• 05.07.2004 10:11

Belastungsprobe in der Formel 1

Lesen Sie, wie sehr das Material in der Formel 1 belastet wird und welche Bauteile wie oft ausgetauscht werden müssen

(Motorsport-Total.com) - In der Formel 1 entscheiden nicht zuletzt die Haltbarkeit und die Zuverlässigkeit des Materials über den Erfolg. Eine Performance an der Belastungsgrenze. Auch für die Sicherheit der Fahrer ist das Material von großer Bedeutung. Und für die Teams spielt die Lebensdauer wichtiger Teile aus Kostengründen eine immer größere Rolle.

Titel-Bild zur News: Giancarlo Fisichella

Zu viel des Guten: Fisichella rumpelt über den Randstein, die Aufhängung ist kaputt

Manchmal reduziert sich die Formel 1 auf ein imposantes Zahlenspiel. Wenn ein Rennwagen beim Großen Preis von Großbritannien auf dem superschnellen Kurs von Silverstone nach der Start-Ziel-Geraden mit Tempo 300 auf die berühmte 'Copse'-Kurve zurast, gleicht der Bolide einem tosenden Vulkan. Bei 19.000 Umdrehungen pro Minute legen zum Beispiel die Kolben im Motor innerhalb einer Sekunde 25 Meter Weg zurück, 550 Liter Luft werden angesaugt, etwa 150.000 Motor- und Fahrzeugdaten erfasst und verarbeitet.#w1#

Am Bremspunkt greifen die Bremsen und die Bremsscheiben erhitzen innerhalb einer Sekunde auf 1.000 Grad Celsius. Das Getriebe muss trotz großer Erschütterungen zuverlässig in die Gänge kommen: Insgesamt gibt es pro Rennen rund 2.600 Schaltvorgänge, auf besonders kurven-reichen Strecken wie zum Beispiel Monaco wird sogar 3.100 Mal geschaltet.

Das gesamte Fahrzeug liefert eine Performance im Grenzbereich. Jedes Teil ist extremen Belastungen ausgesetzt. Und der Fahrer muss darauf vertrauen können, dass alle Teile diese Belastungen auch aushalten.

Teure Hightech-Materialien wie Karbon, Magnesium oder Titan sorgen dafür, dass in der Formel 1 überhaupt solche Werte erreicht werden können. So bestehen etwa 60 Prozent eines Formel-1-Autos aus dem Verbundwerkstoff Karbon. Alle drei Werkstoffe haben den Vorteil, leicht und gleichzeitig ungeheuer belastbar zu sein.

Trotzdem steht nach dem Grand Prix der große Kundendienst auf dem Plan. Alle Komponenten werden durchgecheckt - und viele haben bereits ausgedient. Die Kupplung beispielsweise muss nach jedem Rennen ersetzt werden. Aus gutem Grund: Damit die Reifen beim Start nicht haltlos durchdrehen, schließt die Kupplung nicht völlig. In wenigen Zehntelsekunden bauen sich Temperaturen von bis zu 1.000 Grad auf - die Kupplungsscheiben aus Kohlefaser beginnen zu glühen. Das Getriebegehäuse aus Titan ist zwar so stabil, dass es oft eine ganze Saison hält, doch die Zahnräder und Lager im Innern werden - sicher ist sicher - nach jedem Rennen ausgetauscht.

Auch der Motor mit seinen rund 5.000 Einzelteilen wird nach einem Rennwochenende zumindest einer umfangreichen Generalüberholung unterzogen. Aus Kostengründen hat die FIA zu Beginn dieser Saison das Reglement geändert und bestimmt, dass ein Team pro Einsatzfahrzeug während des gesamten Grand-Prix-Wochenendes nur noch einen Motor verwenden darf.

Dieses Triebwerk muss also nicht nur im Rennen, sondern auch im Freien Training und im Qualifying funktionieren und somit - im Vergleich zu den Vorjahren - etwa die doppelte Distanz bewältigen. Früher gab es sogar spezielle Qualifyingmotoren, die nur für die Jagd nach dem bestmöglichen Startplatz gebaut wurden und von denen man wusste, dass sie eine komplette Renndistanz nie und nimmer durchhalten würden.

Auch in der Serie hat der Trend zur Langlebigkeit von Fahrzeug und Komponenten zu längeren Wartungsintervallen geführt - sehr zur Freude der Autofahrer. Moderne elektronische Systeme helfen zudem, Verschleißerscheinungen rechtzeitig und zielgenau zu erkennen. Ein solches System ist allerdings noch nicht bei allen PKWs eingeführt.

Auch wenn ein Autofahrer sein Fahrzeug nicht, wie in der Formel 1, nach jeder längeren Ausfahrt komplett zerlegen muss, so rät Dr. Harthmut Wolff vom 'Allianz Zentrum für Technik' dennoch: "Regelmäßige Kontrolle und Werkstattbesuche dienen nicht nur der Zuverlässigkeit, sondern insbesondere der Sicherheit. Schließlich sind die wichtigsten Verschleißteile im PKW Reifen und Bremsen."

Routinemäßig ausgebaut und ersetzt werden in der Formel 1 nach einem Rennen die Stoßdämpfer, die Bremsscheiben und -beläge sowie die Abgasanlage mit dem Auspuff, da die Abgastemperaturen von rund 950 Grad Celsius zum Verschleiß beitragen. Sogar der Unterboden muss für jedes Rennen neu produziert und das Chassis neu lackiert werden. Übrigens unterliegt sogar die Kluft der Piloten der Haltbarkeitsdiskussion: Als wichtiger Teil des Sicherheitskonzepts muss der Overall stets höchsten Ansprüchen genügen. Um dies zu garantieren, sind pro Saison und Fahrer rund zwölf Overalls nötig.

Besonders empfindlich ist die Elektronik. So halten die meisten Sensoren, die die Daten für die Telemetrie messen, der Hitze und den Vibrationen lediglich über eine Renndistanz stand. Die elektronischen Teile im Lenkrad sind etwas besser geschützt, sodass die multifunktionale Steuerzentrale im Cockpit mindestens zwei Rennen mit ihrem Dienst versieht. Dann ist allerdings auch sie verschlissen und muss ausgewechselt werden.

Auch der Kühler für den Motor wird nach dem zweiten Einsatz in der Regel ausgetauscht. Nach fünf Grands Prix taugen die leichten Magnesiumräder nicht mehr für den Einsatz in der Formel 1. Ihre Lebensdauer beträgt im Durchschnitt rund 3.000 Kilometer. Eine ganze Saison halten dagegen die Fahrwerksfedern durch. Wann Heck- beziehungsweise Frontflügel der Rennwagen ersetzt werden, darüber entscheidet der Pilot mit seiner Fahrweise mit. Denn diese Teile werden bei Beschädigung natürlich sofort ausgetauscht. Nur auf ein Teil ist praktisch immer Verlass: Das Kohlefaser-Monocoque, die Sicherheitszelle des Fahrers, ist nahezu unverwüstlich.