Neue Pirelli-Reifen: Teufelszeug oder Wunderwaffe?

Die Meinungen über die Pirelli-Reifen gehen auseinander: Während sich einige Piloten beklagen, können andere Kollegen durchaus Positives erkennen

(Motorsport-Total.com) - Zu Beginn der Formel-1-Saison 2012 waren die Reifen das große Thema. Das teilweise unberechenbare Verhalten der Pirelli-Pneus sorgte vor allem zu Saisonbeginn für turbulente Rennverläufe und unerwartete Ergebnisse und trug seinen Teil dazu bei, dass die ersten sieben Saisonrennen von sieben verschiedenen Fahrern gewonnen wurden. In diesem Jahr könnte sich dieses Szenario wiederholen. Pirelli hatte im Winter angekündigt, die Reifen weicher und aggressiver zu machen. Das ist den Italienern offenbar gelungen.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Reifen, Graining

Die Reifen an Nico Rosbergs Auto zeigten am Donnerstag deutliches Graining Zoom

In der zweiten Testwoche waren die Reifen im Fahrerlager von Barcelona das bestimmende Thema. "Dieses Jahr werden die Reifen wieder ein entscheidender Faktor sein: Sie sind weicher und schneller, aber auch weniger konstant, und sie bauen mit jeder Runde rapide ab", erklärte beispielsweise Ferrari-Pilot Fernando Alonso. "Ich fuhr am Morgen erstmals hier in Barcelona mit den weichen Reifen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was interessant war", meint am Donnerstag auch Nico Hülkenberg.

Bei den weichen Reifenmischungen stellte sich in Barcelona heraus, dass diese zwar auf eine Runde schnell sind, anschließend aber rapide einbrechen. "Wir fuhren zum ersten Mal bei diesem Test mit dem weichen Pirelli-Reifen, der auf der ersten gezeiteten Runde sehr schnell ist", erklärt Tom McCullough, leitender Ingenieur an der Rennstrecke bei Williams. "Durch den hohen Reifenabbau gestalten sich die Tests schwierig, aber das ist für alle gleich und darauf muss man sich einstellen."

Sieben bis zehn Stopps in Melbourne?

Nico Hülkenberg, Reifenabrieb

In Barcelona wanderte das Gummi schnell vom Reifen auf den Asphalt Zoom

Auch Toro-Rosso-Pilot Jean-Eric Vergne klagte darüber, dass die schnell abbauenden Reifen die Testarbeit behindern: "Du gehst mit neuen Reifen raus, und dann verlierst du plötzlich mindestens vier Sekunden, das macht einen ernsthaften Test sehr schwierig", erklärte der Franzose. Für das Qualifying wünscht sich Vergne jedoch genau solch einen Reifen: "Es ist wirklich schön. Du hast eine Runde, in der du alles geben musst, und das war es. Das passt zu meinem Stil, denn ich bin recht aggressiv."

Weniger erfreut zeigte sich Mc-Laren-Neuzugang Sergio Perez: "Es ist extrem, die Abnutzung ist wirklich schwierig. Das ist eine Überraschung", zeigt sich der Mexikaner verwundert. "Normalerweise sieht man bei den Wintertests eine hohe Abnutzung - aber niemals so viel." Der Gedanke an das Rennen in Australien, wo die Mischungen supersoft und medium zum Einsatz kommen, treibt Perez Sorgenfalten auf die Stirn. Sollte sich bis Melbourne nichts ändern, dann würden die Zuschauer sieben bis zehn Stopps zu sehen bekommen, glaubt der McLaren-Pilot.

"Perez macht sich mehr Gedanken, als er sollte." Mario Isola

Pirelli-Mann Mario Isola beschwichtigt jedoch: "Perez macht sich mehr Gedanken, als er sollte. Wir haben lediglich versucht, das Spektakel im Rennen zu erhöhen, aber wir haben nichts Dramatisches getan", so der Italiener gegenüber der Tageszeitung 'El Pais'. Allerdings war auch Adrian Sutil bei seiner Rückkehr ins Formel-1-Cockpit von den Reifen überrascht - und das nicht im positiven Sinne: "Die Reifen waren schlechter als erwartet", sagt Sutil gegenüber 'auto, motor und sport'.

Starkes Graining bei kalten Temperaturen

"Eine Runde schnell und dann geht es rapide nach unten. Die Longruns sind dementsprechend: Man fährt wie auf Eiern. Der Gummi fliegt förmlich weg. Man muss einfach irgendwie konstant fahren. Das ist harte Arbeit", so Sutil. Doch längst nicht alle Kollegen teilen diese Sorgen. So sagt Romain Grosjean: "Die Reifen fühlen sich sicherlich anders an, als im vergangenen Jahr, aber wir beginnen schon, sie zu verstehen."

Neben der starken Abnutzung der Reifen klagten die Fahrer in Barcelona vor allem über Graining. "Wir hatten keinen perfekten Morgen und es war hart mit den niedrigen Temperaturen auf der Strecke. Das hat viel Graining verursacht, was es wiederum schwierig gemacht hat, viele nützliche Tests abzuhalten", erklärte Nico Rosberg am Donnerstag. "Ich habe schon im Meeting gesagt, dass sie wie Blumenkohl aussehen", beschreibt Vergne die Reifen. "Als ich in Frankreich im Kart gefahren bin, habe ich diesen Begriff oft benutzt. Nach einer Runde bekommst du eine Menge Graining, es ist so schwierig."


Fotos: Testfahrten in Barcelona


Das Abrubbeln der Gummioberfläche wurde in Barcelona jedoch auch durch die kalte Streckentemperatur begünstigt. "Bei den kalten Temperaturen hier sind die Reifen scheinbar schwierig zu managen - besonders mit viel Benzin im Auto", sagt Alan Permane, leitender Ingenieur an der Rennstrecke bei Lotus. "Wie auch immer, je weiter unser Rennen fortschritt, umso mehr haben sich die Reifen stabilisiert und wir konnten einen Stint über 20 Runden mit konstanten Zeiten fahren." Auch Rosberg berichtete: "Nach der Mittagspause war es ein paar Grad wärmer, das hat ein komplett anderes Bild verschafft."

Button: "Reifen viel einfacher zu verstehen"

Jenson Button

"Reifenflüsterer" Jenson Button kommt mit den neuen Pirellis schon gut zurecht Zoom

Auch Jenson Button registrierte das verstärkte Graining, war aber abgesehen davon voll des Lobes über die neuen Pirelli-Reifen: "In diesem Jahr ist es, was das Graining betrifft, schwieriger als im vergangenen Jahr, aber die Reifen zu verstehen ist viel einfacher." Im Vergleich zum Vorjahr seien die Reifen wesentlich berechenbarer. "Du kannst sie ins Arbeitsfenster bringen und weißt dann, dass nach drei oder vier Runden das Graining beginnt", so Button.

"Im Vergleich zur vergangenen Saison ist es wesentlich ausgeglichener. Damals gab es Teams, die die Reifen zum Arbeiten brachten, aber nicht wussten warum. Es hat sechs oder sieben Monate gedauert, bis wir die Reifen im Griff hatten", sagt Button. "Diese sind viel einfacher zu verstehen und leichter ins Arbeitsfenster zu bringen." Ganz so weit wie Button ist Alonso noch nicht: "Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, um auf die beste Balance des Autos zu kommen, aber das gilt für alle Teams", meint der Spanier.

Trotz starkem Abbau und Graining rechnet Mark Webber beim Saisonauftakt nicht mit chaotischen Verhältnissen: "Wir fahren im dritten Jahr mit Pirelli-Reifen in Melbourne. Es gibt Daten der ersten beiden Rennen", sagt der Red-Bull-Pilot gegenüber 'auto, motor und sport'. In Sicherheit wiegen will sich der Australier aber nicht: "Ich will nicht ausschließen, dass selbst ein gestandenes Team wie Red Bull eine Überraschung erleben kann. Wenn wir starken Reifenabbau und viele Boxenstopps erleben, ist die Chance größer, dass etwas schief läuft."