicht wollen, dass die Ferraris zwei Runden vor Ende des Rennens stehen bleiben." Soweit nachvollziehbar. Aber 2010 kommt durch das Nachtankverbot noch ein weiterer Faktor hinzu, dem bisher seitens der Medien kaum bis wenig Bedeutung beigemessen wurde...

Benzin wird im Rennen heißer als früher

"Drittens", führt Lilley aus, "wird das Benzin dieses Jahr heißer als in der Vergangenheit, weil beim Boxenstopp kein gekühltes Benzin mehr beigemengt werden kann. Noch dazu ist der Benzintank um den heißen Motor herum deutlich größer geworden. Ferrari arbeitet diesbezüglich an einer besseren Installation und an einer besseren Kühlung, während wir versuchen, unsere Produkte für die heißeren Temperaturen robuster zu gestalten. Wir reden da nicht von massiven Temperaturunterschieden im Vergleich zum Vorjahr, aber wir mussten diesen Faktor in Betracht ziehen."

Hinzu kommt, dass sich die fünf Mitglieder der Formula One Fuel Suppliers Association (FOFA; aktive Mitglieder: BP, ExxonMobil, Shell und Total; inaktives Mitglied: Petrobras) darauf geeinigt haben, von einer festgeschriebenen Oktanzahl abzuweichen, "um Flexibilität zu gewinnen", wie Lilley erläutert. Insgesamt sei der Spielraum für die Entwicklung eines Formel-1-Benzins größer geworden, damit auch der Unterschied zwischen den einzelnen Benzinherstellern. Aus diesem Grund wird aus Faktoren wie etwa der Dichte neuerdings ein Staatsgeheimnis gemacht.

¿pbvin|512|2646|shell|0|1pb¿Besonders interessant ist, dass Shell seit Anfang dieser Saison mit der kanadischen Biotechnologiefirma Iogen zusammenarbeitet, die Ethanol und vergleichbare Produkte aus Abfallstoffen gewinnt. Von Iogen wird ein Teil jener 5,75 Prozent Biomaterial an Shell geliefert, die laut FIA-Reglement vorgeschrieben sind. "Wir sind das erste Team, das so etwas macht", sagt Lilley und fügt an, dass die CO2-Emmissionen von Fahrzeugen in Zukunft dank solcher Verfahren um bis zu 90 Prozent gesenkt werden könnten.

Allerdings sind jene 5,75 Prozent Pflichtanteil derzeit noch nicht auf dem gleichen Leistungsniveau wie der Rest der Tankfüllung: "Wir befinden uns da gerade in einem Grenzbereich der Entwicklung, indem wir trotz dieses Bioanteils leistungsneutral bleiben können", erklärt Lilley und gesteht ein, dass der Bioanteil derzeit noch ein eher bremsendes Element ist. Aber: "Mit den nächsten Entwicklungsschritten gelingt es uns vielleicht sogar, in diesem Bereich Leistung zu gewinnen. Wir stellen diesbezüglich intensive Forschungen an."

Zukunftsthemen immer wichtiger

Überhaupt sind Biobenzin und Nachhaltigkeit Themen, die für die Mineralölhersteller immer mehr an Bedeutung gewinnen: "Das ist das Wichtigste, ganz klar", nickt Lilley zustimmend. "Wir müssen die CO2-Emmissionen reduzieren, denn alles, was wir in der Formel 1 entwickeln, sollte auch für den Rest der Welt Fortschritte bringen. Global gesehen sind die CO2-Emmissionen ein bedeutendes Thema, also wird sich die Hardware in der Formel 1 ändern - und damit auch die Produkte, die von uns verlangt werden. Wir haben eigene Forscher, die alles unter die Lupe nehmen, was für die Zukunft relevant sein könnte."

2013 könnte ein komplett neues Motorenformat (Stichwort Weltmotor) eingeführt werden, das aber erst noch definiert werden muss. Welches Benzin dann verwendet werden muss, steht noch in den Sternen. Derzeit könnte man reinen Gewissens einen Kanister Formel-1-Benzin in einen normalen PKW schütten und umgekehrt: "Das Benzin, das wir für Ferrari entwickeln, ist zwar maßgeschneidert für das aktuelle Auto, aber der Formel-1-Ferrari würde auch ebenso gut mit jedem herkömmlichen Shell-Benzin funktionieren. Der einzige Unterschied ist, dass die Leistung marginal geringer wäre", lächelt Lilley.

Die Idee, in Zukunft einfach das Tankvolumen für alle gleich zu beschränken, um ein Wettrennen um mehr Effizienz zu forcieren, sieht sie mit gemischten Gefühlen: "Ich verstehe die Argumente beider Seiten, aber ich persönlich bin dagegen. Es gibt da andere Wege, die meiner Meinung nach sinnvoller wären", so Lilley. "Aber wir werden noch sechs Jahre mit Ferrari zusammenarbeiten. Was in diesen sechs Jahren von uns verlangt wird, werden wir liefern."

Shell-Technologiezentrum

Die Entwicklung des Benzins für die Formel 1 ist eine Wissenschaft für sich Zoom

Übrigens: Shell liefert an Ferrari keineswegs nur das Benzin und die Schmierstoffe, "sondern bis auf die Bremsflüssigkeit so ziemlich jede erdenkliche Flüssigkeit, die für den reibungslosen Betrieb der Fahrzeuge erforderlich ist", erklärt Lilley und verweist auf ein ungewöhnliches Beispiel: "2009 haben wir zum Beispiel eine Kühlflüssigkeit für KERS entwickelt. Diese könnten wir jederzeit wieder aus dem Lager holen, sollte KERS eines Tages wieder eingesetzt werden..."

Folgen Sie uns!

Eigene Webseite?

Kostenlose News-Schlagzeilen und Fotos für Ihre Webseite! Jetzt blitzschnell an Ihr Layout anpassen und installieren!

Folge uns auf Instagram

Folge uns jetzt auf Instagram und erlebe die schönsten und emotionalsten Momente im Motorsport zusammen mit anderen Fans aus der ganzen Welt