• 18.11.2010 15:28

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Vor dem ersten Testtag: Benvenuto, Pirelli!

Die große Vorschau auf das Formel-1-Comeback von Pirelli: Was Sportchef Paul Hembery erwartet und welche Sorgen Teams und Fahrer noch haben

(Motorsport-Total.com/SID) - Weltmeister Sebastian Vettel und Co. werden am Freitag und Samstag in Abu Dhabi erstmals die Reifen des künftigen Formel-1-Ausrüsters Pirelli testen. Die Italiener stellen dafür insgesamt 384 Satz Reifen in zwei verschiedenen Mischungen zur Verfügung, nachdem man zuvor bei privaten Testfahrten mit Nick Heidfeld, Romain Grosjean und Pedro de la Rosa insgesamt 7.000 Kilometer abgespult hatte.

Titel-Bild zur News: Pirelli-Reifen

Retro-Look: So sehen die neuen Pirelli-Reifen für die Formel 1 aus

Pirelli kehrt in der kommenden Saison nach 19 Jahren Abstinenz in die Formel 1 zurück, wo man zuletzt beim Australien-Grand-Prix 1991 am Start war. Die Italiener haben vom Automobil-Weltverband FIA für die kommenden drei Jahre den Zuschlag als Alleinausrüster erhalten und treten die Nachfolge von Bridgestone an. Insgesamt werden für die kommende Saison mit erstmals 20 Rennen rund 50.000 Satz Reifen benötigt.

Acht Tests auf sechs verschiedenen Strecken

Der neue Ausrüster hatte sich seit dem 19. August bei insgesamt acht Tests in Mugello, Monza, Barcelona, Valencia, Jerez de la Frontera und Le Castellet auf die neue Aufgabe vorbereitet, profillose Slicks in vier verschiedenen Mischungen sowie jeweils einen Intermediate- für leichten Regen und einen Full-Wet-Reifen für heftigeren Regen zu entwickeln - übrigens nicht nur für die Formel 1, sondern auch für die GP2.

"Jetzt werden uns die Fahrer und Ingenieure aller Teams ihre Meinungen und ihr Feedback geben, das sehr wichtig für unsere zweite Testphase ist", erklärt Paul Hembery, der insgesamt 30 Techniker mit nach Abu Dhabi gebracht hat. Die lieferten die ersten Reifen schon heute an die Teams ab und konzentrieren sich ab morgen vor allem auf ein Ziel: "Das Hauptziel ist, ein zuverlässiges Produkt anzubieten", so der Pirelli-Sportchef gegenüber 'Motorsport-Total.com'.

"Wir blicken dem ersten Test mit den Teams schon gespannt entgegen", sagt Hembery. "Für uns geht es auch darum, zu verstehen, wie die Teams arbeiten. Die Autos wurden um einen anderen Reifen herum designt, daher erfordert die Situation sicher eine große Anpassung. Aber wir bekommen eine Vorstellung davon, wie die aktuellen Autos im Vergleich zum 2009er-Modell funktionieren, das wir zum Testen verwendet haben. Das ist eine wichtige Information."

Paul Hembery

Sportchef Paul Hembery kam erst heute von Wales nach Abu Dhabi Zoom

Sollten die Teams oder Fahrer Fragen haben, können sie sich nicht nur an Hembery und seine Kollegen wenden, sondern auch an Testpilot de la Rosa: "Pedro wird dort sein, aber nicht fahren", bestätigt der Brite. "Er steht den anderen Fahrern zur Verfügung, wenn sie Fragen haben, und wir werden die anderen Aussagen mit seinen vergleichen, um die Kalibrierung unseres Testprogramms voranzutreiben, wenn man das so sagen kann."

Eine große Herausforderung für Pirelli ist auch, dass auf der Ideallinie in Abu Dhabi nach insgesamt fünf Fahrtagen jede Menge Bridgestone-Gummi liegt: "Das hilft nicht, aber wir kennen dieses Problem schon vom Testen", meint Hembery achselzuckend. "Wenn du an eine Strecke kommst, auf der am Wochenende davor ein Rennen stattgefunden hat, brauchst du erstmal einen Tag, um den Asphalt sauber zu fahren."

"Ich habe keine Ahnung, wie unser Produkt mit auf der Strecke verteiltem Bridgestone-Gummi funktionieren wird, denn die Teams werden schon fünf Tage mit den anderen Reifen gefahren sein, wenn wir dort ankommen. Bei manchen Reifenherstellern wissen wir, dass uns das Probleme bereitet, aber vielleicht ist es bei ihnen anders. Der erste Tag dürfte in dieser Hinsicht auf jeden Fall schwierig werden", blickt er auf den Auftakt am Freitag.

Gewichtsverteilung als größte Sorge

Die Teams beschäftigen sich indes mit ganz anderen Fragen. Eines der Hauptkriterien im Design der neuen Autos war zum Beispiel, die Gewichtsverteilung für die Pirelli-Reifen perfekt zu treffen - oder besser gesagt: wäre eines der Hauptkriterien gewesen. Denn: "Der Spielraum in der Gewichtsverteilung wurde für nächstes Jahr eingeschränkt - nur für dieses eine Jahr -, damit da niemand einen Zufallstreffer landen kann", erläutert Mercedes-Teamchef Ross Brawn.

Hätte die Teamvereinigung FOTA diese Entscheidung nicht schon vor Monaten getroffen, hätte einer der kleineren Rennställe mit einer unkonventionellen Gewichtsverteilung auf Risiko gehen und mit ein bisschen Glück den Nerv der Pirelli-Reifen voll treffen können. Also hat man sich auf FOTA-Ebene früh darauf verständigt, die Gewichtsverteilung für 2011 fest vorzugeben, sodass diese Möglichkeit ausgeschlossen werden kann.

Auch wenn die neue Saison schon in weniger als vier Monaten beginnt, seien die Teams immer noch "einigermaßen flexibel", was das Design der neuen Autos angeht, sollte es am Freitag und Samstag in Abu Dhabi gravierende Pirelli-Überraschungen geben: "Eines der Hauptprobleme war die Gewichtsverteilung, also haben sich die Teams darauf geeinigt, dass die Gewichtsverteilung für das erste Jahr fixiert wird", bestätigt Brawn.

¿pbvin|512|3288||0|1pb¿Und weiter: "Angesichts der kurzen Vorlaufzeit und der Tatsache, dass wir erst jetzt die ersten Daten bekommen, wäre es unfair gewesen, wenn ein Team zufällig und durch Glück genau die richtige Gewichtsverteilung erraten hätte, die zu den Reifen passt. Das war ein sehr wichtiger Schritt. In den meisten anderen Bereichen haben die Teams noch die Kapazität, auf Unerwartetes zu reagieren - sogar im Bereich der Radaufhängungsgeometrie gibt es noch Spielraum, wenn auch nicht viel."

Aber nicht nur die Teams, sondern auch Pirelli könnte nach dem ersten Abtasten in dieser Woche noch Änderungen vornehmen: "Das Wichtigste wird sein, gemeinsam mit Pirelli zu entscheiden, ob vor Saisonbeginn noch gravierende Änderungen notwendig sind", so Brawn. "Wie werden sich die Reifen verhalten? Werden die Teams als Gruppe zufrieden sein oder müssen die Reifen noch in die eine oder andere Richtung geändert werden? Das müssen wir uns überlegen."

"Die Mischung", berichtet der frühere Mercedes- und Pirelli-Testfahrer Heidfeld, "hat sich etwas geändert. Das Verhalten der Reifen dürfte das aber nicht geändert haben. Der Reifenverschleiß und die Aufwärmphase könnten anders sein, ansonsten sollten sie dem entsprechen, was ich schon von den damaligen Tests kenne." Und wie sehr unterscheiden sich die Pirellis von den bekannten Bridgestones? "Sie sind schon sehr unterschiedlich", berichtet der Deutsche.

Fahrer erwarten große Unterschiede

"Das ist natürlich ein extrem wichtiger Test, denn der Unterschied zu Bridgestone wird sehr wahrscheinlich sehr groß sein", vermutet auch Nico Rosberg. "Man muss frühestmöglich verstehen, welche Unterschiede das sind, um dann frühzeitig zu wissen, welche Richtung man bei der Autokonstruktion einschlagen muss, um sich an den Reifen anzupassen. Das wird sicher ein Schlüssel für nächstes Jahr sein, wer das am besten hinkriegt."

"Sicher kommt da auch ein bisschen was auf den Fahrstil", so der Mercedes-Pilot. "Ich erwarte keine Riesenunterschiede, weil die Formel-1-Auto heutzutage einen identischen Fahrstil erfordern, aber es gibt schon noch kleine Unterschiede. Dieses Jahr haben wir zum Beispiel einen sehr schwachen Vorderreifen. Wenn das ein bisschen anders ist, kann man vielleicht ein bisschen aggressiver einlenken und muss nicht so sehr darauf achten, dass die Vorderreifen überhitzen."

Michael Schumacher

19 Jahre Pause: Letztmals war Pirelli 1991 in der Formel 1 am Start Zoom

Apropos aggressiv: Auf Wunsch der Teams versucht Pirelli, eine ähnliche Situation wie in Montréal heraufzubeschwören, wo der Unterschied zwischen den weichen (extrem konkurrenzfähig, aber nicht haltbar) und harten Reifen (nicht konkurrenzfähig, aber konstanter) besonders groß war. Das sorgt für spannende Rennen. Abgelehnt haben die Teams hingegen den Wunsch Pirellis, in Abu Dhabi eine zusätzliche Schikane einzubauen, um Vergleiche mit Bridgestone unmöglich zu machen.

Für Red Bull wird Sebastian Vettel an beiden Testtagen im Auto sitzen, an denen übrigens jeweils vier Satz Reifen zur Verfügung stehen. Sein Teamkollege Mark Webber nimmt sich eine Auszeit. Beim Mercedes-Werksteam teilen sich Rosberg und Michael Schumacher die Testarbeit auf, ebenso bei Ferrari Fernando Alonso und Felipe Massa. Bei McLaren verzichten die beiden Stammpiloten Lewis Hamilton und Jenson Button und überlassen Testfahrer Gary Paffett die Arbeit.

Für Vettel ist der Abu-Dhabi-Test nach dem Partymarathon am Wochenbeginn auch körperlich eine Herausforderung, weil er zuletzt nicht viel zum Schlafen gekommen ist. Aber: "Da muss man dann auch auf sich schauen und die Nächte wirklich zum Schlafen nutzen", stellt er klar. "Der Test ist kein Spaziergang. Man muss den ganzen Tag voll konzentriert sein und wir haben eine klare Aufgabe, haben die erste Möglichkeit, mit den Reifen für nächstes Jahr Erfahrungen zu sammeln."

"Ich glaube, es ist auch ganz gut, dass man vom Kopf dann wieder zurück im Auto ist und sich aktiv erholen kann. Aber Grundvoraussetzung ist, dass man vorher genug Schlaf hatte. Jeder Sportler weiß, wie viel Schlaf er braucht. Dafür werde ich schon sorgen", betont er. Übrigens: Vor Beginn der Vorbereitung auf die kommende Saison im Februar wird Pirelli noch einen weiteren privaten Test im Dezember in Bahrain absolvieren.