• 28.06.2012 15:21

  • von Christian Nimmervoll & Michael Noir Trawniczek

"Überzogen": Red Bull übt Kritik an Pirelli

Helmut Marko übt Kritik an Pirelli und meint unter anderem: "Es gibt scheinbar in den einzelnen Reifensätzen gravierende Unterschiede"

(Motorsport-Total.com) - Eine späte Retourkutsche für Sebastian Vettels Reifenschaden im vergangenen Jahr in Abu Dhabi? Wie dem auch sei: Das Weltmeister-Team Red Bull übt nach acht von 20 Saisonrennen 2012 scharfe Kritik an Pirelli. Das italienische Unternehmen habe "den Auftrag erhalten, die Formel 1 spannender zu machen", doch diesen Auftrag habe man "überzogen", wird Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko von 'motorline.cc' zitiert.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Weltmeister Sebastian Vettel nimmt die Reifen von Pirelli genau unter die Lupe

In den bisherigen acht Rennen gab es sieben Sieger, darunter beide Red-Bull-Piloten. Doch weil die Rahmenbedingungen rund um das Reifen-Betriebsfenster von Grand Prix zu Grand Prix variieren, kristallisierte sich bisher kein klares Muster heraus. Das bedeutet in der Praxis: "Wir stellen das Auto nicht mehr auf absoluten Speed ein", erklärt Marko, "sondern so, dass wir schnell genug sind, um im Qualifying möglichst weit vorne zu stehen, wir aber von der Radgeometrie her so abgestimmt sind, dass der Reifen kalkulierbarer auf der Distanz hält."

Der Unterschied zu 2011, als Pirelli ebenfalls Alleinlieferant war, ist, dass die Pneus 2012 nicht mehr berechenbar nachlassen, sondern teilweise ganz plötzlich. Marko: "Normalerweise baut ein Reifen kontinuierlich ab, doch bei den aktuellen Pirelli-Mischungen kommt das von einer Runde auf die andere - und dann ist er weg. Das ist dann ein Zeitunterschied von einer halben bis zu einer vollen Sekunde und geht, wie man bei Alonso in Montreal gesehen hat, bis zu vier Sekunden pro Runde."

"Dazu kommt, dass der Reifen sehr empfindlich ist, was das Aufwärmen betrifft. Er hat erst dann Grip, wenn er eine Temperatur erreicht hat, die in einem sehr kleinen Fenster liegt", erläutert der Österreicher, früher selbst Formel-1-Pilot. "Überhitzt man ihn einmal, dann erholt er sich kaum mehr - ein Phänomen, das bei bisherigen Reifen nicht der Fall war. Alles in allem ein komplexes Thema, aber nachdem es für alle gleich ist, wird man besser damit umgehen."

Das ist aber offensichtlich gar nicht so einfach. Marko zieht das Beispiel Mark Webber in Malaysia heran: "Wir sind mit der harten Mischung gefahren, haben vorne am Frontflügel zwei Klick mehr gegeben. Das ist ein marginaler Unterschied. Und peng, der fährt 1,2 Sekunden schneller! Wir dachten: 'Bumm! Jetzt ist unser Auto super!'" Aber: "Wir gaben die weiche Mischung rauf und waren acht Zehntel langsamer. Für mich heißt das: Es gibt scheinbar in den einzelnen Reifensätzen gravierende Unterschiede."

Dass Teams wie Williams und Sauber plötzlich an einzelnen Rennwochenenden sogar siegfähig sind, schiebt Marko ebenfalls auf die Reifen: "Das liegt daran, dass Autos, die simpler in der Bauart sind, leichter in dieses Arbeitsfenster gekommen sind, in dem der Reifen optimal funktioniert. Und dass wir zum Teil - und nicht nur wir - unser kompliziertes und technologisch sicher eines der besten Autos gar nicht in den Bereich bringen konnten", analysiert er.


Fotos: Red Bull, Großer Preis von Europa, Sonntag