• 23.02.2008 18:55

  • von Dieter Rencken

Overtaking-Working-Group und Co. mit Rory Byrne

Ex-Ferrari-Designer Rory Byrne analysiert im Interview ausführlich die Arbeit der Overtaking-Working-Group und spricht auch über KERS

(Motorsport-Total.com) - Seit Jahren beschweren sich die Fans darüber, dass in der Formel 1 zu wenig überholt wird. Aus eben diesem Grund wurde im Vorjahr die Overtaking-Working-Group ins Leben gerufen, die sich seither mit dieser Problematik befasst hat. Eines der drei Mitglieder dieser Arbeitsgruppe ist Ex-Ferrari-Designer Rory Byrne, der sich am Rande des A1GP-Rennwochenendes in Durban Zeit nahm, um den Lesern von 'Motorsport-Total.com' die (inzwischen abgeschlossenen) Aufgaben der Overtaking-Working-Group zu beschreiben.

Titel-Bild zur News: Rory Byrne

Rory Byrne ist Beauftragter für mehr Überholmanöver in der Formel 1

Frage: "Rory, du gehörst genau wie Pat Symonds und Paddy Lowe der Overtaking-Working-Group an. Wie arbeitet ihr eigentlich und was sind eure Ziele?"
Rory Byrne: "Die Overtaking-Working-Group wurde im vergangenen Februar oder März ins Leben gerufen. Unsere Aufgabe war es, ein technisches Konzept zu entwickeln - die Aerodynamik war der wichtigste Teil davon -, das mehr Überholmanöver zulässt."#w1#

Beratungen mit den FIA-Masterminds

"Die Technische Arbeitsgruppe, die aus den Technischen Direktoren aller Teams besteht, hat entschieden, dass sich die Overtaking-Working-Group aus Mitgliedern der Top-3-Teams zusammensetzen sollte. So wurden ich, Paddy und Pat nominiert. Wir hatten ein oder zwei vorbereitende Treffen mit Charlie Whiting und Peter Wright, der Berater der FIA ist, und haben diskutiert, wie wir das Ziel erreichen wollen."

"Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir den technischen Trend der vergangenen zehn bis 15 Jahre umkehren müssen, indem wir den Grip der Reifen erhöhen und den Grip durch die Aerodynamik reduzieren. Es ist ziemlich offensichtlich, dass diese Maßnahmen zu weniger Sensibilität hinsichtlich aerodynamischer Interferenzen führen werden. Der erste Schritt war also, mit Bridgestone zu diskutieren, wie man den Reifengrip erhöhen kann, und daher werden die Slicks wieder eingeführt. Auch die Gummimischungen sollen weicher werden, was zu einer viel besseren Performance der Reifen führt."

"Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir den technischen Trend der vergangenen zehn bis 15 Jahre umkehren müssen." Rory Byrne

"Die nächste Frage war, wie man die aerodynamische Performance auf ein akzeptables Maß reduzieren kann, denn wenn man sie beispielsweise auf nur zehn Prozent des aktuellen Anpressdrucks reduziert hätte, dann wäre die Formel 1 langsamer als die GP2-Autos. Also führten wir Simulationen durch, die ergaben, dass wir uns eine Reduktion des Anpressdrucks um 50 Prozent der des Anpressdrucks von 2006 vornehmen sollten. Dabei muss man auch bedenken, dass die Teams nicht innerhalb weniger Jahre wieder das gleiche Niveau erreichen sollen."

"Dann trafen wir eine Vereinbarung mit Fondmetal, deren Windkanal zu verwenden, denn dort ist die fundamentale Hardware verfügbar, um zwei Autos im Windkanal hintereinander aufzustellen und den Effekt abzulesen. Wir brauchten für diese Tests ein Basisauto. Dafür verwendeten wir den 2004er-Ferrari. Damit konnten wir im Windkanal feststellen, wie viel Anpressdruck und Balance verloren geht, wenn ein 2004er-Ferrari dem anderen folgt. Das war unsere Basis."

"Dann verbrachten wir viermal fünf Tage im Windkanal, insgesamt also 20 Tage innerhalb eines Monats. Der erste Schritt war, das Niveau des Anpressdrucks zu reduzieren, aber dann ging es auch darum, die Aerodynamik weniger empfindlich zu gestalten und die Form des Autos entsprechend anzupassen. Wir durchliefen während dieser vier Sessions eine ganze Reihe an Experimenten, um zu verstehen, welche Formen geeignet sind und welche nicht."

"Anschließend speisten wir die dabei gewonnenen Daten in einen Computer ein und McLaren führte mit dem Fahrsimulator in Woking erste Simulationen durch, um die Eigenschaften der Neuentwicklung mit jenen des 2004er-Ferrari zu vergleichen. Dabei fanden wir heraus, dass man momentan auf einer durchschnittlichen Strecke um zwei Sekunden schneller als der Vordermann sein muss, um überholen zu können. Durch unsere Arbeit haben wir diesen Abstand von zwei Sekunden auf eine halbe bis eine Sekunde reduziert. Das ist eine signifikante Verbesserung."

Auf dem Papier sieht es gut aus

"Ich behaupte nicht, dass es 2009 dann tatsächlich so sein wird, denn die Teams entwickeln ihre Aerodynamik ja weiter und werden daher einiges davon wieder zunichte machen, aber ich bin mir sicher, dass man einen spürbaren Unterschied merken wird. Wir werden sehen. Ich bin schon sehr gespannt."

"Mit der experimentellen Arbeit waren wir Ende August 2007 fertig. Im Oktober haben wir die von uns ausgearbeiteten neuen Aerodynamikregeln der Technischen Arbeitsgruppe präsentiert. Es gab Einstimmigkeit, die Modifikationen für 2009 zu implementieren. So gesehen ist unsere Arbeit erst einmal abgeschlossen. Wir diskutieren natürlich noch von Zeit zu Zeit miteinander und ich bin mir auch sicher, dass wir in Zukunft noch einmal einen Schritt machen können - es ist fast unvermeidlich, dass wir in fünf Jahren noch einmal etwas tun müssen. Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, aber das ist einmal ein vernünftiger erster Schritt."

"Es ist fast unvermeidlich, dass wir in fünf Jahren noch einmal etwas tun müssen." Rory Byrne

Frage: "Waren die Tests mit Slicks im Dezember Teil eures Programms?"
Byrne: "Bridgestone wollte diese Tests, um Daten zu gewinnen, damit sie sich besser auf 2009 vorbereiten können. In Barcelona wird es im April noch einmal so einen Test geben und dann noch einen letzten im Juli."

Frage: "Du bist kein mechanischer Ingenieur, sondern ein Aerodynamiker, aber wie wird die Einführung des Energierückgewinnungssystems KERS das Chassisdesign beeinflussen?"
Byrne: "Das wird sicher einen gewissen Einfluss nehmen, nicht zuletzt wegen des Gewichts des Pakets - ganz egal, für welches Paket man sich entscheidet. Auch der Platz, den KERS benötigt, wird sich auswirken, weil ein Formel-1-Auto so kompakt wie möglich entworfen wird. Alle Komponenten sind am absoluten Limit, was das Gewicht angeht. Es werden also jene Teams am erfolgreichsten sein, die a) das beste System haben und b) das System am besten ins Paket integrieren."

Frage: "Wird KERS die Autos auch aerodynamisch beeinflussen?"
Byrne: "Kann sein. Indirekt. Ein Formel-1-Auto ist so ein komplexes Gebilde, dass sich jede Änderung eines Elements andere Elemente betrifft."