Mercedes-Test: Red Bull sieht "Rattenschwanz" von Fragen

Helmut Marko erklärt, warum der Mercedes-Test seiner Meinung nach illegal war, und bezeichnet die Mercedes-Argumentation als "Geschwafel sondergleichen"

(Motorsport-Total.com) - Bei den Konkurrenzteams von Mercedes ist das Unverständnis nach dem umstrittenen Pirelli-Test von Nico Rosberg und Lewis Hamilton im aktuellen Silberpfeil in Barcelona weiterhin groß. Vor allem Red Bull (neben Ferrari das einzige Team, das in Monaco die Gelegenheit genutzt hat, offiziell Protest einzulegen) ist verärgert über den Wettbewerbsvorteil, den sich Mercedes auf diese Weise nach Auffassung von Motorsportkonsulent Helmut Marko verschafft hat.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Dieses (leider unscharfe) Foto wurde am 16. Mai beim Mercedes-Test aufgenommen Zoom

Während einige Experten die Ansicht vertreten, dass der Test langfristig auf jeden Fall ein Vorteil sei, für den Grand Prix von Monaco aber nur bedingt etwas gebracht habe, ist der Fall für Marko klar: "Es ist sofort ein Vorteil, und noch dazu hat man - wenn es unmittelbar nach dem Rennen passiert - die ganzen Vergleichsdaten. Dort, wo man geschwächelt hat, sieht man es genau, und man kann die ganzen Verbesserungen dezidiert einleiten und messen. Das war sicher ein großer Vorteil", erklärt der Österreicher bei 'ServusTV'.

Auch für seinen Landsmann Gerhard Berger, einen engen Vertrauten von Red-Bull-Konzernchef Dietrich Mateschitz, steht fest, dass Mercedes schon in Monaco "absolut" einen Vorteil aus dem Barcelona-Test ziehen konnte: "Mercedes hat in den ersten Rennen mit Reifenproblemen gekämpft. Diese Reifenprobleme waren jetzt in Monaco nicht sichtbar, und man hat ganz klar gesehen, dass sie das ganze Wochenende dominiert haben. Das große Hinterrad-Problem war auch nicht da. Also haben die Testfahrten ganz klar was gebracht."

Marko lässt Mercedes-Verteidigung nicht gelten

Die übereinstimmende Argumentation von Mercedes und Pirelli, dass Mercedes hinsichtlich des Reifenverständnisses keinen Vorteil aus dem Test ziehen konnte, weil Fahrer und Team nicht wussten, welche Reifen ihnen jeweils ans Auto geschraubt wurden, bezeichnet Marko als "Geschwafel sondergleichen", denn: "Die wissen genau, um wie viel Grad weniger der neue Reifen auf der Hinterachse hat. Das sind fünf bis sechs Grad." Und so hätten die Fahrer und Ingenieure seiner Meinung nach auch erkennen müssen, welcher Reifen jener mit den geplanten Veränderungen für Kanada ist.

Indes wird in der Branche immer noch darüber gerätselt, wie der Mercedes-Test überhaupt so lange geheim bleiben konnte. Die Silberpfeil-Verantwortlichen behaupten, dass man einfach am Sonntagabend nach dem Grand Prix von Spanien nicht aus Barcelona abgereist sei und jeder dies habe sehen können. Trotzdem kamen die ersten Gerüchte erst nach dem Qualifying in Monaco auf: "Wir haben das am Samstagabend beim Abendessen erfahren", erinnert sich Marko. "Wir haben um 22:00 Uhr McLaren-Chef Whitmarsh angerufen, was der dazu sagt. Der wusste es auch noch nicht."

Helmut Marko

Helmut Marko sieht im Fall Mercedes keinen Spielraum für Interpretationen Zoom

"Ich habe mir dann alle Unterlagen geholt, weil ich mir sofort gedacht habe: Was habe ich da falsch gemacht, was habe ich übersehen, was ist da los?", sagt der Red-Bull-Motorsportkonsulent. "Es war ja immer die Meldung, dass das in Einklang mit den FIA-Bestimmungen passiert wäre. Als für uns klar war, dass hier ein einwandfreier Regelbruch da ist, haben wir uns dann am Sonntagmorgen mit Ferrari zusammengesetzt und erörtert, was wir tun. Das, was man sportgesetzlich machen kann, ist, dass wir einen Protest gegen dieses Verhalten einreichen."

Red Bull fechtet Rosbergs Sieg in Monaco nicht an

Ganz wichtig ist ihm aber die Feststellung: "Nicht gegen den Sieg in Monaco! Wir haben bewusst den Protest vor dem Rennen eingelegt, damit es nicht heißt, dass wir etwas dagegen unternehmen, weil die gewinnen. Unser Protest geht gegen das Testverhalten, nicht gegen den Sieg von Nico Rosberg. Der ist ganz klar anerkannt, das war eine tolle Leistung. Wir können auch mit einem zweiten und dritten Platz leben", entgegnet Marko der Anschuldigung, man protestiere nur gegen Mercedes, weil das Team jetzt eine ernstzunehmende Gefahr für Red Bull sei.

Tatsächlich scheint er Mercedes aber ernst zu nehmen, wenn er befürchtet: "Dieser Vorteil zieht sich für den Rest der WM dahin. Das können wir nicht mehr aufholen", so Marko in der Montagabend-Talkshow am Hangar-7 in Salzburg. "Nach dem Sportlichen Reglement 22.4.h ist ganz klar, dass dieses Testen absolut gegen die Regeln war. Darum haben wir das mit einem Protest der FIA zur Kenntnis gebracht, denn auch bei der FIA war man teilweise überrascht. Die Behauptung von Mercedes, dass das im Einvernehmen mit der FIA passiert wäre, ist ja ad absurdum geführt worden."


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Monaco, Sonntag


Marko sieht keine Grauzonen im Reglement

Für den ehemaligen Formel-1-Fahrer, der vor seiner Karriere im Motorsport im Bereich Rechtswissenschaften promoviert hat, gibt es in der Reifentest-Affäre keinen Interpretationsspielraum: "Es gibt das Sportliche Reglement, das ganz klar über das Jahr das Testen regelt. Da steht einmal: Keine Tests vom Beginn der Rennen bis zum 31. Dezember. Es gibt Ausnahmen, das sind Filmtage oder Aerodynamik-Tests, also Geradeausfahrten oder mit kontinuierlicher Kurvengeschwindigkeit, und dann gibt es die Young-Driver-Tests. Sonst nichts."

"Dann gibt es eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen der FIA und Pirelli, die besagt: Wenn alle Teams informiert sind, wenn alle Teams zustimmen und alle Teams die gleichen Chancen haben - das heißt auch die Möglichkeit eines Tests -, dann darf während der Saison ein 1.000-Kilometer-Test durchgeführt werden. Keines der Teams wusste von dieser Veranstaltung in Barcelona", stellt Marko klar. Allerdings gibt er den Mercedes-Chefs zumindest in einem Punkt recht: "Wir - das stimmt - sind auch gefragt worden, ob wir so etwas machen wollen."

Aber: "Wir haben uns die Regeln angeschaut und gesagt: 'Nein, das kommt für uns nicht in Frage, weil es reglementwidrig ist und wir als WM-Führender so etwas nicht riskieren.'" Umso mehr hofft er, dass die FIA hart durchgreifen wird: "Ich hoffe - und da bin ich sicher -, die Sportbehörde nimmt das sehr ernst. Es wird eine Verhandlung geben - wann und wo weiß ich nicht. Und dann muss man sehen, welche Sportstrafen oder ob es Bestrafungen gibt." Und ob den anderen Teams nun auch ein 1.000-Kilometer-Test gestattet wird, quasi als nachträgliche Kompensation.

Red Bull wittert verbesserte Mercedes-Traktion

"Natürlich wollen wir noch in der Saison, so bald wie möglich, auch die Möglichkeit so eines Tests haben. Denn durch die Änderung so eines Reifens ist ja das Ganze noch viel kritischer", sagt Marko. "Der Mercedes hatte immer nach fünf bis zehn Runden keinen Grip auf den Hinterrädern, aber in Monte Carlo fuhren sie mit einer Traktion aus den Kehren, da konnten wir nur voll Neid zuschauen. Dieser Vorteil ist ganz eklatant. Nachdem das passiert ist, muss irgendwo eine Gleichstellung erfolgen. Das ist dann aber auch eine Kostenfrage. So ein Test kostet ja fast eine Million Euro."

Und es bleibt laut Marko nicht beim bloßen Verstoß gegen das Testverbot: "Es sind ja noch wesentliche andere Vorschriften verletzt worden. Man hat vom ersten Rennen an bis Saisonende acht Motoren zur Verfügung. Jetzt sind 1.000 Kilometer gefahren worden, das heißt ungefähr zwei Grand-Prix-Distanzen. Theoretisch müssten die aus dem Kontingent von acht Motoren herausgenommen werden. Und dann wird's schon ganz, ganz eng. Das ist ein Rattenschwanz von Sachen. Eine ähnliche Regelung gibt es beim Getriebe", erläutert er.

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Mercedes setzte in Barcelona die Stammfahrer Rosberg und Hamilton ein Zoom

Dass Mercedes Pirelli mit dem Test nur einen Gefallen getan hat, aber selbst nicht auf einen Wettbewerbsvorteil bedacht war, glaubt der 70-Jährige sowieso nicht: "Bei einem simplen Reifentest kommt vielleicht einen Tag der Topfahrer und dann wird der Ersatzfahrer geschickt, weil das eine relativ langweilige Angelegenheit ist, nur verschiedene Reifentemperaturen, -drücke und dergleichen durchzusagen. Aber es waren ja Rosberg und Hamilton dort. Man war also bewusst dort und hat das Maximum aus diesen drei Testtagen herausgeholt."