Racing Point RP20: Das steckt hinter dem "rosaroten Mercedes"

Technikchef Andrew Green erklärt, wann und wie sich seine Ingenieure vom Mercedes W10 inspirieren haben lassen - und warum das völlig legal ist ...

(Motorsport-Total.com) - Die Verbindungen zwischen Racing Point und Mercedes sind vielfältig. Dass das rosarote Team den kompletten Antriebsstrang samt Getriebe aus Brixworth bezieht, ist schon lange bekannt. Dass Racing Point seit 2019 den Mercedes-Windkanal in Brackley nutzt, bis das "Upgrade" der eigenen Fabrik in Silverstone abgeschlossen ist, wissen wahrscheinlich schon weniger. Aber damit hören die Verbindungen noch lange nicht auf.

Titel-Bild zur News: Vergleich Mercedes W10 vs. Racing Point RP20

Der "rosarote Mercedes" von Racing Point (rechts) sorgt für Diskussionen Zoom

Als Sergio Perez das damalige Force-India-Team im Sommer 2018 in die Insolvenz geschickt hat, war Toto Wolff hinter den Kulissen einer von denen, die dabei halfen, bei der Neuordnung die Fäden zu ziehen. Er spielte eine instrumentale Rolle in jenen Verhandlungen, die dazu führten, dass Lawrence Stroll mit seinen Geschäftspartnern als neuer Eigentümer einsprang und Otmar Szafnauer zum Teamchef gemacht wurde.

Stroll, der sein Geld mit Modemarken wie Tommy Hilfiger, Ralph Lauren und Michael Kors verdient hat, hält große Stücke auf Wolff, erzählt man sich im Paddock. Und so liegt der Verdacht nahe, dass Wolff auch beratend seine Hände im Spiel hatte, als Stroll beim Sportwagenhersteller Aston Martin einstieg und der Plan dafür bei einem Geheimtreffen in New York im Oktober 2019 geschmiedet wurde.

Was in der Branche bekannt ist, in der Öffentlichkeit aber weniger: Der Daimler-Konzern hält fünf Prozent an Aston Martin. Auch da gibt es einen Anknüpfungspunkt. Und plötzlich sieht der Racing Point RP20 aus wie ein rosarotes Abziehbild des Weltmeister-Mercedes von 2019? Kann kein Zufall sein, unken viele (Zum Schieberegler-Direktvergleich der beiden Autos!).

Vorwürfe des IP-Transfers sind nicht belegt

Insider im Fahrerlager unterstellen nicht, dass Mercedes Pläne und Skizzen vom F1 W10 EQ Power+ an Racing Point geschickt hat. Aber manch einer zweifelt leise daran, ob nicht doch der eine oder andere Mercedes-Ingenieur zufällig gerade im Windkanal war, als die Racing-Point-Ingenieure dort einmarschierten, und ganz unverbindlich, quasi unter Branchenkollegen, freundschaftliche Tipps gegeben haben könnte.

Stand heute ist das eine schwerwiegende und vor allem nicht belegte Anschuldigung, die im Paddock auch niemand öffentlich aussprechen will. Und gegen die sich Racing Point leidenschaftlich wehrt: "Es gab keinen Transfer von gelisteten Teilen von Mercedes", sagt Technikchef Andrew Green. "Das würden sie niemals auch nur in Erwägung ziehen, und wir würden sie niemals darum bitten!"

Dazu muss man wissen: Das Reglement differenziert bei "Raubkopien" oder von Dritten zugelieferten Bauteilen. Vieles dürfen die Teams ganz legal austauschen - ein Modell, das Teams wie AlphaTauri (Red Bull) und Haas (Ferrari) bekennend nutzen. Aber die sogenannten "listed Parts" (gelistete Teile), die sind tabu und muss jeder selbst designen.


Technik-Analyse Racing Point vs. Mercedes

Es sind aber zwei unterschiedliche Dinge, die Skizze für ein gelistetes Teil auf einem USB-Stick zu bekommen (verboten) oder ein anderes Team abzufotografieren und ohne fremde Hilfe zu kopieren (erlaubt).

"Was man hier sieht, ist das Ergebnis von Zeichnungen, die unsere Leute angefertigt haben, nachdem sie Bilder des Mercedes gesehen haben", sagt Green über den RP20. "Könnte jeder so machen." Und er schämt sich dafür auch gar nicht: "Um ehrlich zu sein: Ich glaube, unsere Leute haben herausragende Arbeit geleistet!"

"Die Boxengasse ist voller Fotografen, die Aufträge von Teams haben, Bilder von anderen Teams zu machen. Diese Informationen haben wir verwendet. Das sind aber Informationen, die alle anderen ebenfalls haben. Da gibt es keinen Unterschied."

Entscheidung fiel bereits im Sommer 2019

Racing Point stand im Sommer 2019, als das Design des RP20 in die entscheidende Phase ging, vor einer entscheidenden Frage: "Wir hatten ein Auto, das auf Platz sieben in der Meisterschaft lag. Und wir hatten noch ein Jahr unter diesem Reglement. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass wir mit unserem Design mit dem hohen Anstellwinkel einfach nicht weiterkommen."

Dazu muss man wissen: Jahrelang war Force India (Racing Point) auf Strecken wie Monza, Baku oder Spa konkurrenzfähig - also überall dort, wo hoher Topspeed gefragt ist. Dort, wo es um Anpressdruck ging, fuhr man hinterher. Also probierte man 2019 ein neues Konzept aus, mit einem steiler angestellten Chassis. Ein bisschen so, wie das Adrian Newey für Red Bull ausgeheckt hat.


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Davon wieder abzuweichen, sei "ein großes Risiko", erklärt Green: "Wir haben das, was wir 2019 probiert haben, zerrissen, ein neues Blatt Papier zur Hand genommen und uns überlegt, wie wir am besten anfangen. Und dann schaust du natürlich nicht auf das schlechteste Auto im Feld, oder? Sondern auf das beste. Das war unser Ausgangspunkt."

"Unsere Inspiration war das schnellste Auto des vergangenen Jahres", gibt Green freimütig zu, was man ohnehin nicht übersehen kann. "Und warum auch nicht? Wir verwenden ein 2019er-Mercedes-Getriebe, das für eine bestimmte aerodynamische Philosophie maßgeschneidert wurde, und wir haben den gleichen Antriebsstrang."

Wenn die Idee, ein Jahr lang mit einem "rosaroten Mercedes" zu fahren, aufgeht, "dann fein. Und wenn nicht, dann haben wir ein Jahr verloren." 2021 beginnt die Formel 1 wegen des neuen Reglements ohnehin bei null. "Ich glaube nicht, dass wir mit einem anderen Konzept viel besser fahren würden. Die potenziellen Nachteile waren viel größer", sagt Green.

Starker Testauftakt in Barcelona

Nach den ersten drei Testtagen in Barcelona gilt Racing Point als heißer Außenseitertipp. Lance Stroll und Sergio Perez landeten auf Platz fünf und sechs des Wochenklassements, geschlagen nur von den echten Silberpfeilen, Kimi Räikkönens Alfa Romeo (dessen Tank am Donnerstagabend fast komplett leer war) und Esteban Ocons Renault (der ebenfalls nicht zu den Favoriten zählt).


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Aber es ist kein Selbstläufer, dass die Kopie ähnlich erfolgreich sein wird wie das Original 2019 war. Es ist nicht damit getan, einen Mercedes-Frontflügel nachzubauen und diesen ans Auto zu schrauben. Um erfolgreich zu sein, müssen die Ingenieure das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Technik-Bereiche bis ins kleinste Detail verstehen.

"Das ist der schwierige Teil", gibt Green zu. "Von den Daten, die ich im Winter im Windkanal in Brackley gesehen habe, hat das Team da aber wirklich gute Arbeit geleistet. Sie verstehen, wie alles zusammengebaut ist und wie es funktioniert. Wir haben unsere Racing-Point-Ideen dazugetan. Und bis jetzt ist das alles recht ermutigend."

Gleichzeitig betont Green, dass sich das Racing-Point-Modell von AlphaTauri und Haas sehr wohl unterscheide. Laut Reglement hätte man noch viel mehr Technik direkt bei Mercedes einkaufen können, doch dagegen habe man sich ganz bewusst entschieden. Das Chassis sei zu 100 Prozent Racing Point, versichert der Brite.

Aber seine frühere Kritik am Haas- und AlphaTauri-Modell klingt inzwischen moderat: "Ich kann verstehen, wenn du Getriebe und Aufhängung von Red Bull bekommst, dass du dann auch eine Designphilosophie wie Red Bull wählst. Dafür wurden diese Teile schließlich designt. Und es wäre idiotisch, eine ganz andere Richtung einzuschlagen, weil du glaubst, du kannst es besser."