Neues Formel-1-Qualifying: Chaotisch und langweilig?

Der Schwächste fliegt, und zwar alle 90 Sekunden: Noch immer zweifeln viele am neuen Qualifying-Modus der Formel 1 - Erklärungsversuche von Charlie Whiting

(Motorsport-Total.com) - An diesem Samstag feiert das neue Qualifying-Format der Formel 1 2016 in Melbourne Premiere. Im Vorfeld war die Aufregung über die überraschende Regeländerung bei Fans und Fahrern gleichermaßen groß. Dass der neue Modus die Königsklasse spannender macht, glauben die wenigsten. Stattdessen werde sie nur noch komplizierter, so der weit verbreitete Vorwurf. Noch immer fragen sich viele, warum das alte Qualifying überhaupt verändert wurde. (So funktioniert der neue Modus.)

Titel-Bild zur News: Startampel in Melbourne

Das neue Qualifying soll die Startaufstellung in Melbourne durcheinander wirbeln Zoom

"Es geht darum, unerwartete Ergebnisse zu produzieren, die Positionen etwas durcheinander zu bringen", erklärt Paul Hembery gegenüber 'Motorsport-Total.com' die Beweggründe. Der Motorsport-Direktor von Pirelli saß in den Meetings der FOM (Formula One Management), die das neue Format unter breiter Zustimmung initiierte. "Es knüpft an die Zeit an, in der es nur ein einziges Qualifying, einen einzigen Durchgang gab. Der Druck ist höher, weil du es sofort richtig machen musst. Das wiederum verspricht einige Überraschungen."

Tatsächlich stellt das neue Qualifying die Fahrer in vielerlei Hinsicht vor Probleme. Weil in den ersten sieben Minuten alle versuchen werden, schnell auf gute Zeiten zu kommen, ist gleich zu Beginn mit erheblichem Verkehr zu rechnen. Das kann schnell zu Chaos führen. "Wir werden wahrscheinlich viel mehr Probleme mit dem Verkehr haben, und die Fahrer werden sich oft beschweren, dass sie blockiert wurden. Das geht nicht anders, wenn 22 auf einmal auf die Strecke gehen", sagt Romain Grosjean voraus.

Neues Qualifying beeinflusst Reifenwahl

Doch nicht nur der Verkehr könnte zum Problem werden. Auch die Reifenwahl wird durch das Qualifying auf die Probe gestellt. "Jetzt ist jeder gezwungen, auf den schnelleren Reifen zu fahren, die ihm zur Verfügung stehen. Es wird einen Shift hin zu der Reifenmischung mit mehr Performance geben", glaubt Hembery von Pirelli. Williams-Pilot Felipe Massa sieht hier einen möglichen Vorteil für Weltmeister Mercedes.


Fotostrecke: Die zehn denkwürdigsten F1-Regeländerungen

"Sie können auf den härteren Reifen bis ins Q3 kommen, dann einmal die weicheren nehmen und wieder die härteren aufschnallen, um mit ihnen das Rennen zu starten", mutmaßt der Brasilianer. Die schnelleren Reifenmischungen Super- und Ultrasoft bauen erfahrungsgemäß früher ab - ein Problem für die Teams im Mittelfeld, glaubt Massa. "Jetzt gibt es nur noch acht Plätze in Q3, nicht mehr zehn. Das wird knifflig", schätzt er, sagt aber auch: "Wenn es gut für die Fans ist, bin ich nicht dagegen."

Das wird sich erst noch zeigen müssen. Denn viele hadern weiter mit den neuen, teils undurchsichtigen Regeln. FIA-Rennleiter Charlie Whiting hat diese nun klarer zu definieren versucht und macht den größten Unterschied zum bisherigen Qualifying darin aus, dass eine Runde beendet werden muss, bevor der 90-Sekunden-Countdown abläuft. "Einzige Ausnahme ist die karierte Flagge, wird sie geschwenkt, können die Autos auf der Strecke ihre aktuelle Runde zu Ende fahren", so Whiting.

Countdown-Uhr für mehr Spannung in der Formel 1

Das heißt auch: Eine rote Flagge bedeutet für den Fahrer auf dem Schleudersitz das Aus. Zwar wird die Zeit gestoppt, jedoch reichen 90 Sekunden für eine fliegende Runde nicht aus. Wer wann k.o. geht, ist ebenfalls klar geregelt. Dafür kommt es unter Umständen auf die Ergebnisse der Freien Trainings an. Denn bevor das Qualifying startet, werden die Fahrer in der Reihenfolge des dritten Freien Trainings aufgelistet. Wer hier keine Zeit gefahren hat, wird mit seinem Ergebnis aus dem zweiten Freien Training einsortiert.

Charlie Whiting

Charlie Whiting zeigt sich von der neuen Qualifying-Software begeistert Zoom

Mit Ablauf der ersten sieben Minuten startet die Knockout-Phase. Der Fahrer am Ende der Liste fliegt raus - mit oder ohne gezeitete Runde. Haben mehrere Fahrer keine Zeit gesetzt, gilt die Reihenfolge aus den Freien Trainings. Dieselbe Regel greift auch für die in Q2 verbleibenden 15 Autos oder für den Fall, dass ein Qualifying vorzeitig abgebrochen werden muss. Die 107-Prozent-Regel bleibt davon unangetastet. Im Ernstfall entscheiden die Stewards, wer im Rennen starten darf.

Whiting ist zuversichtlich, dass sich dieser Modus in Melbourne 1:1 umsetzen lässt. "Die Software-Verantwortlichen haben einen fantastischen Job gemacht. Es sieht gut aus", kommentiert er anfängliche Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung des neuen Qualifyings. Neben der Uhr für die Gesamtzeit wird es eine extra Countdown-Uhr geben, die die Sekunden vor jedem Ausscheiden herunterzählt. Beide unterscheiden sich farblich. Fahrer, die ausgeschieden sind, werden grau markiert.

Herrscht in Q3 gähnende Langeweile?

Ob und wie das Ganze tatsächlich funktionieren wird, ist schwer vorherzusehen. Viele Piloten haben sich in der Zwischenzeit jedenfalls damit abgefunden. So gibt Carlos Sainz von Toro Rosso zu: "Wir waren vielleicht nicht ganz so glücklich darüber, dass sie erst recht spät an uns herangetreten sind, um unsere Meinungen einzuholen. Aber nachdem die Entscheidung nun getroffen wurde, werden wir uns mit den Veränderungen arrangieren."

Teamkollege Max Verstappen glaubt ohnehin nicht, dass sich viel ändern wird: "Wenn man ein schnelles Auto hat, wird man vorne stehen, und mit einem schlechten Auto wird man Letzter." Einzig in Q3 könnte es weniger heiß her gehen, glaubt Force-India-Pilot Sergio Perez: "Die letzten drei Minuten könnten langweiliger als bisher werden. Es wird nicht mehr so sein wie in der Vergangenheit, als zwei, drei Autos in der letzten Minute rausgegangen sind."

Auch daran wird man sich wahrscheinlich gewöhnen. Und nach ein paar Rennen ist das neue Qualifying-Format dann schon Routine, prognostiziert Günther Steiner vom Formel-1-Neuling Haas: "Es ist vielleicht für sechs Monate eine gute Sache, aber danach werden wir alle herausgefunden haben, wie man es am besten angeht. Danach wird es trotzdem jedes Wochenende eine ähnliche Geschichte sein." Sebastian Vettel hofft indes wie viele Fans vor allem eines: "Dass immer noch der Schnellste am Ende ganz oben steht!"

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