• 16.06.2011 13:15

  • von Dieter Rencken

Zwei Jahre her: "Piratenserie" anno 2011?

Hinter den Kulissen findet ein Machtkampf über die Zukunft der Formel 1 statt - John Howett findet, dass die Teams ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollten

(Motorsport-Total.com) - Am 18. Juni 2009, also genau am heutigen Donnerstag vor zwei Jahren, hat die Teamvereinigung FOTA bei einer Sitzung in der Renault-Fabrik in Enstone die Abspaltung von der Formel 1 und die Gründung einer eigenen Rennserie, oftmals als "Piratenserie" bezeichnet, beschlossen. Doch wie man heute weiß, wurde diese nie in die Tat umgesetzt.

Titel-Bild zur News: Luca di Montezemolo und John Howett

Luca di Montezemolo und Ex-FOTA-Vizechef John Howett im Jahr 2009

Fünf Tage nach dem Treffen in Silverstone gab die FOTA einen provisorischen Terminkalender für 2010 heraus, noch einen Tag später erzielten die FOTA und die FIA eine grundsätzliche Einigung. Am 1. August hat die FIA dann das Concorde-Agreement unterschrieben und die drohende Spaltung der Formel 1 war vom Tisch. Doch Bernie Ecclestone und der damalige FIA-Präsident Max Mosley sind immer noch davon überzeugt, dass die Piratenserie nichts weiter als eine leere Drohung ohne Substanz war.

Wichtiger Architekt des Concorde-Agreements

John Howett, 2009 Stellvertretender Vorsitzender der FOTA und einer der wichtigsten Architekten des aktuellen Concorde-Agreements, heute aber ohne jegliche Verbindungen zur Teamvereinigung, sieht das völlig anders. Für die Teams war die Piratenserie demnach kein Wunschszenario, sondern lediglich eine Ausweichroute, um eine höhere Einnahmenbeteiligung zu erzielen (50 statt 23 Prozent vom gesamten FOM-Kuchen) und vor allem die diktatorische Ära Mosley (die von ihm geplante Budgetobergrenze war einer der größten Streitpunkte) innerhalb der FIA zu beenden.

"Für uns in der Formel 1 war wichtig, alles zu unternehmen, um die Serie zu schützen", erklärt Howett im Gespräch 'Motorsport-Total.com'. "Das taten wir auch, bis es zu weit ging." Doch als mit der FIA und Ecclestone doch noch ein Kompromiss erzielt werden konnte "und unsere Forderungen erfüllt wurden, bestand kein Grund mehr", die Piratenserie weiter voranzutreiben. Howett: "Warum hätten wir das unter diesen Umständen noch tun sollen? Unsere Mission war erfüllt."

¿pbvin|512|3809||0|1pb¿Derzeit steuert die Formel 1 auf ein ähnliches Szenario wie vor zwei Jahren zu, denn das aktuelle Concorde-Agreement läuft Ende 2012 aus. Die Kernforderungen der Teams sind erneut eine höhere Einnahmenbeteiligung (75 Prozent) sowie eine bessere Promotion des Sports insgesamt. "Wenn überhaupt, gibt es sehr wenige weltweite Sportarten, in denen den Teilnehmern 50 Prozent des kommerziellen Einkommens weggenommen werden", schreibt Howett in einem Gastbeitrag, der heute Abend auf 'Motorsport-Total.com' veröffentlicht wird.

Er hofft daher "inständig, dass die Teams die Gelegenheit des Ende 2012 auslaufenden Concorde-Agreements ergreifen, ihr eigenes Schicksal und das des Sports selbst in die Hand zu nehmen. Einige sagen, dass das wegen der Rivalitäten unter den Teams nicht möglich ist. Ich glaube aber erstens, dass viele der Änderungen, die die Formel 1 in den vergangenen Jahren besser gemacht haben, dem konstruktiven und einheitlichen Vorgehen der FOTA sowie einer professionellen und erfrischend offenen Einstellung der FIA unter der Führung von Jean Todt zu verdanken sind."

Konkurrenten ziehen an einem Strang

Zweitens verweist er auf Vorbilder aus anderen Sportarten, etwa die englische Fußball-Premier-League: "Selbst da, wo die Teams einander oft kritisieren, sind sie dazu in der Lage, Schlüsselelemente jenseits des Wettbewerbs, zum Beispiel eben kommerzielle Fragen, gemeinsam zu klären." Der Brite hält eine Abspaltung, sollte sie notwendig sein, für "sehr realistisch und innerhalb der Fassungskraft der Teams." Positiver Nebeneffekt: Die Teams könnten "die Nachhaltigkeit des Sports in Zukunft signifikant verbessern".

"Das Herz wird immer die mythische Mischung aus den besten Ingenieuren, der fortgeschrittensten Technologie, den besten Fahrern und den besten Teams sein." John Howett

"Das Herz der Formel 1 oder des Grand-Prix-Sports war schon immer und wird immer diese mythische Mischung aus den besten Ingenieuren, der fortgeschrittensten Technologie, den besten Fahrern und den besten Teams sein, die auf den großartigsten Strecken der Welt am Limit gegeneinander antreten - die Königsklasse des Motorsports. Aus diesem Grund bin ich davon überzeugt, dass der Name oder die Marke Formel 1 nur sekundäre Bedeutung besitzen und kein Stolperstein wären", erklärt Howett.

"Meine Angst ist, dass sich die Geschichte wiederholt", sagt er in Erinnerung an den großen Formel-1-Streit vor zwei Jahren. "Andere werden versuchen, die Teams zu trennen und zu beherrschen, wie das in der Vergangenheit passiert ist, oder die Situation mit Bluff und Gegenbluff fortwährend und absichtlich hinauszuzögern, bis es für die Teams zu spät ist, irgendetwas zu unternehmen - mit dem unvermeidlichen Ausgang, dass der Sport in die gegenwärtige Situation zurückfällt."

Die seiner Meinung nach beste Lösung für die Formel 1 wäre, sich von alten Strukturen zu lösen und den Teams noch mehr Kontrolle in die Hand zu geben: "Um dieses Szenario im Interesse von uns allen, denen die Formel 1 am Herzen liegt, zu vermeiden, ist es für die Teams JETZT an der Zeit, eine zusammenhaltende Gruppe zu bilden und eine sich ständig verbessernde und nachhaltige Zukunft für den Sport zu erschaffen", appelliert Howett an die Verantwortlichen.