• 10.11.2014 08:40

  • von Roman Wittemeier

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Politik überschattet tollen sportlichen Wettbewerb: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über leidige Themen im leidenschaftlichen Sport

Liebe Formel-1-Fans,

Titel-Bild zur News: Fans Brasilien

Die Fans wollen den sportlichen Formel-1-Wettbewerb endlich genießen Zoom

na? Gut geschlafen nach dem vorletzten Rennen der Saison? Im Traum das Duell zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton noch einmal ausgefochten, oder das kommende "Abu Double" schon mal ausgewürfelt? Mir gingen während der Nacht ganz andere Dinge im Kopf herum - wie übrigens schon seit einigen Wochen immer mal wieder. In mir taucht immer wieder die Frage auf, wie krank die Formel 1 eigentlich ist.

In dieser regelmäßigen Kolumne am Montag nach den Formel-1-Grands-Prix schauen wir immer auf die Verlierer auf Grundlage der aktuellen Situation. Das muss nicht immer das Sportliche sein. Wenn es ausschließlich um den Rennsport geht, dann dürften einige Piloten und Teamverantwortliche wieder eine unruhige Nacht gehabt haben: Hamilton nach seinem Dreher und verlorenen Brasilien-Duell gegen Rosberg oder auch Valtteri Bottas nach seinem Pech im Williams: da schnallst du ab.

Hier an dieser Stelle soll es heute aber mal um das große Ganze gehen. Ich persönlich finde nämlich, dass derzeit die gesamte Formel 1 der große Verlierer ist - und allen voran die Fans. Da gibt es in der laufenden Saison endlich mal wieder ein intensives und leidenschaftliches Duell von zwei Teamkollegen um den Titel, Erinnerungen an die glanzvollen Zeiten von Senna und Prost kommen immer wieder hoch, aber was passiert? In der Formel 1 wird mehr über Finanzen, Eitelkeiten und Pleiten diskutiert als über Sport. Schade.

Eine Krankheit zerfrisst die Formel 1

Wie viel Leidenschaft in der Fangemeinde steckt, wurde gestern nach Platz drei für Felipe Massa im Heimspiel in Sao Paulo deutlich. Die Brasilianer jubelten ihrem Lokalhelden noch ewig nach der Podiumszeremonie zu, Interlagos war eine Partymeile. Die Gesänge der Fans haben den Williams-Piloten sicherlich in einen geruhsamen Schlaf gebracht. So soll Formel 1! Ich als Journalist möchte mich an solchen Dingen erfreuen und nicht immer wieder fragen müssen, wer seine Rechnungen bezahlt hat.

Bernie Ecclestone

Ändert seine Ansichten von Tag zu Tag: Wer versteht Bernie Ecclestone? Zoom

Die aktuelle Krise in der Formel 1 ist sichtbar. Ein Starterfeld mit nur 18 Fahrzeugen sieht jämmerlich klein aus. Beim Vorstart wird beim Blick auf die Start-Ziel-Gerade deutlich, dass die kleinen Teams fehlen. Dort, wo bisher Caterham und Marussia standen, ist eine Lücke entstanden. Sie ist sichtbar und tut mir weh. Dort wird die Krankheit im Grand-Prix-Sport sichtbar, dort kann jeder erkennen, wie der "Finanzkrebs" die Formel-1-Zellen Stück für Stück zerstört. Das muss aufhören. Es gibt schließlich Medizinmänner in der Szene.

Ich finde es furchtbar, wie man sich derzeit auf den verantwortlichen Ebenen den Schwarzen Peter hin- und herschiebt. Lotus, Force India und Sauber melden nicht mehr nur zaghaft einen gewissen finanziellen Zusatzbedarf an. Nein, seit Austin ist der Hilferuf der drei Mannschaften weltweit sehr laut zu hören. Und was passiert? Nichts - jedenfalls bisher. Immer mehr entsteht in mir der Eindruck, dass es bei gewissen Herren überhaupt kein Interesse an einer Verbesserung der Lage gibt.

Schwarzer Peter auf höchster Ebene

"Lage ist egal von hinten" - das ist ein Lieblingsspruch eines griechischen Freundes von mir, der es sich mit seinem hart erarbeiteten Geld auf seine alten Tage in seiner Heimat mit Blick auf das Mittelmeer gut gehen lässt. Wer sein Werk vollbracht, sich ein gemütliches Polster geschaffen hat, der kann nach diesem Motto entspannt in die Zukunft blicken. In der Formel 1 handelt derzeit aber Bernie Ecclestone genau nach diesem Vorsatz und bringt damit sein Lebenswerk nachhaltig in Gefahr.

Der "Dagobert Duck der Königsklasse" stößt offenbar an seine Grenzen. In Austin erlebte man etwas, das jeder im Kalender fett markieren sollte: Ecclestone zeigte sich selbstkritisch. Der Brite meinte tatsächlich, dass er mit seinen Verträgen samt Bonuszahlungen an die Topteams durchaus eine Mitschuld an der derzeitigen Situation der kleineren Teams trage. Wenige Tage später in Brasilien will er nichts mehr davon wissen. "Krise? Welche Krise?", wundert sich Ecclestone plötzlich. Was ist denn das?


Fotostrecke: GP Brasilien, Highlights 2014

Der Formel-1-Promoter geht das Spiel "Schwarzer Peter" in Pokermanier an. Er spielt seine Karten mit einer gewissen Strategie. Im ersten Moment des Aufschreis von Sauber, Force India und Lotus signalisierte er, dass man schnelle Lösungen finden werde. Er schlug vor, selbst ein wenig mehr aus dem Einnahmentopf als Sockelbetrag für die kleinen Teams zur Verfügung zu stellen, aber - typisch Ecclestone - nur unter einer Bedingung: die sogenannten CCB-Teams sollen ebenfalls etwas beisteuern.

Es wundert kaum, dass Red Bull und Ferrari nichts von der finanziellen Sahnetorte aus den Händen der FOM abgeben möchten. Das Stück vom großen Kuchen, das Ecclestone den großen Teams zugestanden hat, schmeckt nicht nur süß, sondern füttert auch die zahlreichen Teammitglieder wunderbar durch. Warum freiwillig darauf verzichten? Also sind die großen Teams mit ihrer ablehnenden Haltung der Grund, warum der ursprüngliche Ecclestone-Plan nicht umgesetzt werden kann. Der Schwarze Peter wurde weitergereicht.

Und später wird es noch viel teurer...

Die Krux an der Situation: Red Bull und Ferrari wollen zugunsten der kleinen Teams nicht auf einen geringen Teil ihrer Einnahmen verzichten. Wenn dies dazu führt, dass Sauber, Force India oder Lotus zusperren müssen, dann wird es für die Topteams aber noch teurer. Auf 35 bis 40 Millionen schätzt Red-Bull-Teamchef Christian Horner die zusätzlichen Kosten für ein drittes Auto, das im Falle eines weiteren Teamsterbens kommen müsste, aber das eigentlich niemand will. Ist es da nicht billiger, den Kleinen jetzt ein wenig abzugeben?

Bernie Ecclestone

Stellt sein Engagement in Frage: Lotus-Boss Lopez spricht mit Ecclestone Zoom

Natürlich wäre es günstiger, heute auf zehn Millionen zu verzichten, um zusätzliche Kosten von 40 Millionen zu verhindern. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, den Schwarzen Peter, der aus der Hand von Ecclestone kam, schnell wieder loszuwerden - das ist ja schließlich der Sinn dieses Spiels. Also reicht man die ungeliebte Karte nun an CVC Capital Partners weiter, den Besitzer der Mehrheitsanteile an der Formel 1. Der Eigner muss doch schließlich ein Interesse an einem gesunden Produkt haben.

Ich bin gespannt, wie CVC-Boss Donald Mackenzie mit dem Schwarzen Peter umgehen wird. Sicher ist: Auch er muss ihn wieder loswerden. "Reden ist schön und gut, aber muss endlich gehandelt werden", hat Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn klargestellt. Durch diese Worte - und auch durch die Verpflichtung der Fahrer für 2015 - wird mehr als deutlich, dass dem Team das Wasser bis zum Hals steht. Wird Sauber das Opfer eines schmutzigen Spiels? Hoffentlich nicht. Also handelt endlich!

Ich wünsche mir, dass schnelle Hilfe für die Privatteams kommt, damit endlich wieder das in den Vordergrund rückt, was die Formel 1 für mich immer ausgemacht hat: Motorsport auf höchstem Niveau. Die Grand-Prix-Saison 2014 soll als Jahr der tollen Teamduelle im Gedächtnis bleiben und nicht als Jahr der traurigen Teampleiten. Ein feines sportliches Duell um die Krone und gleichzeitig eine nachhaltige Lösung der finanziellen Probleme - so könnte für mich ein "Abu Double" der positiven Art daraus werden.

Viele Grüße und bis bald,

Roman Wittemeier

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