• 24.06.2002 13:35

Schumacher: Sympathie gewonnen, Titel bald sicher

Auch Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher kann sich als Sieger beim Großen Preis von Europa fühlen

(Motorsport-Total.com/dpa/sid) - Punkte verloren, Sympathien gewonnen - und den Titel praktisch in der Tasche: Michael Schumacher steht durch die Niederlage gegen Rubens Barrichello nach Wochen der Kritik erstmals wieder als moralischer Sieger da und kann trotzdem schon in 27 Tagen die fünfte Weltmeisterschaft holen. Nur die Anhörung vor dem Motorsport-Weltrat am Mittwoch muss der dominierende Spitzenreiter noch fürchten, auch wenn der Verzicht des Ferrari-Teams auf eine erneute Stallorder zu Gunsten Schumachers am Nürburgring als positives Signal gewertet wurde. Ansonsten winkt der schnellste Titel der Formel-1-Geschichte. Schumacher blieb aber vorsichtig: "Bin ich schon Weltmeister? Es ist noch nicht vorbei. Wir kommen dem Titel Schritt für Schritt näher. Aber so lange es nicht entschieden ist, sollte man nicht zuviel daran denken."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Auch Michael Schumacher hatte allen Grund zum Jubeln

Schon beim Grand Prix in Magny Cours am 21. Juli kann der Kerpener alles klar machen und anschließend als fünfmaliger Champion zum Heim-Rennen nach Hockenheim kommen. Gewinnt Schumacher die nächsten zwei Rennen, und sein Bruder Ralf holt maximal sechs Punkte, wäre er bei dann 60 Punkten Vorsprung nicht mehr einzuholen. "Ein wunderbares Märchen", nannte Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo die Dominanz der Roten, die die Konkurrenz in der Eifel deklassierten.

Doch nach dem Großen Preis von Europa war erneut die vielbeachtete Team-Strategie, die wochenlang für heftigste Proteste gesorgt hatte, das große Thema. Barrichello durfte endlich den zweiten Sieg seiner Karriere feiern. Obwohl alle Beobachter bis zum Schluss gespannt auf einen anderen Befehl aus der Box warteten, blieb Schumacher hinter dem Brasilianer. Das war zwar auch Stallorder, brachte Ferrari aber am Montag international Beifall ein. "Bravo Ferrari", titelte die französische Sportzeitung 'L'Equipe'. "Nach dem Rennen auf dem Nürburgring ist die Moral gerettet", fand 'France-Soir'. Die italienische 'Gazetta dello Sport' urteilte: "Michael Schumacher hat seine Schuld gegenüber Barrichello getilgt."

Zustimmung gab es sogar von der Konkurrenz. "Das ist gut für den Sport", sagte Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug: "Das war eine nette Geste an die FIA." BMW-Technikdirektor Mario Theissen meinte: "Ich fand es gut, wie es ausgegangen ist."

Ob auch der Weltrat des Internationalen Automobilverbandes (FIA) die Ferrari-"Wiedergutmachung" würdigt, bleibt die große Frage. Am Mittwoch entscheidet das Gremium über den umstrittenen Grand Prix am 12. Mai in Spielberg, als Barrichello Schumacher den Sieg und der Deutsche dem Kollegen anschließend regelwidrig den obersten Platz auf dem Podest überließ. Schumacher wollte sich zur Anhörung nicht äußern: "Das ist Sache des Gerichts." Insider gehen davon aus, dass dem Titelverteidiger Punkte aberkannt werden.

Schumacher und Barrichello waren am Nürburgring bemüht, die Ferrari-Haltung zu erklären. "Die Punkte-Situation ist heute anders als in Österreich. Damals wusste man noch nicht, wie sich die Saison entwickeln würde", so der Champion. Inzwischen ist der Abstand zu den BMW-Williams-Verfolgern Ralf Schumacher und Juan-Pablo Montoya gewachsen. "Die Leute haben sicher einige Ideen. Aber wir waren damals nicht so arrogant zu glauben, dass wir die WM leicht gewinnen könnten. Ich will nicht sagen, dass wir jetzt arrogant sind. Aber jetzt haben wir einen substanziellen Punktevorsprung." Zudem habe sich keine Überholmöglichkeit ergeben.

Barrichello wies unangenehme Fragen zurück. "Natürlich werden die Leute alles Mögliche sagen. Aber lasst uns einfach das hier genießen. Es war ein fantastisches Rennen, ein fantastisches Gefühl", meinte der neue WM-Vierte. Über Österreich wolle er nicht mehr reden. Mit dem Vorgehen am Nürburgring - beide Piloten wurden aufgefordert, die Positionen trotz Schumachers Aufholjagd zu halten - dürfte Ferrari viele Fans versöhnt haben, obwohl es im Vergleich zur bisherigen Argumentation nicht konsequent war. "Wir haben aus den Reaktionen nach Österreich gelernt", sagte Stratege Ross Brawn. "Die Tifosi sind sehr wichtig für Ferrari", meinte Teamchef Jean Todt.

Todt gab die Anordnung an seine Fahrer nach dem Rennen offen zu. "Wir haben ihnen bis zum zweiten Boxenstopp erlaubt, gegeneinander zu fahren, und ihnen danach gesagt, sie sollen die Positionen halten", meinte der Franzose. Schumacher war einverstanden, vor seinen eigenen Fans beim Heimspiel auf den Sieg zu verzichten. "Ich habe es durch meinen Dreher ja selbst verschuldet", sagte der Weltmeister: "Deshalb war es mehr als fair, dass Rubens gewonnen hat. Und als das Kommando kam, das Rennen schonend zu Ende zu fahren, haben wir beide langsamer gemacht. Ihn dann noch zu überholen, wäre sehr unfair gewesen."

Aber möglich, was Schumachers Reaktion am Abend im Ferrari-Zelt zeigte. Auf die Frage eines Journalisten, ob mehr drin gewesen wäre, antwortete er nur mit einem Lächeln. Zur bevorstehenden FIA-Anhörung wollte er auch nicht viel sagen. "Wir werden am Mittwoch sehen, was dabei herauskommt. Ich würde es auch gerne vorher wissen", meinte der 33-Jährige.

Von einer Geldstrafe über einen Punktabzug bis zu einer Sperre ist alles möglich, wenn die FIA berät, ob die Vorgänge von Zeltweg im Rennen und bei der Siegerehrung nach Artikel 151c des Sporting Codes gegen den "Geist des Sports" verstoßen.

Für die Konkurrenz, die zurzeit weder in der Fahrerwertung - hier liegt Schumacher 46 Zähler vor seinem Bruder Ralf - noch in der Konstrukteurs-WM (45 Punkte Vorsprung auf BMW-Williams) mit Ferrari mithalten kann, kam die Entscheidung für den Barrichello-Sieg nicht überraschend. "Wir haben während des Rennens gewettet. Ich habe gewonnen", meinte Mercedes-Sportchef Norbert Haug: "Hätten sie anders entschieden, wäre ich schnell verschwunden. Dann wären nämlich die wütenden Fans gekommen."

Nach dem moralischen Happy-End in der Eifel blieb Schumacher in der Heimat. Am (morgigen) Dienstag tritt er in Bergisch-Gladbach mit FIA-Präsident Max Mosley zum Thema Fahrsicherheit auf. Anschließend eröffnet er in Kerpen die Ausstellung "Die Welt der Schumachers". Gerüchte, wonach der berühmte Sohn Kerpens ein Denkmal enthüllen werde, sind dagegen falsch.