Newey über 2011: "Leider nur Restriktionen"

Adrian Newey im Interview: Was ihn 2010 störte wie noch nie, warum ihm die neuen Regeln nicht gefallen und warum die Pirelli-Tests für den RB7 zu spät kommen

(Motorsport-Total.com) - Adrian Newey hat gleich viele WM-Titel gewonnen wie Michael Schumacher. Im Gegensatz zu einem Pendant hinterm Lenkrad ist dem Stardesigner aber das Comeback gelungen: Elf Jahre nach seinem letzten WM-Titel bei McLaren mit Mika Häkkinen im Jahr 1999 krönte sich Newey mit Red Bull wieder zum Weltmeister. Der Brite spricht im ausführlichen Interview über die ständigen Diskussionen um die Legalität des RB6, das enorme Entwicklungstempo und die Aussichten für die kommende Saison.

Titel-Bild zur News: Adrian Newey (Technischer Direktor)

Stardesigner Adrian Newey ist kein großer Fan des Reglements für 2011

Frage: "Adrian, hast du immer an den RB6 geglaubt? Warst du dir vom ersten Tag an, als er in Jerez aus der Garage rollte, sicher, dass er Titelpotenzial hat?"
Adrian Newey: "Manchmal erkennt man ein Siegerauto immer noch am ersten Tag, doch es wird immer schwieriger, das zu beurteilen. Man hat eine grundsätzliche Idee, ob das Auto die erwartete Leistung bringt, doch man weiß nie, ob das ausreichen wird. Man weiß einfach nicht, mit welchen Spritladungen die Konkurrenz unterwegs ist. Daher ist es schwer einzuschätzen, wo man liegt, bis man mit den Rennsimulationen beginnt."

"Was man auch in Betracht ziehen muss, ist das Entwicklungsrennen. Zu Saisonbeginn das schnellste Auto zu haben, garantiert dir auf keinen Fall den Titel. Wenn dich deine Konkurrenten niederentwickeln, dann kannst du bis Saisonende durchaus an das Ende des Feldes zurück fallen."

Wie Newey auf McLarens F-Schacht reagierte

Frage: "Der Red Bull schien zu Beginn der Saison wirklich vom Feld davon zu ziehen. War der Grund, dass ihr bei der Entwicklung so große Fortschritte gemacht habt, oder lagen euch die Strecken einfach besser?
Newey: "Das ist immer schwer zu beurteilen. Das Rennen in China war eigentlich ziemlich enttäuschend für uns und als wir zum ersten Europarennen in Barcelona kamen, hatten wir eine Menge neuer Teile am Auto - doch das galt auch für alle anderen. Die Power-Strecken mit den langen Geraden - Spa und Monza - lagen uns nicht."

"Auch in der Türkei war ich enttäuscht: Obwohl wir das Rennen anführten, als es die Kollision gab, hatte ich nicht das Gefühl, dass wir wie erhofft davonziehen konnten. Ganz allgemein hatte ich den Eindruck, dass das Entwicklungstempo - wenn man nicht jedes Rennen genau ansieht - bei den drei Topteams ähnlich war."

Frage: "Wie reagierst du, wenn ein Gegner so etwas wie den F-Schacht erfindet? Hast du Gewissensbisse, nicht an so etwas gedacht zu haben?"
Newey: "Nicht wirklich. Es bringt nichts, sich über so etwas zu ärgern. Wenn man den F-Schacht hernimmt: Hut ab vor dem jungen Kerl bei McLaren, der dieses Schlupfloch entdeckt hat und es ausgenützt hat. Doch wenn man versteht, was sie getan haben, dann geht es nur noch darum, sich damit auseinander zu setzen und deine eigene Variante zu bauen."

Frage: "War es schwierig, den Schacht in ein bereits homologiertes Chassis einzubauen?"
Newey: "Es ist nicht ideal, denn das Chassis wurde natürlich nicht dafür gebaut. Man muss beim Ausloten opportunistisch sein. Wenn wir einen weiteren Versuch hätten, den F-Schacht in ein brandneues Chassis einzubauen, dann könnten wir es etwas besser anpassen. Doch es ist uns gelungen, es hineinzubringen und es auf einem zufriedenstellenden Niveau auch zum Arbeiten zu bringen."

"Hut ab vor dem jungen Kerl bei McLaren, der dieses Schlupfloch entdeckt hat und es ausgenützt hat." Adrian Newey

Frage: "Die ständigen Veränderungen in der Formel 1 sind bemerkenswert. Hat die ständige Nachfrage nach neuen Teilen deine Arbeitsweise verändert?"
Newey: "Ich mag es. Ich genieße diese Art von Herausforderung - obwohl das Tempo, in dem neue Teile entwickelt und aufs Auto gebracht werden, sehr stark vom bestimmten Teil abhängen, denn alles steht in Bezug zur Vorlaufzeit. Dinge wie das Monocoque oder das Getriebegehäuse - realistisch gesehen muss man damit bis zum Beginn der nächsten Saison warten, wogegen Veränderungen am Frontflügel bereits am nächsten Tag fertig sein können. Und dazwischen gibt es alle möglichen Levels."

Flexiflügel-Affäre auch für Newey ein Novum

Frage: "Die Aufregung zu Saisonmitte über den Flexibilitätsgrad des Red-Bull-Frontflügels muss ablenkend gewesen sein. Wie ist das Team damit umgegangen?"
Newey: "Es war keine Ablenkung, doch es war ein Ärgernis. Ich muss ehrlich sagen, dass ich noch nie eine Saison wie diese erlebt habe, wo im Fahrerlager so viel mit dem Finger gezeigt wurde. Das ist schade, doch unterm Strich bleibt, dass die Presse und die FIA endlose Untersuchungen durchführten, was wir mit dem Frontflügel gemacht haben. Die FIA muss sich das natürlich ansehen, da sie diese Dinge ernst nehmen muss - und was wir getan haben, ist komplett legal."

Frage: "Das andere kontroverse Thema ist der Speed des RB6 in Q3. Sogar jetzt - am Saisonende - geben andere Teams an, dass sie nicht verstehen, wie das Auto in dieser Session plötzlich um drei Zehntel schneller ist. Willst du dazu etwas sagen?"
Newey: "Das ist ein Mythos! Ich bin nicht sicher, ob unsere Leistung in Q3 anders war als in Q1 oder Q2."

"Noch nie wurde im Fahrerlager so viel mit dem Finger gezeigt." Adrian Newey

"Ich habe es mir nicht angetan, die Statistiken durchzuschauen, doch das ist eine dieser Geschichten, die ins Laufen kommen, wenn sich die Fahrer ein oder zwei Mal in Q3 verbessern und dann plötzlich jeder darüber schreibt und es akzeptiert wird, auch wenn es jeglicher Grundlage entbehrt. Manchmal ist es der Fall, dass wir nur einmal auf den harten Reifen rausfahren, um aufzusteigen, also sieht es in Q3 mit den weichen Reifen anders aus - doch der Grundgedanke ist ein Mythos."

Ausblick auf 2011

Frage: "Blicken wir nach vorne zum nächsten Jahr: Es ist ja bekannt, dass du Regeländerungen magst, doch ist das nicht das letzte, was sich ein Siegerteam wünscht?"
Newey: "Nicht unbedingt. Leider handelt es sich bei den Änderungen für nächstes Jahr ausschließlich um Restriktionen. Der Doppeldiffusor wird verboten, was - jetzt wo wir ihn alle haben - einen Bereich verschwinden lässt, wo es viele Freiheiten gegeben hätte. Dann gibt es noch den Wechsel auf die Pirelli-Reifen, über die wir noch nichts wissen. Es ist unmöglich, etwas über sie zu sagen, also können wir auch kein Auto um sie herum designen."

Frage: "Helfen da nicht einmal die Pirelli-Tests?"
Newey: "Ich hoffe, dass wir einige Schlüsse ziehen können, doch der grundsätzliche Aufbau des Autos steht schon. Aufgrund der Vorlaufzeiten kann man das Layout jetzt nicht mehr verändern."

Frage: "Ist man daher beim Design für 2011 vorsichtiger? Wird die fixierte Gewichtsverteilung der Autos die unbekannten Charakteristika der Reifen kompensieren?"
Newey: "Die Restriktion bei der Gewichtsverteilung, die soweit ich weiß bei 45:55 plus/minus 1 Prozent liegt, ist hilfreich, da man das Auto in diesem Bereich designen kann. Wenn die Pirelli-Reifen das eine Extrem oder das andere verlangen, dann können wir dorthin, aber nicht darüber hinaus gehen. Das ist der Grund für diese Regel. Wir wissen aber nicht, um welches Ende des Spektrums es sich handeln wird."

"Es ist unmöglich, etwas über die Reifen zu sagen, also können wir auch kein Auto um sie herum designen." Adrian Newey

Frage: "Wie motiviert bist du, jetzt wieder ans Reißbrett zurückzukehren? Musst du noch etwas beweisen?"
Newey: "Die Motivation ist da, weil ich meine Arbeit genieße. Als ich zu Red Bull ging, wollte ich das Team zu einem Punkt bringen, wo es Rennen gewinnen kann. Der Traum war der Konstrukteurstitel. Dieses Ziel zu erreichen ist etwas ganz besonderes, ändert aber mein Tagesgeschäft nicht. Ich arbeite gerne für Red Bull, es ist ein gutes Team, die Atmosphäre ist gut und ich genieße den Design-Aspekt, an dem ich beteiligt bin. Also - solange ich es genieße, werde ich weitermachen."